Gemeinsames Erbe der Menschheit

Die Freiheit der Meere muß da aufhören, wo sie die Ozeane gefährdet

Für die meisten von uns hat der Ausdruck „Freiheit der Meere“ einen positiven Beiklang. Es ist die Art von Freiheit, von der wir träumen. Es ist die Freiheit des weiten offenen Raumes, zusammen mit Wildheit, dem unzähmbaren Rauschen, der salzigen Luft, die uns freier atmen und unser Herz schneller schlagen lässt. Auch der Seemann ist der „Freiheit der Meere“ verfallen. Dass seine Gefühle kompliziert sein können durch die Beigabe einer guten Dosis Einsamkeit und Todesangst, kann dies sogar noch intensiver, noch unwiderstehlicher machen. Für die Könige in alten Zeiten, die Staatsmänner und ihre Anwälte aber bedeutete die Freiheit der Meere etwas ganz anderes – und bedeutet es noch immer.

Die Geschichte reicht fast 400 Jahre zurück – in die Zeit, als Hugo Grotius seine berühmte Dissertation Mare Liberum (1609) verfasste. Der Ozean, schrieb er, wäre so riesig, dass er, gleich der Luft, durch niemanden zu eigen gemacht werden könnte. Daher herrsche Freiheit.

Dies war ungefähr die Zeit, als der moderne Nationalstaat geboren wurde, und zusammen mit ihm der Begriff „Souveränität“. Die Ozeane waren ein Platz, wo es keine „Souveränität“ gab – ausgenommen ein kleiner Streifen Meeresküste, die „Territorialsee“, normalerweise nicht breiter als drei Meilen, so weit, wie das Auge sehen oder eine Kanone schießen konnte, über die der Küstenstaat „Souveränitätsrechte“ besaß.

Grotius, von einem Wunderkind zu einem Mann von immenser Kultur und ebensolchem Talent herangewachsen, war, wie die meisten großen Männer, seiner Zeit ein wenig voraus, und seine Theorie der Freiheit der Meere zeigte in Wirklichkeit etwas später, was in ihr steckte, als nämlich Großbritannien in der Phase des Aufbaus seines Empires mit Macht für sie eintrat. Im 19. Jahrhundert dann wurde die Freiheit der Meere ideologisch mit anderen Freiheiten in Verbindung gebracht, insbesondere mit der Laissez-faire-Wirtschaftstheorie.

Fischbestände sind so reichlich vorhanden, quasi unerschöpflich, dass man sie nicht zu regulieren braucht – oder es gar nicht kann. So lautete das Argument im 18., 19. und frühen 20. Jahrhundert. Ein anderes: Egal, welchen Abfall wir abladen, die Aufnahmefähigkeit des Ozeans sei unendlich. So schloss die Freiheit der Hohen See die Freiheit des Fischens, die Freiheit der Navigation (einschließlich der Freiheit des Abladens), die Freiheit der Kabelverlegung und, im 20. Jahrhundert, die Freiheit des Überfliegens mit ein.

Die Strategen damals wussten wenig. Und obwohl auch wir heute wenig wissen, der Ozean immer noch der große Unbekannte ist, so haben wir doch einige Dinge gelernt – unbequeme Tatsachen: Wir wissen sicher, dass die lebenden Ressourcen des Ozeans verletzlich und nicht un-endlich sind; dass wir es mit Hilfe unserer modernen Technologie geschafft haben, die meisten der kommerziell gefangenen Arten zu überfischen und viele andere gefährdet haben. Und dass die Freiheit der Fischerei ein Ende haben musste. Wir wissen auch, dass die Aufnahmefähigkeit für den Müll unserer Mega-Städte und Mega-Industrien begrenzt ist. Was wir nicht durch Überfischung töten, töten wir durch Verschmutzung.

Die Ozeane sind seit langer Zeit um uns herum. Mythologie und Wissenschaft stimmen darin überein, dass es die Ozeane sind, die unsere Kontinente schaffen und verschieben; dass die Luft, die wir atmen, durch den Ozean erzeugt wird und dass das Leben auf der Erde seinen Ursprung im Ozean hat. Er wird noch lange da sein, nachdem die Menschheit verschwunden ist, und er wird wahrscheinlich neue Geschöpfe hervorbringen. Aber Tatsache ist, dass wir, während wir den Ozean ruinieren, uns selbst töten. Durch seltsame neue Krankheiten, Plagen, Immunschwächen, Allergien, Atemschwierigkeiten, die überall auftauchen.

Offensichtlich bedeutete die Freiheit der Hohen See für unterschiedliche Leute unterschiedliche Dinge. Hugo Grotius war ein sehr guter und loyaler Holländer. Das Gesetz der Meere, gegründet auf seinem Dogma der Freiheit der Meere, ist eurozentrisch. Es machte aus dem Ozean die Autobahn für Eroberungszüge und imperialistische Machtausübung. Die Menschen, die durch unsere großen Navigatoren „entdeckt“ wurden, teilten ganz gewiss nicht die Begeisterung für die „Freiheit der Meere“, wie sie den „Entdeckern“ eigen gewesen sein mag.

Wer die Freiheit des Hochseefischens genießen will, muss über eine Fischereiflotte verfügen; wer auf der Freiheit der Hochseenavigation durch internationale Seestraßen bestehen möchte, muss eine Seestreitkraft besitzen. Freiheit kann nicht viel für den bedeuten, den man verhungern lässt.

Eurozentrismus ist nicht mehr modern. Entkolonialisierung und der Aufstieg von Wirtschaftsgiganten in Asien haben ihn obsolet gemacht. Am Ende kann niemand die Tatsache der „Globalisierung“ verkennen, der Produktionsglobalisierung durch multinationale Gesellschaften; der Internationalisierung der Banken, des Handels; der Kommunikation und Information – alle überschreiten frei die Grenzen nationaler „Souveränität“. All dies zwingt uns, den Begriff der Freiheit der Hohen See in völlig neuem Licht zu betrachten.

Und nun trat ein anderer hochgebildeter und vorausschauender Mann in die Geschichte ein. Er kam von einer kleinen Insel mitten im Mittelmeer, Malta. Sein Name ist Arvid Pardo. Er vertrat als erster Botschafter den kurz zuvor unabhängig gewordenen Staat Malta bei den Vereinten Nationen. Und dort hielt er am 1. November 1967 eine Rede, die drei Stunden dauerte und in die Geschichte als der Beginn eines neuen Seerechts einging. Pardo erklärte, dass weder die Seehoheit noch die Freiheit der See, jenes Doppelprinzip, auf dem das traditionelle (westliche) Seerecht aufgebaut war, die Probleme unserer Zeit lösen könnten. Die Freiheit der See brächte einerseits die weitere Verminderung ihrer lebenden Ressourcen und die Zerstörung ihrer Ökologie mit sich. Andererseits würde eine weitere Ausdehnung der Hoheitszonen, die den gesamten Ozean so aufteilen könnte, wie dies die Kolonialmächte im vergangenen Jahrhundert mit Afrika praktizierten, unweigerlich zu Konflikten führen. Notwendig sei ein völlig neuer Grundsatz, der höher wiegt als die Freiheit der See und die Seehoheit.


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mare No. 5

No. 5Dezember / Januar 1997

Von Elisabeth Mann Borgese

Elisabeth Mann Borgese, 1918, war die erste Frau im Club of Rome. Die Gründerin des International Ocean Institute, Malta, schrieb politische Werke und Kinderbücher über die Ozeane (siehe Portrait in mare No.1).

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Vita Elisabeth Mann Borgese, 1918, war die erste Frau im Club of Rome. Die Gründerin des International Ocean Institute, Malta, schrieb politische Werke und Kinderbücher über die Ozeane (siehe Portrait in mare No.1).
Person Von Elisabeth Mann Borgese
Vita Elisabeth Mann Borgese, 1918, war die erste Frau im Club of Rome. Die Gründerin des International Ocean Institute, Malta, schrieb politische Werke und Kinderbücher über die Ozeane (siehe Portrait in mare No.1).
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