Geisterschiffe vor Guinea

Zweite Etappe der Greenpeace-Expedition. Die „Esperanza“ stößt vor Westafrika auf einen sonderbaren Schiffsfriedhof

Am Heck des Trawlers entziffern wir seinen Namen: „Zhang Yuan Yu 15“. Sonst sehen wir vor allem Rost, das Schiff fällt förmlich auseinander. Das Vorschiff gleicht einem Schrottplatz. Winschen und Motoren sind unbrauchbar, zerstört, achtern ist das Deck mit ausgefransten Kabeln vermüllt. Der Mast ist gebrochen und liegt quer auf dem Peildeck. An der Reling über der Brücke ein chinesisches Schriftzeichen, ebenfalls vergammelt, das Symbol für „Glück“.

Im letzten Hafen hatten wir das Gerücht von einem Ankerplatz gehört, an dem die ausgemusterten Trawler der Piratenfischer ihre letzte Ruhe finden. 130 Kilometer vor der Küste Guineas stoßen wir tatsächlich auf diesen Schiffsfriedhof. Die Wracks liegen im flachen Wasser des afrikanischen Schelfs vor Anker, offensichtlich aufgegeben von ihren Besitzern und ihrer Crew. Schon im nächsten Sturm würden die Kähne absaufen, das scheint uns klar. Womit wir nicht gerechnet haben: Auf den Schiffen leben Menschen.

Wir gehen mit unserem Schlauchboot längsseits, und Zizi, unsere chinesische Dolmetscherin, ruft den Trawler an. Ein Mann steckt verdutzt seinen Kopf aus einer Luke. Die Stimme einer Frau, hier draußen? Der Mann bahnt sich einen Weg durch die Trümmerlandschaft an Deck, um uns zu begrüßen. Sarah, unsere Fischereiexpertin, stellt die Fragen, Zizi übersetzt. Was er hier macht? Er ist der Zweite Offizier an Bord und erst vor fünf Tagen angekommen. Jetzt wartet er auf den Rest der Crew, hat aber nicht die Spur einer Ahnung, wann sie kommen wird. Der Trawler? Liegt seit wenigstens drei Monaten genau an diesem Fleck. „Ist das Schiff denn noch einsatzbereit?“, fragen wir. „Ja, klar“, erwidert er und zeigt auf die marode Ausrüstung an Deck. Er scheint überrascht, dass wir fragen. Wir wundern uns, dass der Kahn überhaupt noch schwimmt.

Dass diese Expedition anders werden würde als übliche Greenpeace-Kampagnen, war uns vorher klar. Das Thema dieser Etappe unserer „SOS Weltmeer“-Fahrt war der stille, vergessene Skandal der illegalen Fischerei. Gemeinsam mit der Environmental Justice Foundation, die sich für die Gleichberechtigung beim Zugang zu natürlichen Ressourcen einsetzt, und Behörden vor Ort wollen wir Piratenfischer stellen und ihr Vorgehen dokumentieren.

„IUU“ heißen ihre Fänge in der Sprache der Fachleute: illegal, unregulated, unreported – also gesetzeswidrig, ohne Quote und von keiner Statistik erfasst. Wir wissen bereits, dass dieser Fisch von Westafrikas Küste zu den Kanarischen Inseln verfrachtet und dort in den westeuropäischen Markt eingeschleust wird. Die Europäische Union – und besonders die Spanier – haben bisher stets ein Auge zugedrückt, was diese Fänge betrifft. Auch das ein Ziel unserer Expedition: die europäische Komplizenschaft in diesem Geschäft aufzudecken.

Piratenfischerei klingt harmlos, ein Kavaliersdelikt. Tatsächlich aber konkurrieren die großen ausländischen Trawler, egal ob mit Lizenz oder ohne, in den Küstengewässern mit den einheimischen Fischern, die wie immer schon von winzigen Pirogen ihre Netze auswerfen. Weil die Bestände überfischt sind, müssen die afrikanischen Fischer immer weiter auf die offene See hinausfahren; wir haben sie bis zu 100 Kilometer vor der Küste gesichtet. Von den Gefahren der See abgesehen, droht ihnen ständig die Kollision mit großen Schiffen. Auf dem Radarschirm der Trawler – sofern er funktioniert – sind die kleinen Boote kaum zu erkennen.

Die traditionelle Kleinfischerei ist im Niedergang. Westafrika ist die einzige Weltregion, in der der Verbrauch von Fisch zurückgeht. Wir sind auf unserer Reise einem koreanischen Trawler begegnet, einem 30 Meter langen Schiff, dessen Deck zur Behausung für 200 sengalesische Pirogenfischer umgebaut war. Der Trawler diente den Männern und ihren 40 kleinen Booten als Mutterschiff, sie waren damit bis nach Liberia gedampft, um Fisch zu finden. Die eigenen Gewässer geben längst nicht mehr genügend her.

An Bord der aktiven Trawler, der legalen wie der illegalen, sind die Lebensbedingungen kaum besser als auf den Geisterschiffen. Chinesische, koreanische und afrikanische Crews haben häufig Knebelverträge unterschrieben, die es ihnen für zwei Jahre nicht erlauben, ihren Fuß an Land zu setzen. Ihre Heuer bekommt nach Abschluss des ersten Jahres die Familie ausgezahlt, nach dem zweiten Jahr auf See folgt die nächste Rate.

Eine Woche später kehren wir zu einem zweiten Besuch auf den Friedhof der Trawler zurück. Wir treffen Jia, einen 30 Jahre alten, sehnigen Mann, er lächelt uns freundlich zu. Vor fünf Tagen hat er sich von seiner Frau und seinem elfjährigen Sohn Xinyi verabschiedet. Wenn Jia ihn das nächste Mal sieht, wird Xinyi 13 Jahre alt sein. Wie geht er damit um? Er räuspert sich verlegen und schaut auf die demolierten Maschinen an Deck. „Wenn ich erst einmal am Fischen bin, habe ich kaum Gelegenheit, darüber nachzudenken.“


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mare No. 56

No. 56Juni / Juli 2006

Von Dave Walsh und Pierre Gleizes

Dave Walsh lebt als Autor und Webdesigner in Dublin. Pierre Gleizes stammt aus dem französischen Lunay. Beide kannten die Fischerei bisher nur von High-Tech-Trawlern und waren geschockt zu sehen, unter welchen Bedingungen die Piratenfischer leben. Gleizes, der Greenpeace-Kampagnen seit 1980 mit seiner Kamera begleitet, berichtet, dass er „noch nie Menschen getroffen hat, die in solcher Einsamkeit ausharren. Monatelang allein, ohne frische Lebensmittel, auf Schiffen, die weder Schwimmwesten noch Rettungsinseln an Bord haben“.

Übersetzt aus dem Englischen von Olaf Kanter.

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Vita Dave Walsh lebt als Autor und Webdesigner in Dublin. Pierre Gleizes stammt aus dem französischen Lunay. Beide kannten die Fischerei bisher nur von High-Tech-Trawlern und waren geschockt zu sehen, unter welchen Bedingungen die Piratenfischer leben. Gleizes, der Greenpeace-Kampagnen seit 1980 mit seiner Kamera begleitet, berichtet, dass er „noch nie Menschen getroffen hat, die in solcher Einsamkeit ausharren. Monatelang allein, ohne frische Lebensmittel, auf Schiffen, die weder Schwimmwesten noch Rettungsinseln an Bord haben“.

Übersetzt aus dem Englischen von Olaf Kanter.
Person Von Dave Walsh und Pierre Gleizes
Vita Dave Walsh lebt als Autor und Webdesigner in Dublin. Pierre Gleizes stammt aus dem französischen Lunay. Beide kannten die Fischerei bisher nur von High-Tech-Trawlern und waren geschockt zu sehen, unter welchen Bedingungen die Piratenfischer leben. Gleizes, der Greenpeace-Kampagnen seit 1980 mit seiner Kamera begleitet, berichtet, dass er „noch nie Menschen getroffen hat, die in solcher Einsamkeit ausharren. Monatelang allein, ohne frische Lebensmittel, auf Schiffen, die weder Schwimmwesten noch Rettungsinseln an Bord haben“.

Übersetzt aus dem Englischen von Olaf Kanter.
Person Von Dave Walsh und Pierre Gleizes