Gefährliche Reisende

Lebewesen aus dem Ballastwasser von Schiffen bedrohen einheimische Arten

Eine alltägliche Szene: Ein russisches Frachtschiff ankert vor der Küste New Jerseys und wartet auf einen freien Liegeplatz im Hafen. Neben der Ladung befinden sich Tausende von Tonnen Wasser an Bord. Mit Hilfe dieses Ballastwassers kann die Gewichtsverteilung des Schiffes unabhängig vom Beladungszustand reguliert werden. Da der Frachter Ladung aufnehmen soll, wird ein Großteil des Wassers ins Meer gepumpt.

Was keiner weiß: An Bord des Frachters befindet sich ein blinder Passagier. Ein durch radioaktive Strahlung mutierter Plattwurm. Das Wesen wurde in Rußland zusammen mit dem Ballastwasser aufgenommen. Jetzt ist seine Reise zu Ende, und der Organismus erlangt mit dem Ablassen des Ballastwassers seine Freiheit zurück. In den nächsten Tagen geschehen in der Hafenstadt merkwürdige Dinge. Menschen werden von Plattwürmern gebissen. Einige bekommen später Krämpfe und sterben. Bei der Obduktion der Leichen werden Larven eines bis dato in den USA unbekannten Plattwurms in der Bauchhöhle gefunden. Zwei Spezialagenten des FBI ermitteln. Es stellt sich heraus, daß der fremde Organismus nach Verlassen des Schiffes in das Abwassersystem der Stadt gelangt ist und sich dort bereits vermehrt.

Wie gut, daß die beiden Agenten Dana Scully und Fox Mulder heißen. Die Geschichte ist Fiktion - eine Folge der bekannten Fernsehserie „Akte-X", die unter dem Titel „Der Parasit" ausgestrahlt wurde.

500 Kilometer nordwestlich von New Jersey. Während der Ladungsaufnahme entläßt ein Frachter 1986 Tausende von Tonnen Ballastwasser in den Eriesee. Auch in diesem Fall befinden sich darin blinde Passagiere. Das Schiff hatte in Europa bei der Ballastaufnahme unzählige Larven der europäischen Zebramuschel Dreissena polymorpha mit an Bord genommen. Diese Larven gelangen jetzt in eine neue Welt. Bereits wenige Jahre später ist die unscheinbare Muschel zu einer ökologischen Katastrophe geworden. Myriaden von Zebramuscheln bilden mehrere Zentimeter dicke Beläge auf Küstenstreifen und in Wassertanks. Wasserwerke, Kläranlagen und Industriebetriebe werden lahmgelegt, weil Zebramuscheln die Wasserleitungen verstopfen. Spezialfirmen müssen die alles überwuchernden Muscheln mit Hochdruckgeräten entfernen.

Dies ist keine Fiktion: Bis heute wird der durch die Zebramuschel verursachte Schaden auf mehrere Milliarden Dollar geschätzt. Hinzu kommen noch nicht genau bestimmbare ökologische Schäden, die mit harter Münze nicht aufzuwiegen sind. „Die Zebramuschel hat das Potential, die gesamten Vereinigten Staaten und den Süden Kanadas zu besiedeln", sagt John Gannon vom nationalen Fischereiforschungsinstitut. Mit Zunahme des internationalen Seeverkehrs, der Geschwindigkeit und der Größe der Schiffe sind nichtheimische Organismen, »Aliens« genannt, zur ernsthaften Bedrohung geworden.

Diese Aliens sind keine Monster und Mutationen aus dem All, sondern ganz irdische Organismen, die sich in ihren Lebensräumen über Jahrmillionen entwickelt haben. Festgehaftet an Schiffsrümpfen und als Blinde Passagiere im Ballastwasser gehen sie auf große Fahrt. Finden die Invasoren dann fern ihrer Heimat für sie gute Umweltbedingungen vor, ist die ökologische Katastrophe oft programmiert: Ohne die Freßfeinde und Nahrungskonkurrenten aus der Heimat vermehren sie sich massenhaft und verdrängen dabei andere Organismen. Die weitere Entwicklung der gestörten Lebensgemeinschaft läßt sich nicht vorhersagen. Nicht nur die USA, auch andere Kontinente werden heute von sich massenhaft vermehrenden Fremdorganismen heimgesucht:

Die Rippenqualle Mnemiopsis leydii wurde im Ballastwasser von Frachtschiffen aus den USA in das Schwarze Meer verschleppt. Mittlerweile ist dort das gesamte Ökosystem gefährdet, und die Anchovis-Fischerei muß große Fangeinbußen hinnehmen, da sich die Quallen von Anchovislarven und von Kleinkrebsen, die den Fischen als Nahrung dienen, ernähren. Natürlichen Feinde wie zum Beispiel Butterfische, die den Bestand der Rippenqualle im Atlantik begrenzen, hat sie im Schwarzen Meer nicht.

Mikroskopisch kleine Algen, Dinoflagellaten der Art Alexandrium tamarense, gelangten an Bord von Schiffen von Japan nach Australien. Seitdem kommt es regelmäßig zum massenhaften Auftreten der Algen. Aquakulturbetriebe und Muschelbänke sind durch die Algenblüten gefährdet, da sowohl Alexandrium als auch andere Dinoflagellaten-Gattungen teilweise tödliche Vergiftungen bei Menschen und Tieren verursachen können, wenn sie mit der Nahrung aufgenommen werden.

Der gemeine Schiffsbohrwurm (Teredo navalis), bis vor kurzem in der Ostsee nahezu unbekannt, breitet sich zunehmend zwischen Dänemark und dem Baltikum aus. Ursprünglich beheimatet in asiatischen Gewässern, wird das zur Familie der Bohrmuschel zählende Tier in seinem neuen Lebensraum zum Problem vor allem für die Unterwasserarchäologen: Erst seit der Wende im Osten können sie die versunkenen und dort noch gut erhaltenen Überreste der Seefahrt aus fünf Jahrhunderten aufspüren. In wenigen Jahren, so befürchten Experten, könnte der Wurm die noch tausende zählenden submarinen Schätze vernichten.

Auch in Deutschland wird das Problem ernstgenommen: Ein Containerschiff wurde gerade für Reparaturarbeiten in Hamburg eingedockt. An Bord kommen zwei Meeresbiologen. Im Rahmen eines Forschungsprojektes, das vom Umweltbundesamt finanziert wurde, sammeln sie Informationen über eine mögliche Gefährdung deutscher Gewässer durch Fremdorganismen. Die Schiffsbesatzung hat ihnen die Einstiegsluke der Ballasttanks, das sogenannte Mannloch, aufgeschraubt.

Eher Höhlenforschern als Meeresbiologen gleichen die Experten wegen ihrer Ausrüstung. Neben den für die Entnahme von Ballastwasserproben notwendigen Utensilien führen sie Klettergurte, Handscheinwerfer und chemische Notfalleuchten mit sich. Helme und Stiefel mit Stahlkappen sind in diesem Arbeitsbereich sowieso vorgeschrieben.

Unter der Öffnung breitet sich vor den beiden ein schwarzes Nichts aus. Mit dem Strahl des Handscheinwerfers tasten sie die Leiter hinab. In vier Meter Tiefe der erste Zwischenboden, danach verschwindet die Leiter im Unsichtbaren. Vorsichtig steigen sie die ersten Sprossen hinunter. Die Leiter ist glitschig, mit dem Ballastwasser aufgenommene Sedimente haben sich auf ihr abgesetzt. Je tiefer die Männer vordringen, desto mehr hüllt sie eine dumpfe, feuchte Atmosphäre ein.


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mare No. 1

No. 1April / Mai 1997

Von Mark Dammer

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