Fischefasching

Algen sei Dank: Wie ein Münchner Küchenchef mit seinem veganen Sushi zu kulinarischem Ruhm gelangt

Der Blauflossenthunfisch aus dem Mittelmeer hat eine lange und umständliche Reise hinter sich, bis er auf einem Münchner Teller landet. Und so müsste der wahre Preis eines Thunfisch-Nigiris einkalkulieren, dass die lückenlose Kühlkette vom Meer in die Küche eine hohe CO2-Belastung aufweist. Dass für den Transport ein Lkw Abgase in die Luft jagt. Dass die Bestände des Thunnus thynnus drastisch minimiert sind. Dass Fischer immer wieder die Quoten überschreiten oder mit illegalen Methoden arbeiten. Am Ende dieser Rechnung steht noch die moralphilosophische Frage, ob es überhaupt legitim ist, Tiere zu essen.

Pawel Gnatowski findet diesen Preis des Thunfisch-Nigiris zu hoch. Der gebürtige Pole ist einer der ersten und einzigen veganen Sushiköche Deutschlands. „Kansha“ heißt sein Restaurant, und es hat nicht weniger im Sinn als ein nachhaltiges Umdenken bei den fisch- und fleischverwöhnten Münchnern.

Die Geschichte Gnatowskis beginnt in Krakau. Schon in der Schule jobbt er im Restaurant seiner Großmutter. Irgendwann übernimmt er in Krakau ein Sushirestaurant, das die Besitzer loswerden wollen. Das „Youmiko“ wird unter Gnatowskis Regie zum angesagtesten japanischen Restaurant mit Ableger in Polens Hauptstadt Warschau. Doch die Suche nach Fisch in guter Qualität ist eine frustrierende Angelegenheit. Gnatowskis Freundin ist Veganerin, und auch er ernährt sich irgendwann vegan – es ist für ihn eine Frage der Tierethik geworden. Er beginnt, sich unwohl zu fühlen mit den schönen Tieren, die tot auf seinem Schneidebrett liegen. Im Restaurant in Krakau testet er seine Kunden mit einem veganen Sonntag. Es wird ein großer Erfolg. In einem radikalen Gang stellt er das ganze Restaurant um. Einige Kunden bleiben weg, viele kommen hinzu. Doch Gnatowski will weg aus Polen, gemeinsam mit seiner Freundin, die er mittlerweile ge- heiratet hat. Als er über einige Zufälle die Gelegenheit bekommt, nach München auszuwandern, als Head Chef ein neues veganes Sushirestaurant zu managen und die Wohnung direkt darüber samt Hund und Katze zu beziehen, packt der Sushikoch die Koffer.

Im Frühling 2018 war das, und seither arbeitet Gnatowski daran, die Münchner für sich und seine Sushikreationen zu gewinnen. Die meisten Gäste, die ins „Kansha“ kämen, seien neugierig, offen und bereit, etwas Neues zu entdecken. Es kommen die Sushiverrückten, die Slowfoodgenießer, die Avantgardisten und natürlich die Veganer.

Gnatowski ist in der Küche kein Showmaster, eher ein Spielkind. Daikonrettiche verwandeln sich unter seinen geschickten Händen in zartrosa Koralleninseln. Die geschälte, filetierte und marinierte Tomate auf dem Nigiri hat er so bearbeitet, dass sie sich als roher Thunfisch verkleidet anbietet. Als er ein Gericht mit püriertem Weiß- und Blumenkohl servierte, sagte ein Gast zu ihm: „Das schmeckt ja wie Oktopus!“ „Reiner Zufall“, sagt der Sushimeister und grinst. Ob das so stimmt?

Von Fischersatzprodukten hält er jedenfalls wenig. Doch er tüftelt gern mit Zutaten, Marinaden, Würzungen oder Zu- bereitungsarten herum, die auch für tierische Produkte verwendet werden. Eine Selleriewurzel etwa kann sich geschmacklich als weißer Fisch tarnen, Tofu wird mit der richtigen Marinade zum Aal.

Und wer’s vergessen hat: Im Meer wachsen nicht nur Fische heran, sondern allerlei schmackhafte Algenarten, die mit wenig Aufwand gefangen, gelagert und zubereitet werden können. Und die in der japanischen Küche mindestens so wichtig sind wie roher Fisch. Am liebsten zeigt Gnatowski seinen Gästen einfach, welche Köstlichkeiten sich aus Pflanzen zubereiten lassen. Gelingt ihm das, profitieren alle: Seine Gäste bekommen ein fantastisches Essen, der Koch kann mit seinem Einfallsreichtum glänzen, und weniger Fische müssen daran glauben.

Wer nun im „Kansha“ speist und doch plötzlich die Abwesenheit der geschuppten Meeresbewohner spürt, findet, gut versteckt zwischen roten Lampions und Holztischen, dann doch noch einen Fisch: einen tätowierten Thun auf Pawels Unterarm. Den kann man begutachten, während der Meister in schwindelerregendem Tempo auf seinem Hackbrett an der Sushibar zugange ist.


Tomaten-Nigiri

Zutaten und Zubereitung (für vier Personen)

4 große Tomaten mit heißem Wasser überbrühen, Haut abziehen, halbieren, entkernen und in dünne Scheiben schneiden. 8 EL Sesamöl, 6 EL Tamari- Sojasauce, 4 EL Reisessig, 2 TL Zucker, eventuell etwas Mikawa Mirin (Süßreislikör) zu einer Marinade verrühren. 4 Algenblätter und die Tomatenscheiben in die Marinade legen, zugedeckt einige Stunden im Kühlschrank marinieren lassen. Algenblätter aus der Marinade fischen. Die Tomatenscheiben wie sonst den Thunfisch auf Reisbällchen anrichten und mit Sojasauce servieren.


Kansha
Occamstraße 6, 80802 München,
Tel. 089/998297640.
Geöffnet Mo bis Sa 18 bis 23 Uhr, So Ruhetag.

mare No. 138

mare No. 138Februar / März 2020

Von Anne-Sophie Balzer und Nina Vogl

Anne-Sophie Balzer studierte Literatur-, Kommunikations- und Kulturwissenschaft, lebt in Berlin und Norwegen und arbeitet als freie Autorin und Journalistin im Bereich Print, Online und Hörfunk. Ihre Arbeiten erscheinen in der Zeit, mare, Berliner Tagesspiegel, Focus, Berliner Morgenpost, taz und bei DLF Kultur. Mit Vorliebe befasst sie sich mit Themen der nördlichen Hemisphäre, Geschichten aus Norwegen, Schweden, Dänemark oder Finnland und den Auswirkungen der Klimakrise auf diese Länder.

Nina Vogl hat Sportwissenschaften studiert und nebenher schon jede Menge Schreiberfahrung gesammelt – unter anderem bei Zeitjung. Sie ist Redakteurin des digitalen Stadtmagazins Mit Vergnügen München.

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Vita Anne-Sophie Balzer studierte Literatur-, Kommunikations- und Kulturwissenschaft, lebt in Berlin und Norwegen und arbeitet als freie Autorin und Journalistin im Bereich Print, Online und Hörfunk. Ihre Arbeiten erscheinen in der Zeit, mare, Berliner Tagesspiegel, Focus, Berliner Morgenpost, taz und bei DLF Kultur. Mit Vorliebe befasst sie sich mit Themen der nördlichen Hemisphäre, Geschichten aus Norwegen, Schweden, Dänemark oder Finnland und den Auswirkungen der Klimakrise auf diese Länder.

Nina Vogl hat Sportwissenschaften studiert und nebenher schon jede Menge Schreiberfahrung gesammelt – unter anderem bei Zeitjung. Sie ist Redakteurin des digitalen Stadtmagazins Mit Vergnügen München.
Person Von Anne-Sophie Balzer und Nina Vogl
Vita Anne-Sophie Balzer studierte Literatur-, Kommunikations- und Kulturwissenschaft, lebt in Berlin und Norwegen und arbeitet als freie Autorin und Journalistin im Bereich Print, Online und Hörfunk. Ihre Arbeiten erscheinen in der Zeit, mare, Berliner Tagesspiegel, Focus, Berliner Morgenpost, taz und bei DLF Kultur. Mit Vorliebe befasst sie sich mit Themen der nördlichen Hemisphäre, Geschichten aus Norwegen, Schweden, Dänemark oder Finnland und den Auswirkungen der Klimakrise auf diese Länder.

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