Freiheit erleuchtet die Welt

Das Symbol der USA, Miss Liberty, stand einst in Paris

An Bord eines luxuriösen Passagierdampfers überquert im Juni des Jahres 1871 ein erfolgreicher junger Mann mit großen Zielen den Atlantik. Seine Stellung als anerkannter Künstler Frankreichs verlangt nach dieser standesgemäßen Passage. In seinem Gepäck ruht - wohlverpackt und hoch versichert - eine 52 Zentimeter große Statuette aus gebranntem Ton, die er dem amerikanischen Präsidenten General Ulisses S. Grant zeigen will. Die gleiche Statue, hundert mal größer und aus getriebenem Kupferblech - in Einzelteile zerlegt und in 200 Kisten verteilt - bereist genau 14 Jahre später die Transatlantikroute. Am 19. Juni 1885 erreicht sie auf einem kleinen Frachter namens „Isère" New York und wird wie ein hoher Staatsgast in ihrem künftigen Heimathafen empfangen. Aber erst ein Jahr später steht in ihrer Stirn ein neuer amerikanischer Präsident und wundert sich über einen nervösen Franzosen. Die große Schwester der kleinen Statuette im Gepäck von Monsieur Frédéric-Auguste Bartholdi wurde zur berühmtesten Monumentalplastik der Welt, zur Freiheitsstatue.

Der junge Bildhauer fühlte sich auf seiner ersten Amerikareise ein wenig wie ein Diplomat und ein wenig wie ein Bittsteller. Seine Aufgabe war es, um Unterstützung für eines der ehrgeizigsten Projekte der französisch-amerikanischen Freundschaft zu werben. Während der Belagerung von Paris im Krieg Frankreichs gegen Preußen hatten die Amerikaner die Bewohner der Stadt mit Lebensmittellieferungen vor dem Verhungern gerettet. Dafür wollten ihnen nun die Mitglieder der neu gegründeten französisch-amerikanischen Gesellschaft mit einem Geschenk danken. Deren Präsident, Edouard de Laboulaye, war ein feuriger Republikaner. Er verachtete den Staat und das Kaiserhaus Frankreichs und schwärmte für den jungen amerikanischen Staatenbund. Dieses Volksgemisch aus entlassenen Sträflingen, hungernden Arbeitslosen und freiheitssuchenden Abenteurern versprach, jene Ideale zu verwirklichen, für die die Französische Revolution einst gestanden hatte.

Zum einhundertjährigen Jubiläum der Unabhängigkeitserklärung sollte das geplante Geschenk an die Amerikaner übergeben werden. An Symbolik und Monumentalität unübertroffen sollte es zugleich für die Größe Frankreichs und die Ideale Amerikas sprechen. Hohe Erwartungen lasteten auf Bartholdis Amerikareise. Er war nervös; er hatte ernsthafte Bedenken, ob sein Vorhaben in den verbleibenden fünf Jahren zu verwirklichen sein würde. Schon zu oft hatte er sich in Geduld üben müssen, wenn es um die zähe Realisierung großer Aufträge ging, und allzuoft hatte Geld dabei eine fatale Rolle gespielt. Vor zwei Jahren hatte er dem Vizekönig Ägyptens, Ismael Pascha, Pläne und eine Modellstatuette für einen Leuchtturm in Frauengestalt vorgestellt. An der Einfahrt zum neuen Sueskanal stehend, sollte sie mit einer Fackel in der erhobenen linken Hand zum Ruhme Ägyptens beitragen. Aber schließlich war nach dem Bau des Kanals kein Geld mehr übrig für ehrgeizige Unternehmungen dieser Art.

Alle Zweifel verflogen, als Bartholdi früh am Morgen des 21. Juni 1871 New York aus den Nebelbänken des Hafenbeckens auftauchen sah. Wie nach einigen Tagen auf hoher See die grandiose Metropole in einem Schleier aus Wasserdunst erschien, beflügelte seine Phantasie. Sie ließ ihn glauben, daß hier tatsächlich die Neue Welt, das gelobte Land der Freiheit, vor ihm läge. Genau in diesem magischen Moment müßte für alle, die einmal nach ihm hier landen würden, seine Statue erscheinen. Und sie sollte so groß und majestätisch sein, wie die Idee, die sie verkörperte. Wie ein riesiger Leuchtturm sollte sie ihr Licht ausströmen, das Licht der befreienden Aufklärung. Und genau auf jener kleinen, der Spitze Manhattans vorgelagerten Insel sollte sie stehen! In diesen begeisterten Worten schrieb er kurz nach seiner Ankunft an Laboulaye.

Aber noch teilten die Amerikaner seine Begeisterung nicht. Der Präsident General Grant empfing ihn zwar, hatte aber andere Sorgen als dieses seltsame französische Geschenk. Erst vor acht Jahren hatte der Sezessionskrieg, der das Land zu zerreißen gedroht hatte, ein Ende gefunden und mit ihm die verhaßte Sklaverei. Es galt nun eher, den Idealen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit Geltung und Bestand zu verschaffen als ihnen ein monumentales Denkmal zu setzen. Und genau genommen war dieses Geschenk nur ein halbes. Die Statue würde zwar von den Franzosen geliefert, aber für den mindestens noch einmal so teuren Bau von Fundamenten und Sockel hätten die Amerikaner zu sorgen.

Obschon sich Bartholdi von diesem Empfang mehr als höfliche Skepsis versprochen hatte, ließ er sich nicht entmutigen. Schließlich gelang es ihm tatsächlich, in Amerika eine Anhängerschaft für sein Projekt zu gewinnen. Geld nun war das zentrale Problem auf dem weiteren Weg der Liberty nach New York. Auf beiden Seiten des Atlantik begann eine eifrige Sammeltätigkeit. Umtriebige Komitees und Gesellschaften organisierten Wohltätigkeitsbälle, Kollekten und Lotterien zugunsten des großen Werkes. Um die Skeptiker zum Schweigen und die Leute zum Spenden zu bringen, wurde auf der Weltausstellung von 1876 in Philadelphia die Hand mit der Fackel und zwei Jahre später auf der Weltausstellung von Paris der Kopf in Originalgröße gezeigt. Die Bemühungen der Komitees und die beiden Ausstellungen zeigten endlich den gewünschten Erfolg. 1884 waren 600 000 französische Francs beisammen. Der Fonds konnte geschlossen und die Ausführung der Statue in Auftrag gegeben werden.

Aber in Amerika fehlten noch immer etwa 100 000 Dollar für den Bau des Sockels. Hoffnungsvolle Spendenaufrufe an die reiche New Yorker Oberschicht waren ungehört verklungen. Man hielt die Statue nicht für ein Kunstwerk und daher für wenig unterstützungswürdig. Es war ein Exil-Ungar, der mit einem einmaligen Sammelaufruf die fehlende Summe zusammenkratzte. Joseph Pulitzer hatte kurz zuvor die kränkelnde Tageszeitung „The World" gekauft und mit einem neuen Konzept von Skandaljournalismus zu ungeahnten Auflagenhöhen getrieben. Sein Blatt gefiel den kleinen Leuten, und sie kauften es fleißig. Und genau an diese fleißigen, kleinen Leute wandte sich Pulitzer mit seinem Aufruf. Er versprach, den Namen jedes Spenders auf der Frontseite zu drucken. Sein Ruf fand ein enormes Echo. Innerhalb von nur fünf Wochen hatten 121 000 Spender die fehlenden 100 000 Dollar zusammengebracht.

In Paris schritt unterdessen die Arbeit an der Statue zügig voran. In zahllosen Varianten hatte Bartholdi die kleine Statuette schrittweise auf 1,30 Meter, dann auf 2,80 und zuletzt auf elf Meter Höhe vergrößert. In dieser Größe ließen sich die Einzelheiten ausreichend genau formen und gleichzeitig war die gesamte Gestalt für das Auge noch erfaßbar. In einem letzten Schritt fertigten Assistenten unter den wachsamen Augen des Künstlers die Einzelteile in Originalgröße. Nach diesen Gipsformen wurden im Atelier Gaget Holzformen, die sogenannten Coffrages, gebaut, auf denen die Kupferplatten in Form gehämmert werden konnten. Eisenbänder sollten diese einzelnen Bleche zusammenhalten und die Montage auf die Unterkonstruktion erlauben.

Der Entwurf dieser Unterkonstruktion allerdings stellte Bartholdi vor neue Probleme. Nachdem der bekannte Ingenieur Viollet-le-Duc die Tragstrukturen für die Hand und den Kopf entworfen hatte, war er unerwartet gestorben. Es war naheliegend, den renommiertesten Ingenieur seiner Zeit, Gustave Eiffel, um ein Projekt zu bitten. Eiffel, der mit dem Bau von ungewohnt gewagten und eleganten Brückenkonstruktionen in Eisenskelettbau bekannt geworden war, nahm den Auftrag zwar an, gab ihn aber an einen seiner Angestellten weiter. Der Entwurf einer später im Inneren einer Plastik verborgenen Konstruktion konnte ihn nicht reizen.


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mare No. 1

No. 1April / Mai 1997

Von Hansjörg Gadient

Hansjörg Gadient ist im August 1962 in Davos zur Welt gekommen, hat an der ETH in Zürich und der Hochschule der Künste Berlin Architektur und Städtebau studiert und 1990 diplomiert. An beiden Hochschulen hat er als Lehrbeauftragter und Oberassistent Architektur unterrichtet. Nach Engagements als Stadtplaner in Berlin und als Chefredaktor in Zürich arbeitet er heute als Professor für Landschaftarchitektur an der Hochschule für Technik in Rapperswil. Sein erster Beitrag für mare erschien in der Nullnummer und dann auch in der ersten Ausgabe im April 1997: Freiheit erleuchtet die Welt. Darin war die Freiheitsstatue in New York eines der Themen des Schwerpunktes Transatlantik.

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Vita Hansjörg Gadient ist im August 1962 in Davos zur Welt gekommen, hat an der ETH in Zürich und der Hochschule der Künste Berlin Architektur und Städtebau studiert und 1990 diplomiert. An beiden Hochschulen hat er als Lehrbeauftragter und Oberassistent Architektur unterrichtet. Nach Engagements als Stadtplaner in Berlin und als Chefredaktor in Zürich arbeitet er heute als Professor für Landschaftarchitektur an der Hochschule für Technik in Rapperswil. Sein erster Beitrag für mare erschien in der Nullnummer und dann auch in der ersten Ausgabe im April 1997: Freiheit erleuchtet die Welt. Darin war die Freiheitsstatue in New York eines der Themen des Schwerpunktes Transatlantik.
Person Von Hansjörg Gadient
Vita Hansjörg Gadient ist im August 1962 in Davos zur Welt gekommen, hat an der ETH in Zürich und der Hochschule der Künste Berlin Architektur und Städtebau studiert und 1990 diplomiert. An beiden Hochschulen hat er als Lehrbeauftragter und Oberassistent Architektur unterrichtet. Nach Engagements als Stadtplaner in Berlin und als Chefredaktor in Zürich arbeitet er heute als Professor für Landschaftarchitektur an der Hochschule für Technik in Rapperswil. Sein erster Beitrag für mare erschien in der Nullnummer und dann auch in der ersten Ausgabe im April 1997: Freiheit erleuchtet die Welt. Darin war die Freiheitsstatue in New York eines der Themen des Schwerpunktes Transatlantik.
Person Von Hansjörg Gadient