Wenn sich gegen fünf Uhr die Skyline der Stadt schemenhaft aus dem morgendlichen Dunst schält, die Avenidas noch frei von Abgasqualm und Hupkonzerten still daliegen, wenn sich die grauen Pelikane bedächtig von den Laternen auf der Mole emporschwingen und die ersten Boote am Hafenkai festgemacht haben, dann beginnt auf dem Mercado del Marisco, dem größten Fischmarkt von Panama-Stadt, das Leben.
Mit Hämmern zerschlagen Arbeiter kubikmetergroße Eisblöcke in kleine Stücke, die Händler schütten das „crushed ice“ in riesige Plastikwannen, um den Fisch kühl zu betten: Hornhechte, Brassen, Sardinen, Schwertfisch, Seezunge, Corvina. Und natürlich Meeresfrüchte: Garnelen, Klaffmuscheln, Schnecken, Langusten, Tintenfische. Es wird portioniert und gewogen, und zwischen all den Ständen wuseln Jungen herum, die Tee aus Thermoskannen ausschenken.
Neben den Buden aus Wellblech erhebt sich eine Halle aus Glas und Stahl. Hier, auf dem modernen Teil des Marktes, einem Geschenk der Japaner an die Stadt, arbeiten die Händler in weißen Schürzen hinter im Neonlicht blitzenden Edelstahltheken. Hier kauft morgens um halb sieben Uhr der Chefkoch vom Hotel Bristol ein, und hier findet man im ersten Stock das „Restaurante de Mariscos“.
Es ist ein einfaches Restaurant für einfache Leute: ohne viel Fischerkitsch an den Wänden. Kein Kerzenlicht, keine Kellner von oben herab, keine verchromten Leuchten, kein kupfernes Pfannendekor, keine feinen Fischmesser. Statt dessen Papierservietten und quadratische Tische mit roter Stoffdecke unter einer Glasplatte (abwaschbar!), dazu solides Holzgestühl. Frühmorgens hocken Fischer und Seeleute bei Rühreiern mit Krabben, mittags kommen die Angestellten aus den umliegenden Büros, und manchmal verirren sich auch ein paar Touristen hierher.
Die Karte ist ebenfalls schlicht: Es gibt Fisch – gekocht, gebraten oder gedünstet, mit viel Kokosnußreis. Und vorweg natürlich Cebiche Corvina, kleine, in Essig eingelegte Stücke Fisch mit zerhackten Zwiebeln, im Cocktailglas serviert. Ausgefallenes sucht man vergeblich. Dafür findet man „Los Mejores Pescados y Mariscos en Panamá“, wie stolz ein handgeschriebener Zettel über dem Tresen verkündet: den frischesten Fisch im ganzen Land. Vor allem aber: Man kann ihn unten in der Markthalle selbst aussuchen und bezahlt direkt beim Händler; gegen umgerechnet 3,50 Mark Gebühr das halbe Kilo bereitet ihn Esperanza Córdoba dann oben gerne zu.
Die Köchin stammt aus einer Fischerfamilie in Darien im Süden des Landes. Daher kommt auch die Kochkunst der Mulattin, denn eine offizielle Ausbildung hat sie nie absolviert. Daß man frischen Fisch am Glanz in den Augen und der Festigkeit der Schuppen erkennt, weiß Esperanza auch so. Nur höchst selten kommt es vor, daß sich ein Gast beschwert. Wobei ehrlicherweise anzumerken ist, daß die Panamaer hier nicht gerade große Feinschmecker sind. Hauptsache, die Menge stimmt.
Und schnell muß es gehen. In zehn bis zwanzig Minuten zaubert Esperanza den Fisch auf den Tisch. Natürlich würde sie gerne mal so richtig herumexperimentieren, in der Küche eines Luxushotels an Feinheiten feilen. Aber welcher Chefkoch sucht schon Familienrezepte? Nein, der Platz der fast fünfzigjährigen Esperanza ist bei den Markthallen, wo sie die Fischer kennt, selbst den Kurs in der Küche bestimmt und nur die Treppe runter muß, wenn ihr mal die Tintenfische ausgehen.
Natürlich ist das Restaurant kein Tempel der Gourmets, eher eine Kantine mit Hafenflair. Der Gast überblickt nicht nur die gesamte Bucht von Panama, sondern auch das hektische Markttreiben mit seinem lauten Klappern, blechernen Scheppern und dem Geschrei der Händler. Leben eben, und der Geruch des Meeres.
„Panamá“, das heißt im Volksglauben: Fisch im Überfluß. Ursprung von Panama-Stadt soll eine kleine Fischersiedlung der Ureinwohner gewesen sein. Doch der Fisch stammt längst nicht mehr aus der Bucht von Panama, sondern aus den Gewässern vor der Küste von Darien. Von kleinen Kuttern wandert die Fracht in Körben zum Kai. Was dabei danebengeht, gehört dem Jungen, der im brackigen Hafenwasser lauert. Immer wieder taucht er ab, um gleich darauf seine Beute hochzuhalten, die er dann grinsend in eine Plastiktüte steckt. Auch ein Fischer.
Währenddessen läßt sich der Gast im Restaurant den „Corvina Salsa Roja“ schmecken, Corvina mit roter Sauce à la Esperanza. Was macht es da schon, daß auch die Weinkarte nur zwischen rot und weiß unterscheidet? Hier kann man sich seinen Lieblingswein selbst mitbringen. Für fünf Mark stellt das Lokal die Gläser.
Schade nur, daß abends nicht geöffnet ist, denn um diese Zeit ist der Blick über die Bucht am schönsten. Wenn am Nachmittag die Marktstände zuklappen, dann schließt auch das „Restaurante de Mariscos“ – bis zum nächsten Morgen, wenn die ersten Pelikane wieder im Tiefflug heransegeln und frischer Fisch in Körben über den Kai wandert.
Corvina Salsa Roja mit Kokosnußreis und grünen Bananen
Zutaten für vier Personen
Ca. 2,5 kg Corvina (Adlerfisch, ersatzweise Kabeljau), 5 kl. Tomaten, 1 Tasse gewürfelte Zwiebeln, 2 Staudensellerie, 2 Knoblauchzehen, Petersilie, Tomatenmark, Olivenöl, 1 Kokosnuß bzw. Kokosnußfleisch, 250 g Reis (1 Teil Kokosfleisch für 3 Teile Reis), 4 grüne Bananen (blatanos verdes, notfalls sehr feste gelbe Bananen), Salz, 3 Blätter Culandro
Zubereitung
Den Corvina ausnehmen (Kopf kann dranbleiben), waschen, in einem großen Topf mit Salzwasser 30 Minuten dünsten. Sauce: Zwiebeln in Olivenöl in einer Pfanne anbraten, kleingeschnittene Tomaten, Selleriestangen, Culandroblätter, Knoblauch und 2 - 3 Löffel Tomatenmark hineingeben. Etwas dünsten lassen, etwa eine Tasse vom Fischsud einrühren, 3 - 4 min auf kleiner Flamme köcheln lassen. Reis: Das geriebene Kokosfleisch mit etwas Wasser kneten, um die Milch herauszupressen. Die Masse sieben, den Reis in der Milch kochen. Bananen: Die in Scheiben geschnittenen grünen Bananen in Olivenöl kurz anbraten.
Servieren
Den Corvina vorsichtig in eine längliche Schüssel legen, quer einschneiden und mit der roten Sauce übergießen; gehackte Petersilie darüber streuen. Reis und Bananen werden getrennt angerichtet.
Restaurante Mercado del Marisco (kurz: de Mariscos)
Ciudad de Panamá, Avenida Balboa (Final), 1. Stock,
Tel. 00507/212 0071, geöffnet mo - sa 6 - 17 Uhr
Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als unabhängiger Journalist, Fotograf und Video Producer. Bei mare war er an den ersten internationalen Reportagen beteiligt, heute schreibt er dort vor allem Buchrezensionen. 2018 erschien sein erstes eigenes Buch: Real People of East Africa (Photo Edition Berlin).
Charly Kurz, 1969 geboren, studierte Fotografie und lebt in Stuttgart und New York.
Vita | Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als unabhängiger Journalist, Fotograf und Video Producer. Bei mare war er an den ersten internationalen Reportagen beteiligt, heute schreibt er dort vor allem Buchrezensionen. 2018 erschien sein erstes eigenes Buch: Real People of East Africa (Photo Edition Berlin).
Charly Kurz, 1969 geboren, studierte Fotografie und lebt in Stuttgart und New York. |
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Person | Von Roland Brockmann und Charly Kurz |
Vita | Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als unabhängiger Journalist, Fotograf und Video Producer. Bei mare war er an den ersten internationalen Reportagen beteiligt, heute schreibt er dort vor allem Buchrezensionen. 2018 erschien sein erstes eigenes Buch: Real People of East Africa (Photo Edition Berlin).
Charly Kurz, 1969 geboren, studierte Fotografie und lebt in Stuttgart und New York. |
Person | Von Roland Brockmann und Charly Kurz |