Fisherman’s Trend

Am baskischen Golf von Biskaya sind die Menschen ernst und verschlossen, das Wetter ist kühl, die Häuser haben ausladende Regendächer. Viele sind aus dunklem Granit, wie das in der Calle Aldamar 10 in dem Fischerdorf Getaria. Wind und Regen haben seinen Fassadenputz abblättern lassen und die Steine darunter freigelegt. In diesem Haus ist 1895 einer der beiden großen Söhne des Ortes geboren: Cristóbal Balenciaga. Der andere war Juan Sebastián Elcano, der es als Weltumsegler im 16. Jahrhundert zu Ruhm brachte. An Elcano erinnert eine Statue, Balenciaga hat seit vergangenem Jahr ein Museum. Mit Elcano tut sich keiner der Einheimischen schwer. Er ist ein Held. Er steuerte zu den Molukken und ums Kap der Guten Hoffnung. Dafür schlug ihn König Karl V. zum Ritter. Er tat, was in Getaria fast alle Männer seit je tun: Er fuhr zur See.

Mit Cristóbal Balenciaga verhält es sich anders. Sein Vater José war zwar Fischer und später Kapitän der Küstenwache. Er wuchs in einer der Straßen auf, die zum Hafen führen. Doch Cristóbals Spielplatz war die Nähstube seiner Mutter. Martina Eizaguirre war Schneiderin. Als ihr Mann starb, war Cristóbal elf. Die beiden älteren Kinder verdienten sich ihr Brot bereits selbst. Also begleitete der Jüngste die Mutter zum Maßnehmen in die Häuser ihrer Kundinnen, etwa in den Palast des Marques und der Marquesa de Casa Torres, den Großeltern der belgischen Königin Fabiola.

Balenciaga stammte aus einer Welt, in der Schamgefühl und Anstandsdenken das Zusammenleben prägten und Härte und Armut den Alltag bestimmten. Die Mieder der Frauen waren hochgeschlossen, die Hemden der Männer zugeknöpft. Die Menschen trugen Schwarz oder Mahónblau, selten Weiß, manchmal ein rotes Tuch. Und in Getaria sind die Wiesen grün, der Himmel ist oft grau und das Meer dunkel. All das verwob der Couturier in seinen Kreationen, die kräftigen, dunklen Farben und das Ernsthafte und Hochgeschlossene der baskischen Biskaya.

Balenciaga verabscheute dekorative Elemente, strebte zeitlebens nach dem Kleid ohne Naht, begeisterte die Welt mit schlichten Schnitten und zurückhaltender Eleganz. Aus Schmucklosem und Funktionalem machte er Haute Couture, aus Südwestern der Seeleute wurden extravagante Brauthüte, aus weiten Hemden der Fischer luftige Sommerblusen. Frauen sollten sich in seinen Kleidern wohlfühlen. Mindestens ein Fingerbreit musste zwischen Stoff und Haut passen.

„Ohne die Fischer“, schreibt die „Washington Post“, wäre Designer Cristóbal Balenciaga „um Inspiration verlegen gewesen“. Auch die US-Modedesignerin und ehemalige „Vogue“-Chefredakteurin Diana Vreeland erblickt im Meer die Quelle von Balenciagas Schaffen: „Die Inspiration kam von den weit geschnittenen Kleidern der Fischer.“

Der Weg hinauf zum Palast der Casa Torres ist kurz. Man überquert die Hauptstraße des 2700-Seelen-Ortes und geht dann über eine Wiese ein paar Meter nach oben. Dort steht das rot-weiße Haus aus dem 19. Jahrhundert. Seit Kurzem hat es einen langen, dunklen Anbau, das Cristóbal Balenciaga Museoa. Manche Einheimische hätten in der ehemaligen Sommerresidenz lieber ein Altersheim gehabt. Doch das Museum steht am richtigen Ort. Denn in dem Gebäude lernte der schmale, dunkelhaarige Cristóbal eine Welt kennen, die vor allem von Frauen bevölkert war. Der Sohn, seine Mutter und deren Kundinnen verbrachten hier viele Nachmittage. Er durfte in die Schränke der Marquesa blicken, wo Kostüme, Mäntel und Kleider aus London und Paris hingen. Zwischen Tweed und Satin beschloss er als erster Mann in Getaria, nicht das Fischernetz, sondern die Nähnadel zu seiner Lebensgrundlage zu machen.

Als er zwölf war, konnte ihm seine Mutter nichts mehr beibringen. Er verließ das Dorf, zog 18 Kilometer weiter nach San Sebastián in die Lehre. Mit 22 Jahren eröffnete er in der Küstenstadt seinen eigenen Salon. 20 Jahre später, der Spanische Bürgerkrieg war gerade ausgebrochen, zog er nach Paris. Schon mit seiner ersten Kollektion, die er im August 1937 zeigte, erregte der 42-Jährige Aufsehen. Zehn Jahre später entwarf er ein Kostüm im sogenannten Fassschnitt und wurde damit zum Trendsetter. Sein ewiger Konkurrent Christian Dior sagte über ihn: „Wir machen mit Stoff, was wir können. Balenciaga macht damit, was er will.“ Coco Chanel sagte: „Balenciaga ist der einzig wahre Couturier unter uns.“ Er selbst sagte: „Frauen brauchen nicht schön zu sein. Meine Kleider machen sie schön.“

Klassische Kreationen mit hochgesetzter Taille und weitem Rock kaschierten alles, geometrische Entwürfe wie das Babydollkleid, das Trapez- oder Sackkleid verliehen Eleganz, ohne den Körper zu betonen. Tiefe Dekolletés hatten seine Kreationen selten. Vielleicht verbot ihm das sein baskisches Schamgefühl. Die Historikerin Amaia Mújika Goñi sagt: „Man erkennt Balenciagas Wurzeln nicht nur an der Schlichtheit seiner Mode und den klaren Linien, sondern auch in unzähligen Details, die beim ersten Blick nicht auffallen. In seinen Kreationen hat er das Kollektivgedächtnis der Basken konjugiert.“


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mare No. 93

No. 93August / September 2012

Von Brigitte Kramer

Brigitte Kramer, geboren 1967 in München, lebt seit vielen Jahren in Spanien. Der Name Balenciaga war für sie lange nicht mehr als die Bezeichnung einer teuren Marke. Als sie das Museum im Baskenland besuchte, tat sich ihr eine neue Welt auf: Sie verstand, dass Mode viel mehr sein kann als Glamour und Getue. Seitdem verehrt sie den diskreten Modeschöpfer.

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Vita Brigitte Kramer, geboren 1967 in München, lebt seit vielen Jahren in Spanien. Der Name Balenciaga war für sie lange nicht mehr als die Bezeichnung einer teuren Marke. Als sie das Museum im Baskenland besuchte, tat sich ihr eine neue Welt auf: Sie verstand, dass Mode viel mehr sein kann als Glamour und Getue. Seitdem verehrt sie den diskreten Modeschöpfer.
Person Von Brigitte Kramer
Vita Brigitte Kramer, geboren 1967 in München, lebt seit vielen Jahren in Spanien. Der Name Balenciaga war für sie lange nicht mehr als die Bezeichnung einer teuren Marke. Als sie das Museum im Baskenland besuchte, tat sich ihr eine neue Welt auf: Sie verstand, dass Mode viel mehr sein kann als Glamour und Getue. Seitdem verehrt sie den diskreten Modeschöpfer.
Person Von Brigitte Kramer