Götterspeise

Voodoo-Köchinnen im brasilianischen Salvador verwenden eine Zutat, die keiner kaufen kann: himmlische Eingebung

Der Streit der Straßenverkäuferinnen nahm seinen Anfang in einer stürmischen Märznacht 1998 in einem Vorort von Salvador. Cira Jocaria de Jesús wälzte sich nach Stunden an der Friteuse und Hunderten Bohnenklopsen in ihrem Bett. Ruhelos über den Umstand, dass sich kaum noch Kunden bei ihrem Imbiss am Stadtrand einfanden. Zwar eilte ihr der Ruf einer großen Köchin voraus, was aber keinen Widerhall in ihrer Kasse fand. So war sie in Gedanken, als der Wind die Fensterläden zu ihrer Kammer aufdrückte.

Was denn auf einmal in sie gefahren sei, fragte später der Bürgermeister von Salvador. Die Göttin des Windes, antwortete Cira. Wahr sei das Wort der Alten, jede Acarajé-Köchin bekomme beizeiten den rechten Standort ihres Imbisses von Iansã, der Schutzheiligen aller Buden, eingeflüstert, Großes braucht keinen Lärm.

Sie habe, gab Cira dem Bürgermeister zu Protokoll, in dieser Nacht auch ohne Worte verstanden. Sie, Abkomme eines alten Geschlechts von Straßenverkäuferinnen, habe fortzuziehen vom Fischerort Itapoan, weg vom Stand ihrer Mutter. Das Erbe aufzugeben und sich einzufinden in der Stadtmitte, sonst blase die Herrin der Blitze und Winde den Verschlag von einer Bude mitsamt dem Kochblech ins Meer.

Tage, nachdem sich im Stillen Großes ereignet hatte, wurde es laut auf der Praça de Santana, jenem Platz in der Stadtmitte, den die Taxifahrer Salvadors zu Ehren der Platzherrin in Praça da Dinha umbenannt haben. Gaffer kamen im Halbkreis zusammen, man sparte eine Lücke aus in Erwartung des Schutzmanns. Im Mittelpunkt: Köchin Dinha, die mit der Bescheidenheit einer brasilianischen Fußballdiva auf einen Nachnamen verzichtet hatte, begnadet im Umgang mit Bällen aus Bohnen. Deren Stammplatz ihr in 45 Jahren noch keine streitig gemacht hat. Bis zu dem Tag, als Cira vor ihr stand, mit Aufklapptisch, Friteuse und ihren Fans.

Davor waren die gut 3000 Acarajé-Frauen von Salvador untereinander auf Abstand bedacht. Man wollte die Konkurrenz nicht ausstechen, war sich aber immer nah genug, keine Küche der Pfingstkirchler zwischen sich kommen zu lassen.

Gemeinsam gegen die Christen. Was war denen Acarajé ein Heidenfraß: Bohnenklopse! Für eine Windgöttin! Acarajé stammt aus Afrika und ist mit Sklaven auf Schiffen nach Brasilien gekommen. Ursprünglich brachten Anhängerinnen des Candomblé, eines Voodoo-Kults, die kartoffelgroßen Bohnenkugeln mit Krabbencremefüllung ihrer Göttin Iansã als Opfer. Später finanzierte der Verkauf den Unterhalt der Tempel, viele Sklavinnen sparten die Erlöse auch für den eigenen Freibrief.

Töchter der Windgöttin. Mit weißen, bauschigen Röcken, weißen Spitzenblusen, weißen Häubchen, Tüll und Puder – man hätte ihnen ein zarteres Umfeld gewünscht als Gaskocher, Blechgeschirr und einen Verhau aus Holz.

Vor ein paar Jahren aber kamen die Pfingstkirchler auf den Geschmack, wollten Acarajé ohne Gewissensbisse. „Sollen die Pfingstkirchler doch Hot Dogs verkaufen oder geröstete Maiskolben“, ereiferte sich eine Traditionalistin, „warum ausgerechnet unseren Satansbraten?“ Verkaufsstände mit der Banderole „Acarajé de Jesús“ boten „Fritellen ohne Hokuspokus“. Oder nach Art des Hauses – ohne Krabben. Das weiße Gewand der Voodoo-Jüngerinnen, zu Ehren der Luft, wurde zum Sinnbild des Reinen. Und: Wer hätte gedacht, dass sich die Töchter der Windgöttin einmal als Schwestern begreifen?

Bis Cira mit ihrem Imbiss Dinha zu nahe kam. Darauf wandte sich Dinha an den Stadtrat. In den Verhören gestand Cira dem Bürgermeister, woher der Wind wehte. Damit nicht genug: Dinha und Cira traten in Talkshows auf. Cira brachte den Streit in eine neue Richtung, als sie sagte, sowieso, das beste Acarajé mache sie. Damit waren die Kochlöffel gekreuzt. Nun wurde es zu einer Geschmacks- und unter Einbeziehung der Pfingstküchler zur Glaubensfrage. Sei es für den Geschmack von Belang, wes Windes Kind der Koch sei? Schließlich gründete man im April 1998 eine Acarajé-Gilde; die Vorsitzende entschied, jede Budenköchin habe, Einflüsterung hin, Einbildung her, den Abstand von 50 Metern zu wahren. Weiter, jeder dürfe Acarajé verkaufen, gleich welchen Geschlechts, welchen Glaubens, solange die Hygiene nicht verletzt würde. Und den Klopsen Garnelen beigemischt sind.

Cira zog sich zurück nach Itapoan. Seit dem Rummel kommen wieder die Kunden. Und der Streit mit Dinha? 50 Acarajé-Frauen bildeten diesen Karneval einen eigenen Block, in vorderster Front Dinha und Cira. Geeint hat sie ein neuer Feind: Fertig-Acarajé. „Wir wollen“, sagt der Hersteller, „der Hausfrau die Angst vor dem Kochen nehmen. Folgen muss sie allein der Packungsbeilage.“ So etwas Windiges ist nicht einmal Iansã untergekommen.


Acarajé mit Garnelenfüllung

Zutaten (für vier Personen)

500 g Schwarzaugenbohnen, 250 g Zwiebeln, 2 Tassen Kokosnussmilch, 1 halbe Tasse Palmöl, 500 g getrocknete Garnelen, 1 Brötchen, Erdnussbutter, Ingwer, Petersilie, Salz, Pfeffer.

Zubereitung

Die Bohnen über Nacht einweichen, dann häuten. Die Zwiebeln schneiden und mit den Bohnen pürieren. Aus der Masse kartoffelgroße Kugeln formen und mit Palmöl in der Pfanne braten. Die übrigen Zutaten zu einer sämigen Füllung einkochen, die Garnelen hinzugeben und zehn Minuten auf kleiner Flamme garen. Schließlich die Klöße aufschneiden und mit der Garnelencreme füllen.

mare No. 44

No. 44Juni / Juli 2004

Eine Kombüse von Dimitri Ladischensky und Ed Kashi

Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, seit September 2001 bei mare. Hat zuvor als Redakteur und Autor für Geo Saison gearbeitet. Studium der Germanistik, Geschichte und VWL in Freiburg, Kopenhagen und Berlin. Ausbildung auf der Deutschen Journalistenschule in München.

Foto: Ed Kashi

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Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, seit September 2001 bei mare. Hat zuvor als Redakteur und Autor für Geo Saison gearbeitet. Studium der Germanistik, Geschichte und VWL in Freiburg, Kopenhagen und Berlin. Ausbildung auf der Deutschen Journalistenschule in München.

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Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, seit September 2001 bei mare. Hat zuvor als Redakteur und Autor für Geo Saison gearbeitet. Studium der Germanistik, Geschichte und VWL in Freiburg, Kopenhagen und Berlin. Ausbildung auf der Deutschen Journalistenschule in München.

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