Ganz schön ruinös

Das „Grand Hotel Heiligendamm“ an Mecklenburgs Küste gehört zu Deutschlands feinsten Urlaubsadressen. Wie es sich für wahre Grandezza gehört, ist seine Geschichte wechselvoll und schicksalhaft.

Das Protokoll des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm hatte ein echtes Problem. Es gab für das Treffen der mächtigsten Staatschefs der Welt in dem traditionsreichen Grandhotel an der Ostsee nur eine Burg, aber zwei echte Kerle, die dort wohnen wollten. George W. Bush und Wladimir Putin beanspruchten beide das weiße Tudorschlösschen, das im Park der schönen Anlage ein wenig Ritterflair verbreitet.

Was tun? Die Männer zu brüskieren, die sich für die wichtigsten der Welt halten, hätte die Stimmung des Treffens möglicherweise getrübt. Und eine Burg mit 18 Suiten unter den neuen Freunden harmonisch zu teilen, dazu waren sich die beiden Präsidenten in ihrem Ego dann doch zu ähnlich. Die Rettung lieferte ein Gesetz, das selbst waschechte Machos anerkennen: Ladies first. Also zog Angela Merkel – einzige Frau unter den Mächtigen und zudem Gastgeberin – für die Tage des Weltgipfels in die edle Trutzburg. Bush nahm die Orangerie, und Putin bekam die Gemächer im Haupthaus, in denen schon Adolf Hitler seine Ferien an der Ostsee verbracht hatte. So konnten die drei mit den anderen Staatschefs schließlich in dem berühmten Strandkorb entspannt für ein Abschlussfoto posieren, das danach um die Welt ging.

Eine bessere Gratiswerbung kann man sich als Hotelbetreiber eigentlich kaum wünschen. Doch wirklich Glück hat dieses Ereignis der Luxusherberge bei Rostock nicht gebracht. Im März 2012 übernahm ein Insolvenzverwalter das Fünf-Sterne-plus-Resort, die Orangerie wurde ein Jahr später an die benachbarte Reha-Klinik verkauft, und die Burg Hohenzollern, wie das Gartenschloss offiziell heißt, ist als Überkapazität aus dem Angebot gestrichen. Das Palais mit seinem Burgfried, das der mecklenburgische Großherzog Paul Friedrich Mitte des 19. Jahrhunderts im Stil englischer Landsitze für sich und seine Gemahlin bauen ließ, kann nur noch für Fotoshootings, Familienfeste oder Filmaufnahmen gebucht werden.

Ende der 1990er Jahre wollte der Immobilienunternehmer Anno August Jagdfeld nach dem Berliner „Adlon“ auch das „Grand Hotel Heiligendamm“ als deutsche Glamouradresse neu etablieren. Doch die Auslastung des 2003 wieder eröffneten Traditionshotels mit seinen 444 Betten lag unter 50 Prozent. Der Treffpunkt der Eliten, den Jagdfeld mit Investitionen von 250 Millionen Euro – davon 50 Millionen Euro staatliche Subventionen – auferstehen lassen wollte, endete in einem Treffen vor dem Konkursgericht.

Gründe für die Insolvenz bekommt man viele erzählt. Der Auftritt des Investors sei zu arrogant gewesen, die deutsche Promidichte zu dünn, das Hotel habe sich zu lange familienfeindlich präsentiert, Heiligendamm verfüge nicht über ein interessantes Hinterland. Und bei der lokalen Bevölkerung war das Projekt auch nicht eben besonders beliebt. Als aufgeplusterte Wessis empfanden die Bürger vor Ort die neuen Besitzer und ihre Gäste, die das vormalige Volkssanatorium der DDR nun wieder in eine Luxusenklave verwandelten.

Als das Resort sich mit einem Zaun verschloss, sodass Ausflügler vom Bahnhof nicht mehr durch das Gelände zum Strand gelangen konnten, sondern um das ganze Gebiet herumlaufen mussten, kam es zu Protesten. Wobei zur Verteidigung dieser Maßnahme gesagt werden muss, dass bald nach der Eröffnung täglich um die 100 Reisebusse auf dem Weg zur Internationalen Gartenbauausstellung in Rostock einen Stopp bei der neuen Sehenswürdigkeit einlegten. Im Zehn-Minuten-Takt sollen lärmende Touristen Foyers und Grünflächen geflutet haben, um Fotos von Reichen beim Urlaub zu machen.

Vielleicht ist der Grund für den Misserfolg des „Grand Hotels“ aber eher grundsätzlicher Natur. Menschen, die sich Zimmerpreise bis 1500 Euro und eine Dekolletébehandlung mit Papaya-Gurken-Mousse für 145 Euro leisten können, kombinieren ihren Spaaufenthalt heutzutage wohl lieber mit Venedig, Saint-Tropez oder Miami Beach. Warum an die latent verregnete See in Mecklenburg fahren, in der man höchstens nach Tang und Flundern tauchen kann?

Wenn man ehrlich sei, so der Haushistoriker Siegmund Freiherr von Schleinitz, der den Gästen ab und zu etwas aus der Geschichte des ältesten deutschen Seebads erzählt, dann hat das Hotel in seiner rund 180-jährigen Geschichte selten Gewinn gemacht. Tatsächlich sei Heiligendamm seit seinem Bestehen schon elfmal in Konkurs gegangen. Der freundliche Freiherr liebt das schöne Ensemble in dem sanft gewellten Landstrich, aber ebenso stolz ist er darauf, die Fakten zu kennen.

Und deswegen ist er auch bemüht, all die Mythen, die sich um das legendäre Strandhotel ranken, geradezurücken. Zum Beispiel, was die pompöse Gästeliste aus zwei Jahrhunderten angeht, die im Internet kursiert und den Eindruck erweckt, Heiligendamm sei eigentlich Paris. Marcel Proust? Kein Beleg im Gästebuch. Franz Kafka? Hat vielleicht einmal von Graal-Müritz aus, wo er sich 1923 zur Tuberkulosekur aufhielt, einen Abstecher nach Heiligendamm gemacht. Lovis Corinth? War in der Gegend. Schiller? Wurde vor der Anreise krank. Immerhin: Rainer Maria Rilke hat den jodhaltigen Seenebel in Heiligendamm genossen und dort sogar ein Gedicht über den Hotelpark geschrieben, „Hinter den schuldlosen Bäumen“.


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mare No. 98

No. 98Juni / Juli 2013

Von Till Briegleb

In der Weißen Turmsuite des Hotels fühlte sich Till Briegleb, Jahrgang 1962, freier Journalist in Hamburg, ein wenig wie ein mecklenburgischer Storch. Vom Bett aus hatte er einen Rundumblick über die Ostsee und den Hotelpark. Beim Preis hilft allerdings kein Klappern: 1150 Euro die Nacht kostet der Nobelhorst.

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Vita In der Weißen Turmsuite des Hotels fühlte sich Till Briegleb, Jahrgang 1962, freier Journalist in Hamburg, ein wenig wie ein mecklenburgischer Storch. Vom Bett aus hatte er einen Rundumblick über die Ostsee und den Hotelpark. Beim Preis hilft allerdings kein Klappern: 1150 Euro die Nacht kostet der Nobelhorst.
Person Von Till Briegleb
Vita In der Weißen Turmsuite des Hotels fühlte sich Till Briegleb, Jahrgang 1962, freier Journalist in Hamburg, ein wenig wie ein mecklenburgischer Storch. Vom Bett aus hatte er einen Rundumblick über die Ostsee und den Hotelpark. Beim Preis hilft allerdings kein Klappern: 1150 Euro die Nacht kostet der Nobelhorst.
Person Von Till Briegleb