Getrennt einig

Der Hausstrand von Triest trennt die Geschlechter, und alle sind froh. Ein beredtes Beispiel für die Tücken der Genderdiskussion

Dieser Strand ist schon seltsam“, findet der ältere Herr. „Die Frauen dort, die Männer hier. Früher gab es das in der Schule.“ Aber sogar da säßen die Mädchen und Jungen nun zusammen in einem Raum. Er schaut nachdenklich auf das Meer. „Wir sind immer noch Österreich-Ungarn. Wir haben diese Eigenheit“, erklärt eine Seniorin kurz und knapp.

Die beiden Befragten, der Mann und die Frau, sitzen am selben Strand, doch sie können sich nicht sehen oder miteinander sprechen. Obwohl sie im Sommer oft jeden Tag hierherkommen und nur wenige Meter voneinander entfernt über Stunden verweilen. Denn der „Pedocin“, Triests Stadtstrand, wird durch eine drei Meter hohe Mauer geteilt. Seit 1903 ist das so, als Triest noch zum habsburgischen Reich gehörte und das nach Geschlechtern getrennte Badevergnügen zum guten Ton. Mehrfach gab es Bestrebungen, das zu ändern, das erste Mal 1943. In den Archiven ist zu lesen, dass die Lokalzeitung „Il Piccolo“ damals eine Kampagne startete gegen „Badevergnügen, die die Bürger in Kasten einteilen“. Wer als Familie nämlich gemeinsam ans Wasser wollte, musste auf andere Strandbäder ausweichen und dafür mit 80 bis 100 Lire einiges mehr bezahlen als im Volksbad „Pedocin“.

Die Mehrheit der Triester aber stemmte sich jedes Mal energisch gegen solche Ideen. Sie wollten, diesseits der Mauer, weiter unbelauscht tratschen, was das Zeug hielt, und sich oben ohne sonnen, ohne begehrliche Blicke oder abschätzige Kommentare zu provozieren. Sie wollten, jenseits der Mauer, ungehemmt über „Männerthemen“ reden oder einfach ihre Ruhe haben. Nur einmal, 1959, rückten tatsächlich die Bagger an. Jedoch lediglich, um die Mauer ein paar Meter nach rechts zu versetzen und damit ein Platzproblem zu beheben. Da Großmütter und Mütter nämlich häufig in Begleitung der bambini  kommen, wird es auf der linken, der Frauenseite schnell eng. Bis zum Alter von zwölf Jahren werden dort auch Jungs geduldet.

Beide Seiten aber wollen unter ihresgleichen bleiben – ein Bestreben, das die Menschheit zu einen scheint, über alle Grenzen hinweg. Es braucht dazu keineswegs moralisch, religiös oder sonst irgendwie begründete Vorgaben. In der Evolutionsbiologie nennt man dieses Prinzip „Nischenkonstruktion“. Danach richten sich Lebewesen bevorzugt in Nischen ein, in denen sie gut (über-)leben können. Darin unterscheidet sich der Mensch nicht wesentlich von Insektenstaaten, die in ihren Bauten jene Temperaturen, Feuchtigkeitsgrade oder Lichtverhältnisse schaffen, in denen ihre Nachkommen am besten gedeihen.

Natürlich spielten und spielen gerade in Bezug auf Badekulturen gesellschaftliche Sitten und Moralvorstellungen oftmals eine wichtige Rolle. Das war in der Antike schon so. In AbuDhabi oder Dubai haben Singlemänner aus religiösen Gründen nicht zu jedem Strand Zutritt, wenn dieser Frauen oder Familien vorbehalten ist. Als im 18. und 19. Jahrhundert europäische See- und Kurbäder in Mode kamen, waren auch sie zunächst einer strikten Geschlechtertrennung unterworfen. Genau das war die ursprüngliche Motivation für die Strandmauer von Triest.

Doch heute gilt das allgemeinmenschliche Grundgesetz: Gleich und Gleich gesellt sich gern, dieses Phänomen ist so alt wie die Existenz der Menschheit als Faultier. Dass Gegensätze sich anziehen, dagegen nichts weiter als ein Mythos.

Und so steht der „Pedocin“ mit seinem vermeintlichen Anachronismus nicht allein da. In Riccione etwa erklärten die Stadtoberen 2007 einen Strandabschnitt zur „spiaggia rosa“, sperrten ihn für Männer und boten Schwimm- und Fitnesskurse unter der Leitung weiblicher Coachs an. Die figurbewusste Frau fand auf der Speisekarte fortan kalorienarme Gerichte statt Calamari und Pommes frites. Umgekehrt führte die Diskriminierungsbeschwerde eines Mannes in Litauen dazu, dass die Stadt Neringa auf der Kurischen Nehrung in diesem Sommer vier Strände für sonnenbadende Männer reservierte; solche für Frauen und Nudisten gab es bereits.

„Als Beziehungspartner Menschen zu wählen, die einem selbst ähnlich sind, ist extrem weit verbreitet – so weit und in so vielen Ausprägungen, dass man das Verhalten als psychologischen Standard bezeichnen könnte.“ Das sagt Angela Bahns. Die Psychologin am Bostoner Wellesley College und ihre Kollegen befragten für eine im Februar 2017 veröffentlichte Studie über Monate mehr als 1500 Gesprächspaare auf dem Campus von US-Universitäten und Colleges sowie in angrenzenden Gemeinden.


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mare No. 125

No. 125Dezember 2017 / Januar 2018

Von Karin Finkenzeller

Karin Finkenzeller, Jahrgang 1968, ist seit 2004 Korrespondentin in Spanien und Frankreich. Die Hysterie in Frankreich über zu viel Stoff in der Öffentlichkeit führte in diesem Sommer dazu, dass Bademeister die Autorin in einem Pariser Freibad dazu zwangen, sich an Ort und Stelle eines Strandkleids zu entledigen, in dem sie nicht etwa ins Wasser springen, sondern lediglich zur Liegewiese gehen wollte.

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Vita Karin Finkenzeller, Jahrgang 1968, ist seit 2004 Korrespondentin in Spanien und Frankreich. Die Hysterie in Frankreich über zu viel Stoff in der Öffentlichkeit führte in diesem Sommer dazu, dass Bademeister die Autorin in einem Pariser Freibad dazu zwangen, sich an Ort und Stelle eines Strandkleids zu entledigen, in dem sie nicht etwa ins Wasser springen, sondern lediglich zur Liegewiese gehen wollte.
Person Von Karin Finkenzeller
Vita Karin Finkenzeller, Jahrgang 1968, ist seit 2004 Korrespondentin in Spanien und Frankreich. Die Hysterie in Frankreich über zu viel Stoff in der Öffentlichkeit führte in diesem Sommer dazu, dass Bademeister die Autorin in einem Pariser Freibad dazu zwangen, sich an Ort und Stelle eines Strandkleids zu entledigen, in dem sie nicht etwa ins Wasser springen, sondern lediglich zur Liegewiese gehen wollte.
Person Von Karin Finkenzeller