Funkelnd-blaue Saudade

Eine junge Generation von Rap-Musikerinnen und Musikern auf den Kapverdischen Inseln widmet sich in ihren Liedern den drängenden Problemen dieses Archipels: Armut, Drogenkriminalität und der schwierige Umgang mit dem kolonialen Erbe

Nato sitzt mit drei Homies vor einer Bar in Praia im Viertel Fazenda und trinkt Strela-Bier aus Pappbechern. Sein neuer Song dröhnt in Dauerschleife aus einer Boombox. „Ich habe das Stück für alle alleinerziehenden Mütter geschrieben“, erklärt er. Die jungen Männer singen den Refrain mit: „Ich bin kein König, ich besitze kein Land, aber du bist meine Königin. Selbst wenn du Kinder hast, dann mach meine Familie größer, kein Problem.“

Mag sein, dass die Welt außerhalb der Kapverden noch nicht von Nato Almeida gehört hat. Hier ist der 28-jährige ungelernte Elektriker und Rapper ein Star, ein so bulliger wie herzlicher Held der Straßen von Praia. Er hat Drogenkriege, eine Mordanklage und sechs Jahre Gefängnis hinter sich und schreibt nun Songs für jene, die drohen, es ihm nachzutun. „Die Musik hilft mir, meine Emotionen herauszulassen. Aber wenn ich die jungen Leute sehe, die heute gegeneinander auf den Straßen Krieg führen, möchte ich auch ihnen eine Botschaft schicken“, sagt Nato. Er singe nicht wie so viele andere kapverdische Künstler Partysongs über junge Mädchen, Verführung und Liebe, sondern rappe über die Realität der bairros, der Stadtviertel. Er klingt dabei aber auch anders als seine US-amerikanischen Pendants. Er konfrontiert nicht, sondern umschmeichelt und tröstet, taucht ein in die typische Melancholie der Kapverden, eine bereits von seinen Ahnen beschworene saudade, die er mit leichtfüßigem Hip-Hop und Afrobeats unterfüttert.

Cabo Verde – bei der Inselgruppe vor der westafrikanischen Küste denken viele erst einmal an Bilder aus Reiseprospekten, weiße Sandstrände, bunt bemalte Fischerboote. Wanderer schätzen die Vulkan­inseln für ihre unberührte Natur, die Passagiere von Kreuzfahrtschiffen für die  portugiesische Kolonialarchitektur als Selfie-Kulisse. Doch dann hören sie in den Bars der Hauptstadt überall wehmütig-ziehende Klagegesänge: Morna. Der Musikstil steht seit dem Aufstieg der kapverdischen Sängerin Cesária Évora zum Weltstar für ein Lebensgefühl aus Sehnsucht und süffig-romantischer Verlorenheit. Die Nationalheilige, deren Konterfei auf den Touristenmärkten zahlreiche T-Shirts, Taschen und CDs ziert, ist 2011 verstorben. Seither hat eine neue Generation junger Musikerinnen und Musiker ihr Erbe übernommen und mischt die vom portugiesischen Fado geprägten Melodien und afrikanischen Rhythmen mit amerikanischem Hip-Hop, brasilianischer Música Popular und nigerianischem Afrobeats. Sie erzählen auch weniger von Familien- und Seefahrertraditionen als vom Blues der Jugend – vom Überleben und Widerstand im Atlantik.

Wer ihre Geschichte verstehen will, sollte den Hintergrund kennen: Die Portugiesen richteten auf den einst unbewohnten Inseln eine der ersten europäischen Handelsstationen in den Tropen ein. Im 16. und 17. Jahrhundert wurden die Kapverden wegen der strategisch güns­tigen Lage eine wichtige Etappe des transatlantischen Sklavenhandels. 1975 entließ Portugal die Inselgruppe in die Unabhängigkeit. Doch Cabo Verde verfügt weder über Bodenschätze noch Industrie, lediglich der Tourismus boomt. Zudem blieb den Kapverdiern die Musik: Hatten die Portugiesen etwa den frenetischen, von Akkordeon und Reibeisen geprägten Funaná noch wegen subversiver Doppeldeutigkeiten verboten, explodierte die Kreativität der Musikszene nach der Unabhängigkeit und bot eine Chance für viele Jugendliche, die mit Arbeitslosigkeit und Drogenproblemen zu kämpfen hatten – und bis heute haben. Denn die Inseln sind zu einem Umschlagplatz des Kokainhandels zwischen Süd­amerika und Europa geworden. Die bairros von Praia befinden sich im Griff von Drogenbanden. Hinter der Fassade des Urlauberparadieses tut sich vielerorts die Hölle der Abgehängten auf. 


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mare No. 173

mare No. 173Dezember 2025 / Januar 2026

Von Jonathan Fischer und André Lützen

Jonathan Fischer, Jahrgang 1964, freier Journalist in München und Bamako, war überrascht, wie offen die Kapverdier über ihr schwieriges Leben sprechen und ihren Schmerz in wunderbare Songs verwandeln.

André Lützen, Jahrgang 1963, studierte Visuelle Kommunikation an der Hochschule für bildende Künste Hamburg und am International Center of Photography in New York. Sein Schwerpunkt ist die persönliche Dokumentarfotografie.

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Jonathan Fischer, Jahrgang 1964, freier Journalist in München und Bamako, war überrascht, wie offen die Kapverdier über ihr schwieriges Leben sprechen und ihren Schmerz in wunderbare Songs verwandeln.

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