Friede, Freude, Frontex?

Dem Druck der Armutsmigration aus Nordafrika und Asien stehen die nationalen Behörden der EU-Mitgliedsstaaten ratlos gegenüber. Ihr Heil suchen sie im „Outsourcing“ eigener Verantwortung an eine supranationale Einrichtung.

„Frontex, klingt wie ein Insektenvernichtungsmittel .“ Doch ausnahmsweise liegt die Bremer „Tatort“-Kommissarin Inga Lürsen in der Folge „Der illegale Tod“ mit ihrer Analyse daneben. Frontex – aus dem Französischen für frontières extérieures, Außengrenzen – ist kein Wanzenspray, sondern das schneidige Kürzel der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen. Ihr Motto: Libertas, Securitas, Justitia – Freiheit, Sicherheit, Gerechtigkeit.
Die rund 300 Mitarbeiter der Behörde residieren unter Führung des finnischen Brigadegenerals Ilkka Laitinen auf fünf Etagen eines Wolkenkratzers in Warschau. Im Hochgeschwindigkeitsaufzug geht es hinauf in den 22. Stock – vorbei an den Büros von Crédit Suisse, Hochtief und der Banque Privée Edmond de Rothschild. Auch Ewa Moncure steigt täglich in der 22. Etage aus, geht zur Sicherheitsschleuse, lässt ihr Gepäck durchleuchten und die Iris scannen. Ewa Moncure, gebürtige Polin, bei Frontex zuständig für den heiklen Kontakt zur Presse, ist freundlich. „Die Wurzeln unserer Agentur reichen bis ins Jahr 1985“, sagt sie. „Schengen hat einfach alles verändert. Plötzlich verlief die Grenze Deutschlands am Mittelmeer.“
Denn als sich im Zug der Schengener Abkommen Europas Binnengrenzen öffneten, blieb die EU-Außengrenze als Schutz vor illegaler Zuwanderung und grenzüberschreitender Kriminalität übrig. Plötzlich lastete „das Flüchtlingsproblem“ vor allem auf den Schultern der Mittelmeeranrainer, allen voran Italien, Spanien und Griechenland. Die Südländer fühlten sich im Stich gelassen mit der undankbaren Aufgabe, am nassen Limes im Mare Mediterraneum den Türsteher für die reichen EU-Staaten im Norden zu spielen. Nur allzu gern zeichnen Europas Rechtspopulisten das Bild der gierigen Horden aus Afrika, die als Boatpeople über das Mittelmeer strömen, um sich am europäischen Wohlstandskuchen zu laben. Nicht von Flüchtlingen oder Asylsuchenden ist da die Rede, sondern von Illegalen, Sozialschmarotzern, Drogendealern, Autodieben. Italiens Expremier Berlusconi sprach von einem „menschlichen Tsunami“, der auf das Abendland zurollt. Und an Frontex sollte sich diese Welle brechen.
Nach zähem Ringen wurde die Bewachung der Außengrenze – fast 8000 Kilometer an Land und mehr als 42 000 zur See – offiziell zur gesamteuropäischen Aufgabe erklärt. 2004 schuf der Rat der Europäischen Union die rechtliche Grundlage zur Errichtung von Frontex, die fortan die Arbeit der nationalen Grenzschutzbeamten im Süden und Osten unterstützen und damit für eine gerechtere Lastenverteilung sorgen sollte. Die Zentrale wurde nach Polen verfügt, das als neues Mitglied im EU-Club das Willkommensgeschenk gern annahm.
An der Spitze von Frontex steht das Management Board, das sich fünfmal im Jahr trifft, um neue Arbeitsprogramme zu beschließen, Finanzen zu verwalten und gegebenenfalls einen neuen Executive oder Deputy Director zu ernennen. Das Gremium setzt sich aus Vertretern der nationalen Grenzschutzbehörden der EU-Mitgliedsstaaten und der nicht zur EU gehörenden Schengen-Unterzeichner – die Schweiz, Norwegen und Island – sowie zwei Repräsentanten der Europäischen Kommission zusammen. Das Gesamtbudget aus den Beiträgen der Mitglieder hat sich seit 2005 mehr als verzehnfacht und lag 2012 bei rund 85 Millionen Euro. „Daten sammeln, analysieren und reagieren – das sind die Hauptaufgaben unserer Agentur“, sagt Pressesprecherin Ewa Moncure. „Von den für Grenzschutz zuständigen nationalen Behörden wie der italienischen Guardia di Finanza oder der spanischen Küstenwache Semar erhalten wir Informationen über Migrationsbewegungen an der Außengrenze. Auch mit den internationalen Polizeiorganisationen wie Interpol oder Europol arbeiten wir eng zusammen.“
Die Datenpakete landen schließlich im Allerheiligsten der Warschauer Zentrale, dem Frontex Situation Center, einem Raum voller überdimensionierter Videowände, interaktiver Land- und Seekarten und Reihen von Schreibtischen für die Analysten. Hier werden computergestützt Risikoanalysen erstellt, die als Entscheidungshilfe für eine möglichst effektive Verteilung des Überwachungsequipments an der Außengrenze dienen und an die betroffenen Mitgliedsstaaten weitergegeben werden.
„In den Medien wird Frontex häufig als europäische Grenzschutztruppe bezeichnet. Dieser Eindruck ist aber falsch“, sagt Ewa Moncure. „Wir sind keine militärische oder polizeiliche Einheit. Weder haben wir eine eigene Flotte, noch verfügen wir über eigene Einsatzkräfte.“ Das stimmt nur fast. Zwar besitzt Frontex tatsächlich keine eigene Truppe oder Ausrüstung, verwaltet dafür aber auf dem Papier einen Fuhrpark aus Einheiten der zahlenden Mitgliedsstaaten.


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mare No. 99

No. 99August / September 2013

Von Nils Ehrenberg

Nils Ehrenberg, Jahrgang 1980, hat Meeresbiologie studiert und ist heute freier Journalist und Autor in Bremen.

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Vita Nils Ehrenberg, Jahrgang 1980, hat Meeresbiologie studiert und ist heute freier Journalist und Autor in Bremen.
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