Frauen und Kinder zuerst!

Ein Schotte beweist Selbstlosigkeit im Untergang und begründet ein ungeschriebenes Universalgesetz der Seefahrt

False Bay, Südafrika, am 26. Februar 1852 um zwei Uhr nachts. Die "Birkenhead" läuft auf Grund, und Kapitän Robert Salmond trifft die falsche Entscheidung: Volle Fahrt zurück! Kann er wissen, dass sein Schiff auf einer messerscharfen Felsspitze sitzt? Die Schaufelräder des britischen Dampfers, der Nachschub für den Kaffernkrieg und frische Truppen samt Angehörigen transportiert, schaufeln rückwärts, und wie ein Dosenöffner schlitzt das Riff den Schiffsboden auf. Wasser flutet die unteren Decks, und mehr als 100 Soldaten ersaufen in ihren Hängematten. Die "Birkenhead" sinkt.

An Deck zerren halb nackte, aus dem Schlaf gerissene Matrosen und Soldaten an den Rettungsbooten, aber die klemmen fest. Rost, Dreck, Farbe, weiß der Teufel, warum sie sich nicht bewegen lassen. Sieben Boote hat die "Birkenhead", für mehr als 600 Menschen, das reicht sowieso nicht. Alles schreit durcheinander, es naht der Moment, da Angst in Panik umschlägt, in lähmende, tödliche Panik. Doch in diesem Augenblick tritt ein Mann vor und zieht seinen Säbel.

Major Alexander Seton bellt einen Befehl, der mühelos durch die Kakophonie der Verzweiflung dringt, weil er den Halt gibt, den sie alle suchen: Stillgestanden! Und alle stehen still. In Reih und Glied!, kommandiert Seton weiter, und seine Infanteristen und Schützen nehmen Haltung an. Dann die Order, die alle weiteren Anstrengungen auf ein Ziel konzentriert: Frauen und Kinder zuerst!

Kapitän Salmond und seiner Crew gelingt es, drei Boote klarzumachen. Nur wenige Minuten später sitzen 80 Menschen in Sicherheit. Schwer beladen sind die Boote, nur langsam kommen sie von dem sinkenden Schiff frei.

Da nimmt das Unheil an Fahrt auf. Die "Birkenhead", einer der ersten Navy-Raddampfer mit einem Eisenrumpf, bricht unter der Last des eingedrungenen Wassers auseinander. Der vordere Teil rauscht sofort in die Tiefe - und nimmt etwa 60 Mann, die an den Pumpen schuften, mit auf den Grund. Der Schornstein in der Schiffsmitte, an die zehn Meter hoch, kracht aufs Deck und erschlägt die Seeleute, die das nächste Boot klarieren wollen. Es ist nur noch eine Frage von Minuten bis zum Untergang.

Major Setons Urteilskraft steht vor der nächsten Prüfung. Alle sehnen sich nach dem erlösenden Kommando: Every man for himself! Doch der Offizier aus dem schottischen Aberdeenshire schaut auf die überladenen Rettungsboote, er blickt über die verbliebenen Männer auf dem Schiff - 400 sind es vielleicht noch - und lässt sie weiter in Formation stehen. Frauen und Kinder sind noch nicht weit genug weg, ohne Frage würden die restlichen Schiffbrüchigen versuchen, die Rettungsboote zu erreichen und womöglich zum Kentern bringen. Das sind die kühlen Gedanken des Alexander Seton in den letzten Minuten seines Lebens. Nur wenig später zieht es die wracke "Birkenhead" in die Tiefe.


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mare No. 41

No. 41Dezember 2003 / Januar 2004

Von Olaf Kanter

Olaf Kanter, geboren 1962, hat Anglistik und Geschichte studiert. Bei der Zeitschrift mare betreute er bis Ende 2007 die Ressorts Wissenschaft und Wirtschaft. Seit 2008 ist er Textchef im Ressort Politik bei Spiegel Online. Er lebt in Hamburg.

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Vita Olaf Kanter, geboren 1962, hat Anglistik und Geschichte studiert. Bei der Zeitschrift mare betreute er bis Ende 2007 die Ressorts Wissenschaft und Wirtschaft. Seit 2008 ist er Textchef im Ressort Politik bei Spiegel Online. Er lebt in Hamburg.
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Vita Olaf Kanter, geboren 1962, hat Anglistik und Geschichte studiert. Bei der Zeitschrift mare betreute er bis Ende 2007 die Ressorts Wissenschaft und Wirtschaft. Seit 2008 ist er Textchef im Ressort Politik bei Spiegel Online. Er lebt in Hamburg.
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