Gebt der Meerespolitik ein Gesicht

Die deutsche Politik zum Schutz der Ozeane wird gern als ganzheitlich propagiert. Die Realität sieht anders aus

Das Meer hat keine Lobby. Delfine haben eine, Wale und Robben. Auch Strände, Container und Häfen. Aber das Meer nicht. Denn das Meer an sich ist schwer vermittelbar. Es ist zu seinen größten Teilen tief, dunkel und kalt. Wir können nur schwer hineinsehen, und da wir uns fast ausschließlich an den Rändern der riesigen Ozeane aufhalten, bleiben uns auch ihre Weiten zumeist verschlossen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Grundlagen der Nahrungskette, die einzelligen Algen und Bakterien, nicht wie Wiesen oder Bäume an Land greifbar sind. Wegen dieses Unkonkreten, des Nichtsichtbaren und Unfassbaren, führen nur noch Katastrophen zu einer erhöhten Wahrnehmung von Missständen. Erst wenn Vögel, Robben oder Wale tot oder verölt am Strand angeschwemmt werden und Fernseh- und Fotokameras diese Bilder in unsere Köpfe übertragen, merken wir auf und protestieren gegen einen allzu leichtfertigen Umgang mit dem Meer. Erst dann rufen wir nach der Politik. Doch wir können nicht immer warten bis zum nächsten Tankerunfall, zum nächsten Jahrhundertsturm. Verantwortliche Politik agiert vorausschauend. Es braucht jedoch starke politische Strukturen, um die Menschen mit nachhaltiger Wirkung über die Ozeane und ihren Schutz zu informieren. Erst dann besteht die Chance, dass die Meere die Aufmerksamkeit bekommen, die sie so dringend benötigen.

Wie wenig beachtet die Meere sind, verdeutlicht die Wahrnehmung der Meeresexpertin Elisabeth Mann Borgese in der deutschen Öffentlichkeit. Die jüngste Tochter Thomas Manns hatte nach dem Zweiten Weltkrieg die Vision eines dauerhaften Friedens durch eine gerechtere Welt. 1948 formulierte sie gemeinsam mit ihrem Mann eine Verfassung für die Welt und stritt fortan für deren Durchsetzung. Es war ein zähes Ringen. Nach 20 Jahren ihres Engagements für eine bessere Welt verfolgte sie am 17. August 1967 die Rede des maltesischen Diplomaten Arvid Pardo vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen. Sie war elektrisiert von seinem Vorschlag, die internationalen Gewässer und den Boden der Tiefsee zum „common heritage of mankind“ zu erklären, zum ausschließlich friedlich zu nutzenden gemeinsamen Erbe der Menschheit. Wie sie mir Anfang der achtziger Jahre erzählte, erkannte sie in diesem Moment die Chance, ihre Utopie einer gerechteren, besseren Welt mittels der Ozeane zu verwirklichen. Denn der blaue Teil der Erde sei nicht von Lobbyisten beschlagnahmt wie die herkömmliche terrestrische Politik. Bis zu ihrem Tod vor fünf Jahren galt Elisabeth Mann Borgese als führende Architektin des Neuen Internationalen Seerechts, als Mahnerin für die nachhaltige Entwicklung der Weltmeere, als verehrte „Ocean Lady“. Der breiten deutschen Öffentlichkeit dagegen wurde sie jedoch erst durch den kurz vor ihrem Tod ausgestrahlten Fernsehdreiteiler der ARD „Die Manns“ bekannt.

Ihre Idee einer gemeinschaftlichen und ganzheitlichen Wahrnehmung der Ozeane ist unabdingbar für das Verständnis der Meere und damit für deren Überleben insgesamt. Dass es des populären Umwegs über eine TV-Familiensaga bedurfte, damit ihr Engagement öffentlich wurde, verdeutlicht, wie wenig das Meer in unserem Bewusstsein verankert ist.

Nun ist die sinnliche und intellektuelle Wahrnehmung des Meeres von Nation zu Nation sehr unterschiedlich. Betrachten wir das Meeresbewusstsein der Deutschen, müssen wir zuerst ihr Verhältnis zum Meer erkennen. Erst dann kann eine wirksame politische und inhaltliche Struktur gefunden werden, die die nötige Aufmerksamkeit erzeugt.

Das Meeresbewusstsein einer Nation ist tradiert. Nicht ohne Grund spielt in Ländern wie Portugal, Spanien, Frankreich und England das Meer eine deutlich ausgeprägtere Rolle als hierzulande. Schon die Tatsache, dass in Paris die Champs-Élysées gesperrt werden, wenn Frankreich eine Weltumseglerin zu ehren hat, dass der erste britische Weltumsegler Francis Chichester umgehend zum Ritter geschlagen wurde, aber der bedeutendste Segler Deutschlands, Wilfried Erdmann, kaum jemandem bekannt ist, zeigt, dass die Bundesrepublik ein weniger emotionales Verhältnis zu den Meeren hat als die klassischen Seefahrernationen. Warum ist das so? Warum wurde Deutschland nicht ebenso wie seine Nachbarn zu einer marinen Nation?


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mare No. 64

No. 64Oktober / November 2007

Von Nikolaus Gelpke

Nikolaus Gelpke, Jahrgang 1962, ist Verleger und Chefredakteur von mare. Der Meereskundler betrachtet die drei Viertel der Erde seit mehr als 20 Jahren in erster Linie politisch. Ursächlich dafür ist vor allem Elisabeth Mann Borgese, die ihn vor zehn Jahren in den Aufsichtsrat des International Ocean Institute brachte. Seit einigen Jahren ist er auch als Vizepräsident dieser Seerechtsorganisation mitverantwortlich.

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Vita Nikolaus Gelpke, Jahrgang 1962, ist Verleger und Chefredakteur von mare. Der Meereskundler betrachtet die drei Viertel der Erde seit mehr als 20 Jahren in erster Linie politisch. Ursächlich dafür ist vor allem Elisabeth Mann Borgese, die ihn vor zehn Jahren in den Aufsichtsrat des International Ocean Institute brachte. Seit einigen Jahren ist er auch als Vizepräsident dieser Seerechtsorganisation mitverantwortlich.
Person Von Nikolaus Gelpke
Vita Nikolaus Gelpke, Jahrgang 1962, ist Verleger und Chefredakteur von mare. Der Meereskundler betrachtet die drei Viertel der Erde seit mehr als 20 Jahren in erster Linie politisch. Ursächlich dafür ist vor allem Elisabeth Mann Borgese, die ihn vor zehn Jahren in den Aufsichtsrat des International Ocean Institute brachte. Seit einigen Jahren ist er auch als Vizepräsident dieser Seerechtsorganisation mitverantwortlich.
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