Friede den schwimmenden Palästen

Die Kreuzfahrtschiffe der DDR waren eher politisches als touristisches Vehikel. Sie sollten Ost-Berlins Image polieren und den Sozialismus auf Augenhöhe mit dem Westen heben

Strahlend blau ist der Himmel über Wismar an diesem 25. Juni 1960. Tausende Schaulustige haben sich auf der Mathias-Thesen-Werft versammelt, heute soll der erste Neubau eines deutschen Kreuzfahrtschiffs nach dem Zweiten Weltkrieg getauft werden. „Fritz Heckert“ soll es heißen, in Erinnerung an einen kommunistischen Gewerkschaftsführer.

Zwei Jahre zuvor hat SED-Chef Walter Ulbricht seine Genossen in einer Berliner Sporthalle zum Parteitag zusammengerufen. Die Lage ist ernst in diesem Sommer 1958, täglich verlassen Hunderte die DDR in Richtung Westen. Die Pankower Führung will ein Signal setzen. Sie verkündet nun den Bau eines Kreuzfahrtschiffs für Arbeiter und Bauern. „Es ist sehr schön, dass wir die politische Macht haben, aber wir müssen auch beweisen, dass unser Wohlstand wächst“, begründet Ulbricht das Vorhaben. Schon bald werden Stahlkocher aus Stalinstadt und Traktoristen aus Mecklenburg sich auf einem Luxusdampfer vom Aufbau des Sozialismus erholen, schreiben die Zeitungen.

Überall im Land werden kleine und große Schiffsmodelle aufgestellt, um die Menschen auf die Kreuzfahrtplanungen einzustimmen. Auf Kneipentresen, in Werkskantinen und in Taxis klappern die Spendenbüchsen. Denn die Bevölkerung soll das Geschenk selbst bezahlen, das ihr die Parteiführung macht. Für jene, die sich sonst nur einen Urlaub am heimischen Baggersee leisten können, klingen Kreuzfahrten verlockend. Mehrere Millionen Mark werden gespendet.

Bis Mitte der Sechziger würden vier schwimmende Ferienpaläste über die Meere fahren, verspricht die SED-Führung. Als erstes kauft sie Anfang 1960 die schwedische „Stockholm“, damals das größte Kreuzfahrtschiff der Welt, und stellt sie als „Völkerfreundschaft“ in Dienst. Im April 1961 schließlich ist auch die „Fritz Heckert“ klar zur ersten Reise. Wie schon der Stapellauf, so wird auch die Übergabe an den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) mit allem Pomp gefeiert. „Dieses herrliche Schiff zeugt vom kühnen Vorwärtsschreiten der Werktätigen unserer Republik auf dem Wege zum Sieg des Sozialismus, zu Wohlstand, Glück und Frieden“, ist sich einer der Redner sicher. „Dieses Schiff wird mit seinem Kiel auch die Wogen der Lügen der Adenauer, Lemmer [Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, die Red.] und Strauß zerteilen, die doch so gerne das Märchen von der ‚ach so bedauerlichen Bevölkerung der Zone‘ im Munde führen, die von all ihrer ‚sozialen Not‘ befreit werden müsse“, verkündet der FDGB.

Das Schiff ist mit viel modernem Kunststoff eingerichtet, seine Silhouette mit dem Doppelschornstein unverwechselbar. Die Passagiere schlürfen Cocktails am elegant geschwungenen Tresen der Milchbar und machen es sich in den gelb-rot getupften Schalensesseln des Tanzsalons bequem. Technisch allerdings wird die „Fritz Heckert“ den Erwartungen nicht ganz gerecht. Schon auf der Jungfernfahrt wird deutlich, dass das Schiff schnell und kostengünstig gebaut worden ist. Auf Stabilisatoren wurde verzichtet, denn die hätten aus dem Westen importiert werden müssen. Die „Fritz Heckert“ eiert durchs Wasser wie eine „Blechwanne“ – so der wenig schmeichelhafte Spitzname, den die Mannschaft ihrem Schiff gegeben hat.

Der Antrieb der „Fritz Heckert“, eine Kombination aus Dieselmotor und Gasturbine, wird weltweit zum ersten Mal bei einem Passagierschiff eingesetzt; auch hier will die DDR „Weltniveau“ beweisen. Im täglichen Einsatz versagt die Gasturbine allerdings häufig, und wenn sie doch einmal funktioniert, dann äußerst geräuschvoll. In einigen Kammern des Schiffes werden gesundheitsschädliche Schallpegel gemessen – keine gute Voraussetzung für einen erholsamen Urlaub. Auch die eigens für das Schiff entwickelte Klimaanlage arbeitet laut und ineffektiv. Wenn die „Vier Brummers“ aus Dresden ihren Auftritt auf der Showbühne haben, muss sie komplett abgestellt werden. Frei atmen oder gut hören – beides zusammen geht auf der „Fritz Heckert“ nicht.

In der DDR funktioniert in diesem Sommer 1961 auch nicht alles reibungslos. Der Flüchtlingsstrom schwillt wieder an. Anders als 1958 greift SED-Chef Ulbricht diesmal nicht zum Zuckerbrot. Er befiehlt, die Berliner Sektorengrenze abzusperren. In der Nacht zum 13. August 1961 werden die ersten Stacheldrahtverhaue errichtet. Die „Fritz Heckert“ darf noch einmal nach Schweden auslaufen, dann werden alle Westreisen gestrichen. Tallinn und Riga statt London und Piräus stehen nun auf dem Programm. Doch trotz Routenbeschränkungen und geheimdienstlicher Überwachung gelingt es Wagemutigen immer wieder, während einer Kreuzfahrt zu fliehen. In der Straße von Messina, im Fehmarnbelt oder im Bosporus, überall kommt es zu „Absprüngen“.

Anfangs kostet eine Seereise 250 Mark. Doch nach dem Mauerbau werden die aus Propagandagründen hoch subventionierten Ticketpreise kräftig angehoben. 1962 müssen für eine Schwarzmeerreise durchschnittlich 1200 und für eine Ostseereise 800 Mark auf den Tisch gelegt werden. Ab und an übernehmen die Betriebe einen Teil der Fahrtkosten. Dennoch verschlingen die Prestigeobjekte jedes Jahr Subventionen in Millionenhöhe. Mehr als 50 Millionen Mark investiert die DDR allein zwischen 1976 und 1980, um die „Völkerfreundschaft“ über Wasser zu halten. Seit 1965 werden sie und die „Fritz Heckert“ gegen Devisen regelmäßig an schwedische, dänische oder isländische Reiseunternehmen vermietet. Verträge mit Kreuzfahrtanbietern aus der Bundesrepublik lehnt die DDR aus politischen Gründen ab. Skandinavische Geschäftspartner werden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „eine Weitervercharterung an westdeutsche Reisebüros ausgeschlossen“ ist. Dennoch buchen hin und wieder auch Bundesbürger eine der günstigen Reisen. Mancher bemerkt erst auf hoher See, dass er sich auf einem schwankenden Stück DDR befindet. Um die Herkunft des Schiffes zu verschleiern, hat der schwedische Anbieter in seinen Katalogen den alten Namen des Liners, „Stockholm“, abgedruckt.


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  mare No. 72

No. 72Februar / März 2009

Von Andreas Stirn

Andreas Stirn, Jahrgang 1974, lebt und arbeitet als freier Autor und Historiker in Berlin. Von der „Fritz Heckert“ hat er erstmals durch seinen Vater gehört, der in den sechziger Jahren mit dem Urlauberschiff nach Leningrad gefahren war. Nach dem Mauerfall führte ihn die erste Westreise der Familie auch nach Helgoland – seine bislang einzige Hochsee-Erfahrung.

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Vita Andreas Stirn, Jahrgang 1974, lebt und arbeitet als freier Autor und Historiker in Berlin. Von der „Fritz Heckert“ hat er erstmals durch seinen Vater gehört, der in den sechziger Jahren mit dem Urlauberschiff nach Leningrad gefahren war. Nach dem Mauerfall führte ihn die erste Westreise der Familie auch nach Helgoland – seine bislang einzige Hochsee-Erfahrung.
Person Von Andreas Stirn
Vita Andreas Stirn, Jahrgang 1974, lebt und arbeitet als freier Autor und Historiker in Berlin. Von der „Fritz Heckert“ hat er erstmals durch seinen Vater gehört, der in den sechziger Jahren mit dem Urlauberschiff nach Leningrad gefahren war. Nach dem Mauerfall führte ihn die erste Westreise der Familie auch nach Helgoland – seine bislang einzige Hochsee-Erfahrung.
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