Forsche und Herrsche!

Hirohito war göttlicher Tenno auf dem japanischen Thron und Meeresbiologe aus Passion. Die Chronik eines Doppellebens

Gott hat kurze Hosen und nasse Füße. Konzentriert beäugt er die winzigen Kreaturen durch seine dicken Brillengläser, er ist kurzsichtig. Er sieht Nesseln, Geißeln, glibberiges Gewürm. Noch näher wird er ihnen ein paar Stunden später sein, in seinem Labor. Am Ufer hockt derweil die schwitzende Dienerschaft, einige Begleiter sind dem Sonnenstich nahe. Aber keiner wagt es, das Himmelswesen zu stören. Jetzt schiebt es sein lustiges Hütchen zurück, es lächelt. Gott ist glücklich.

Er war es jeden Montag- und Donnerstagnachmittag und den ganzen Samstag. Denn dann widmete sich der 1 24. Tenno Hirohito – mythischer Nachfahre der Sonne und der Tochter des Meeresgottes – seiner Passion: der Meeresbiologie.

Bereits als Kronprinz war er mehr am wissenschaftlichen als am höfischen Protokoll interessiert. Der Tod mit 88 Jahren stürzte ihn nicht vom Thron, er traf ihn im Labor – mitten in der Arbeit zu einem weiteren dickleibigen Werk über seine geliebten Quallen und Polypen. Die Wesen auf dem Meeresgrund wurden seine Freunde, da er – als Gott – menschliche sowieso nicht haben durfte.

Es waren zwei Personen, die diese Passion entflammten. Zum einen Hirohitos Großvater, Kaiser Meiji, dessen Leidenschaft der Marine galt; Hirohito verehrte ihn stets als sein großes Vorbild. Und dann war da Hirohitos engster Vertrauter in jenen Jahren, der Biologe Kotaro Hittari. Er brachte dem künftigen Tenno nicht nur das Schreiben bei, er verteidigte zugleich dessen Forscherdrang gegen das Missfallen der Militärs, die meinten, es stünde einem künftigen Oberbefehlshaber schlecht zu Gesicht, niederes Getier zu bewundern.

Da hatte der junge Hirohito bereits seine erste Sammlung angelegt. Ein paar Jahre später, mit 17, entdeckte er am Strand von Numazu erstmals eine neue Spezies – eine „hellrote Garnele von etwa acht Zentimeter Länge“, wie sich sein Kammerherr Osanaga Kanroji erinnert. Sie bekam den wissenschaftlichen Namen Anoplodactylus imperialis. An die 400 Arten sollte Hirohito bis zu seinem Tod im Jahr 1989 noch taufen können.

Um ihm das Sammeln zu erleichtern, baute der Hof den Kutter „Hayama Maru“. Jeder Hol wurde intensiv begutachtet, eingeordnet und für die Kollektion beschriftet. War die akademische Beute außerordentlich, widmete ihr der Kammerherr – in kaiserlichem Auftrag – noch ein Gedicht.

Hirohito war zweifelsohne ein bemerkenswerter Mensch, ein merkwürdiger wohl auch. Aber immerhin, ein Mensch. Er selbst bezweifelte stets sein Gottkaisertum, um schließlich am Neujahrstag 1946 (wenn auch nicht ganz freiwillig) vom Himmel zu steigen: Per selbst verfasstem Dekret erklärte er sich zum Menschen. Dennoch vernachlässigte er nie die Zeremonien des Shinto, die Anbetung seiner göttlichen Ahnen; nie auch stellte er sich gegen das höfische Protokoll, dieses Korsett der Tradition, welches ihn nach eigener Aussage zum „Vogel im Käfig“ machte.

Seine Regentschaft nannte er „Showa“, was übersetzt etwa „erleuchteter Friede“ heißt. Doch unter den Stiefeln seiner Soldaten erzitterte ganz Südostasien. Er verfasste Haikus, die traditionellen, tiefsinnigen Gedichte, wie er Angriffspläne unterschrieb. „Ich gehe jetzt ins Labor“, pflegte er zu sagen, „ist da irgendetwas, was ich vorher erledigen muss ?“ Eine Zeit lang war es die persönliche Verabschiedung Hunderter Kamikaze-Flieger in den sicheren Tod.

Er verkörpere die „dunkelste Seite der menschlichen Natur“, schrieben US-Zeitungen – gleichzeitig feierten sie ihn als „ersten Gentleman Japans“. Hirohito liebte den Westen, das Golfspiel wie das Rührei mit Schinken. Gleichwohl stellte er sich nicht gegen seine Generäle, als diese gegen die Amerikaner ziehen wollten. Erst nachdem alles zu spät war, nutzte er seine von der Verfassung gegebene Stimme, den Zweiten Weltkrieg zu beenden. Das Foto, das ihn nach Unterzeichnung der Kapitulation neben seinem Bezwinger MacArthur zeigt, ist bis heute das bekannteste: Klein, fast chaplinesk wirkt er im Forsche und herrsche! Der 124. Kaiser Japans war zeitlebens zu einem Doppelleben gezwungen. Er war das Staatsoberhaupt, das Nippon im Krieg führte. Und zugleich der Meeresbiologe Hirohito, der die Quallen liebte Cut, daneben der überragende General. Für viele Landsleute allerdings wuchs Hirohito ins Riesenhafte, als er die Verantwortung für die Kriegsfolgen übernahm – überzeugt, dass ihn der siegreiche Feind henken würde.


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mare No. 58

No. 58Oktober / November 2006

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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