Folge 6: Das Virus darf nicht an Bord

Wie ein Polararzt von Land aus die Crew vor Ansteckung schützt

Als ich vor 39 Jahren mein Medizinstudium begann, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich einmal in der Polarforschung tätig sein und zwischen Arktis und Antarktis pendeln würde. Ich war jahrelang als Koordinator und Operations Manager für die Neumayer-Station in der Antarktis zuständig. Bei der Versorgung der Station hatten wir immer wieder mit wechselnden Eis­lagen und Wetterverhältnissen zu kämpfen. Mit ständig neuen Herausforderungen konfrontiert zu sein gehörte zu meinem Alltag. Diese Erfahrungen helfen mir jetzt dabei, die aktuelle Situation, auf die wir alle nicht vorbereitet waren, zu bewältigen.

Die MOSAiC-Expedition ist für sich genommen schon eine riesige Herausforderung, aber in Zeiten der Covid-19-Pandemie ist sie noch viel größer geworden. An Bord der „Polarstern“ bin ich zwar diesmal nicht. Dafür gehöre ich zum Team, das sich an Land um den Ablauf der einzelnen Fahrtabschnitte und Versorgungen kümmert. Als Chirurg bin ich auf dem Gebiet der Infektiologie eigentlich fachfremd, aber zwangsläufig bin ich jetzt gefordert. Ich muss dafür sorgen, dass der Austausch von ­Besatzung und Wissenschaftlern trotz aller widrigen Umstände Ende Mai [nach Redaktionsschluss, die Red.] stattfindet.

Während des einjährigen Aufenthalts der „Polarstern“ in der Arktis wechseln alle paar Monate die Teams an Bord – ein enormer logistischer Aufwand. Jetzt aber ist es noch schwieriger. Wie zum Beispiel bekommt man eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern, die sich demnächst an Bord begeben muss, durch geschlossene europäische Grenzen? Da muss man viel mit den Behörden kommunizieren.

Oder: Wie sorgen wir dafür, dass die Expeditionsteilnehmer aus der Arktis wieder nach Hause können, ohne dass alle in Quarantäne müssen? Sie kommen zwar aus einer absolut Sars-CoV-2-freien Umgebung. Aber auch das muss mit den Behörden der Transitländer erst einmal geklärt werden. Beim letzten Wechsel im März hatten wir eigens ein Flugzeug gechartert, um die geschlossene Gruppe vom Schiff direkt nach Deutschland zu fliegen. So konnten wir die Quarantäne in Norwegen vermeiden.

Die Infektionsfreiheit auf der „Polarstern“ zu gewährleisten ist extrem wichtig. Schwere Covid-19-Erkrankungen an Bord könnten unter Umständen eine Unterbrechung oder sogar einen Abbruch der MOSAiC-Expedition bedeuten. In der hohen Arktis ist die Evakuierung schwer Erkrankter nur mit großem Aufwand möglich. Eine solche Evakuierung klappt nicht innerhalb weniger Stunden, da der Rettungswagen nicht um die Ecke bereitsteht. Dazu kommen äußere Umstände wie Wetter- und Eisbedingungen. Die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten an Bord des Schiffes sind zwar gut, aber intensiv­medizinische Maßnahmen sind nur begrenzt möglich.

Wie kann man also vor Abreise des neuen Teams das Infektionsrisiko so gering wie möglich halten? Laut unserem neuen Austauschplan müssen alle Teilnehmer des bevorstehenden Expeditionsabschnitts in eine vorherige 14-tägige Quarantäne mit strenger Isolation – in einem eigens dazu angemieteten Hotel. Das Verlassen der Häuser ist nicht erlaubt, es wird mehrmals mittels Rachenabstrich auf Corona getestet, ehe die Teilnehmer ohne erneuten Kontakt zur Außenwelt zum Schiff gebracht werden. Alles muss genauestens geplant sein: Wie bekommen die Teilnehmer kontaktlos ihr tägliches Essen? Ab welchem Zeitpunkt können sie ihre Zimmer verlassen und sich im Hotel frei bewegen?

Nötig ist auch ein Konzept für den Fall, dass ein Teilnehmer positiv auf Covid-19 getestet wird. Wo an Bord wird er dann ­untergebracht, um die anderen nicht zu gefährden? Außerdem ­haben wir für die „Polarstern“ Laborgeräte zur Diagnostik einer Infektion angeschafft und Mitarbeiter dafür eingearbeitet.

Aber so sind wir im Hinblick auf weiter fortbestehende Einschränkungen für den nächsten Wechsel im August gut vorbereitet und werden entsprechende Erfahrungen gesammelt haben.

mare No. 140

mare No. 140Juni / Juli 2020

Von Eberhard Kohlberg und Esther Horvath

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Person Von Eberhard Kohlberg und Esther Horvath
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