Friede den Schiffen, Krieg den Palästen

Die Novemberrevolution von 1918, die das Ende der Monarchie in Deutschland herbeiführt, beginnt mit einem Aufstand von Matrosen in Kiel

Auf den Schiffen der kaiserlichen Hochseeflotte, die auf Schillig-Reede vor Wilhelmshaven vor Anker lag, verbreitete sich Ende Oktober 1918 ein brisantes Gerücht. Die Flottenführung, allen voran der Chef der Admiralität, Reinhard Scheer, plane eigenmächtig, die Seeverbände in einem sinnlosen Abenteuer zu opfern. Und tatsächlich: Während die Reichsregierung unter Prinz Max von Baden einen Waffenstillstand mit der Entente verhandelte, suchte die Oberste Seekriegsleitung eine letzte große Schlacht gegen England – „auch wenn sie ein Todeskampf wird“, so Konteradmiral Adolf von Trotha. Die Lage war aussichtslos, der Erste Weltkrieg nicht mehr zu gewinnen, allein ihre Soldatenehre hofften die Offiziere durch diese Verzweiflungstat noch zu retten. Trotz größter Geheimhaltungsvorschriften bekamen die Matrosen Wind von dem Himmelfahrtskommando.

In der Nacht vom 29. auf den 30. Oktober 1918 kam es zu ersten Meutereien. Die Matrosen weigerten sich, die Anker zu lichten. Um zu verhindern, dass die Rebellion auf alle vor Wilhelmshaven liegenden Kriegsschiffe übergriff, kommandierte die Admiralität einen Teil der Flotte, das III. Geschwader, in seinen Heimathafen Kiel zurück.

In der Nacht zum 1. November 1918 passierte der Flottenverband mit den Schiffen „König“, „Bayern“, „Großer Kurfürst“, „Kronprinz“ und „Markgraf“ die Holtenauer Schleusen des Nord-Ostsee-Kanals, wo 47 mutmaßliche Rädelsführer der Wilhelmshavener Meuterei in städtische Haft gesetzt wurden, und lief mit über 5000 Mann Besatzung in den Kieler Hafen ein.

Nachdem die Preußen 1865 ihre Marinestation von Danzig nach Kiel verlegt hatten, wurde die Fördestadt nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 auch Reichskriegshafen und war von da an auch optisch im Wandel zur Militärmetropole begriffen: mit Marinegebäuden, einer Marineakademie, Forts auf beiden Seiten der Förde, Schießständen, einem Arsenal und einem Torpedohafen.

Zusehends füllte sich die Förde mit den Stahlkolossen der Marine. An ihrem Ostufer wuchs ein Weftenkomplex, wie es ihn im Deutschen Reich kein zweites Mal gab. Schiffbau und Marine beflügelten die Industrialisierung und förderten das Wachstum Kiels.

Zählte die Stadt um 1850 etwa 16 000 Einwohner, so waren es um 1905 zehnmal so viele. Von den rund 100 000 Erwerbstätigen im Jahr 1918 waren rund 70 000 Arbeiter. Kiel war eine Proletarierstadt, und die Arbeiter, die am meisten unter der schlechten Versorgungslage im Krieg litten, hatten genug vom Kampf. Nun kamen mit den Schiffen des III. Geschwaders noch Tausende weitere Kriegsmüde an die Förde.

Die Marineleitung gewährte den Soldaten zwar großzügig Landgang, um die Stimmung für sich zu wenden, doch es war zu spät. Rund 250 Mann versammelten sich im Kieler Gewerkschaftshaus, um zu beraten, was zu tun wäre, wenn es einen erneuten Befehl zum Auslaufen gäbe. Sie forderten die Freilassung ihrer Kameraden und knüpften Kontakte zu Vertretern der Gewerkschaften und der sozialdemokratischen Parteien SPD und USPD.

Am nächsten Tag, dem 2. November, blockierte die Polizei die Eingänge zum Gewerkschaftshaus, was aber 600 Matrosen nicht davon abhielt, sich auf dem Exerzierplatz im Viehburger Gehölz einzufinden und für den nächsten Tag eine große Demonstration zu beschließen. Die Vertreter der USPD, die an der Versammlung teilnahmen, mobilisierten für den Sonntagnachmittag, 3. November, mit kleinen Flugblättern zu einer Kundgebung. „Kameraden, schießt nicht auf eure Brüder! Arbeiter, demonstriert in Massen, lasst die Soldaten nicht im Stich!“

Am nächsten Tag war es so weit. Auf dem großen Kieler Exerzierplatz versammelten sich 5000 bis 6000 Menschen. Als publik wurde, dass weitere 57 Soldaten von der „Markgraf“ verhaftet worden waren, setzte sich die Masse in Bewegung, geradewegs auf die Arrestanstalt zu, um die Inhaftierten zu befreien. Unterwegs überfielen einige Demonstranten eine Kaserne und erbeuteten Waffen.

Um den Demonstrationszug aufzuhalten, beorderte die Marine drei Dutzend Mann unter Führung eines Leutnants zur Arrestanstalt. Der Leutnant stoppte gegen 19 Uhr die vordersten Linien des Demonstrationszugs, doch von hinten schob die Menge nach. Schließlich gab der Leutnant den Befehl zum Schießen. Die Menschen stoben in alle Richtungen auseinander. Zurück blieben sieben Erschossene und 29 Verletzte. Gouverneur Admiral Wilhelm Souchon kabelte nach Berlin: „Bitte, wenn irgend möglich, hervorragenden sozialdemokratischen Abgeordneten hierherzuschicken, um im Sinne der Vermeidung von Revolution und Revolte zu sprechen.“

Am 4. November solidarisierten sich die Arbeiter der Germaniawerft und der Torpedoanstalt in Friedrichsort mit den Matrosen und traten in den Streik. Souchon empfing eine Abordnung aus Soldaten, Arbeitersprechern aus großen Kieler Betrieben und Führern der sozialdemokratischen Parteien. Diese forderten nicht nur die Freilassung der inhaftierten Kameraden, sondern auch die Abdankung Kaiser Wilhelms II. Das war Revolution!


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mare No. 69

No. 69August / September 2008

Von Frank Trende

Frank Trende, Jahrgang 1963, ist Autor zahlreicher Beiträge und Bücher zur schleswig-holsteinischen Geschichte. Gemeinsam mit dem Schriftsteller Robert Habeck verfasste er das Buch 1918 – Revolution in Kiel, das diesen Herbst im Boyens Buchverlag in Heide erscheint.

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Vita Frank Trende, Jahrgang 1963, ist Autor zahlreicher Beiträge und Bücher zur schleswig-holsteinischen Geschichte. Gemeinsam mit dem Schriftsteller Robert Habeck verfasste er das Buch 1918 – Revolution in Kiel, das diesen Herbst im Boyens Buchverlag in Heide erscheint.
Person Von Frank Trende
Vita Frank Trende, Jahrgang 1963, ist Autor zahlreicher Beiträge und Bücher zur schleswig-holsteinischen Geschichte. Gemeinsam mit dem Schriftsteller Robert Habeck verfasste er das Buch 1918 – Revolution in Kiel, das diesen Herbst im Boyens Buchverlag in Heide erscheint.
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