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Die Mitglieder der großen Familie der Falterfische, auch Gaukler genannt, sind mit ­ihrer Farbenpracht und ihrem Formenreichtum die Zierde jedes Korallenriffs. Aber ­ sie sind weit mehr als bloß die Schönlinge der Wasserwelt

Wer schon einmal im Riff getaucht ist, kennt diese Szenen: Blaugrünes Licht durchflutet die leicht gewellte Unterwasserlandschaft, märchenhafte Gärten aus Stein, gesäumt von filigranen Korallenhecken. Bunte Fischschwärme lösen sich aus dem Blau, nehmen Form an, um gleich wieder zu entschwinden. Rochen gleiten scheinbar schwerelos vorbei, während Haie wie Torpedos aus dem Nichts heranschießen. Und mittendrin, zwischen smaragdgrünen Algen und purpurfarbenen Venusfächern, immer wieder Falterfische. Sie sind die farbenprächtigen Spotlights in diesem Feuerwerk der Arten, kunstvolle Collagen aus Linien, Punkten und Flächen.

Bis zu 14 Falterfischarten zählten Wissenschaftler entlang eines nur 1500 Meter langen Riffabschnitts im Indischen Ozean, einträchtig und auf engstem Raum miteinander lebend. Eine beinahe einmalige Dichte naher Verwandter, übertroffen einzig durch die Buntbarsche des Tanganjikasees in Afrika. Falterfische, die auch Gaukler genannt werden, bewohnen sämtliche tropischen Weltmeere. 90 Prozent der bis heute bekannten 116 Arten sind im Indopazifik heimisch, während die übrigen den tropischen Atlantik bevölkern. Neben einigen besonders weit verbreiteten Arten, die sowohl im Indischen Ozean als auch im westlichen Pazifik anzutreffen sind, gibt es andere, deren Vorkommen sich auf die Gewässer um Hawaii oder auf das Rote Meer beschränken. Extrem ist der Fall des Marquesas-Falterfischs, der ausschließlich bei Fatu Hiva lebt, einer der zu Französisch-Polynesien gehörenden Marquesasinseln in der Südsee.

Falterfische sind ausgewiesene Spezialisten. Sie nutzen Nahrungsquellen, an die andere Arten nur schwerlich herankommen. Das verdanken sie vor allem ihrem extrem beweglichen Maul und ihren borstenartigen Zähnen, die ihnen den wissenschaftlichen Familiennamen Borstenzähner einbrachten. Mit ihrer Hilfe grasen Falterfische Algen ab, picken kleine Würmer und Krebse aus winzigen Spalten oder zupfen gar Korallenpolypen aus ihren Steinkelchen. Alles Aufgaben, für die das gewöhnliche Fischmaul nicht taugt.

Welche Mahlzeit ihren Speisezettel letztlich bereichert, ist Geschmackssache und deshalb von Art zu Art verschieden. So erweisen sich einige als anspruchslose Allesfresser, andere bevorzugen Moostierchen oder Seescheiden, wieder andere junge Röhrenwürmer oder ausschließlich Korallenpolypen. Wie weit die Anpassung an ihre Lieblingsspeise geht, zeigt sich besonders eindrucksvoll am Beispiel des Pinzettfischs. Sein röhrenförmig verlängertes Maul sieht aus wie eine Spitzzange und kommt in jede noch so schmale Ritze.

Überhaupt sind Falterfische ein Beleg dafür, dass jeder Lebensraum ganz be- stimmte Körperformen modelliert. Ihre flache, hochrückige Gestalt weicht deutlich von der vertrauten Fischform ab. Am ehesten erinnert sie noch an einen Diskus. Sie verrät, dass diese Fische weder zu den Sprintern noch zu den Langstreckenschwimmern zählen. Tatsächlich sind im Labyrinth der Riffspalten und Korallenäste andere Fähigkeiten gefragt.

Hier ist im Vorteil, wer wendig und präzise manövrieren kann und bei Gefahr exakt in der scharfkantigen, aber rettenden Felsspalte zu verschwinden vermag. Kein Problem zum Beispiel für den Ge- streiften Falterfisch. Sein kurzer, scheibenförmiger Körper ermöglicht schnelle Drehungen auf engstem Raum – minimaler Wendekreis sozusagen. Gleichzeitig stabilisiert er den einmal eingeschlagenen Kurs wie ein Bootskiel. Rücken- und Afterflossen sorgen für den Antrieb, während die großen Brustflossen wie Steuerruder eingesetzt werden. Rund um den Körperschwerpunkt verteilt, ermöglichen sie präzise, wohldosierte Schübe in alle Richtungen. So gerüstet, ist der Gestreifte Falterfisch ein wahrer Manövrierkünstler, der Körper und Maul millimetergenau in Position bringen kann, ganz gleich, in welche Richtung der abzuweidende Korallenast auch ragen mag.

Auch die verschwenderische Farbenpracht der Falterfische ist kein Selbstzweck. Wie die Farben einer Ampel regeln sie das soziale Leben der großen Gauklergemeinde. Die auffälligen, knalligen Farben und Muster geben Auskunft über Artzugehörigkeit und ökologische Spezialisierung der Anwohner.


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mare No. 104

No. 104Juni / Juli 2014

Von Helge Sieger

Helge Sieger, Jahrgang 1965, ist Wissenschaftsjournalist in Regensburg. Er beobachtete schon als Kleinkind gerne die bunten Wesen, die in den Aquarien der elterlichen Wohnung schwammen. Sein Lieblingsfisch damals: der Pinzettfisch mit seinem langgezogenen Maul und dem prächtigen Farbkleid.

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Vita Helge Sieger, Jahrgang 1965, ist Wissenschaftsjournalist in Regensburg. Er beobachtete schon als Kleinkind gerne die bunten Wesen, die in den Aquarien der elterlichen Wohnung schwammen. Sein Lieblingsfisch damals: der Pinzettfisch mit seinem langgezogenen Maul und dem prächtigen Farbkleid.
Person Von Helge Sieger
Vita Helge Sieger, Jahrgang 1965, ist Wissenschaftsjournalist in Regensburg. Er beobachtete schon als Kleinkind gerne die bunten Wesen, die in den Aquarien der elterlichen Wohnung schwammen. Sein Lieblingsfisch damals: der Pinzettfisch mit seinem langgezogenen Maul und dem prächtigen Farbkleid.
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