Es war einmal in Biarritz

Die Stadt an der französischen Atlantikküste steht seit dem 19. Jahrhundert für einen sublimen spätfeudal-großbürgerlichen Lebensstil. Hier verlebte einst nahezu alles, was Rang und Namen hatte, die Sommerfrische. Was ist geblieben vom goldenem Zeitalter?

Zwischen Starkult, Promihype, Celebrityjubel, zwischen Boulevard, Barbarei und Gleichgültigkeit – wo ist eigentlich das Mondäne geblieben? Nicht als selbstgerechte Extravaganz verstanden, nicht als sündteurer Chic oder hochnäsige Abständigkeit gegen jede Art von Mittel- und Unterschicht. Nein, als exklusive Haltung, als Selbstverständnis, als Aussage eines auf jeden Fall vornehmen Lebensstils.

Beim Mondänen ging es stets um Weltläufigkeit, mehr noch: um Weltgewandtheit, Weltzugewandtheit, die zugleich aber auch Distinktion, Abgewandtheit einforderte. Mondän war, wer international dachte, als man noch national handelte, wer polyglott parlierte und das Schöne und Genussvolle nicht nur behauptete, sondern zelebrierte – und das keineswegs ironisch. Mondän war, wer Anarchie mit Eleganz darzubringen verstand und schlechtes Benehmen mit dem gelehrten Verweis auf die Kulturgeschichte des schlechten Benehmens darbot. Hat diese Lebenswelt einer ästhetisch feinsinnigen Haltung um jeden Preis bis heute überlebt? Oder hat sie sich überlebt, da das Leben globalisiert ist und es für jeden Weltwinkel ein Wikipedia-Wissen gibt?

Geografisch betrachtet, gäbe es nicht mehr allzu viele Gelegenheiten, dem Mondänen nachzuspüren; jedenfalls müsste es im Alten Europa und notwendig am Saum eines Meeres zu finden sein, weil die Orte des Mondänen so gut wie immer am Meer gelegen waren – dort, wo Ethnien, Einflüsse und Epen zusammenströmen, wo die von allen Kontinenten hergeschickte Welt sich in ihrer Verschiedenheit offenbart und, anders als in den Metropolen Paris oder Madrid, durch nichts begrenzt ist.

Unter den wenigen verbliebenen Orten könnte eine Reise ins französisch-baskische Biarritz am meistversprechenden sein. Biarritz, da tönen kaiserlicher Luxus und königliche Hautevolee durch, da intoniert sich die Sinfonie des europäischen Adels. Biarritz, das klingt nach Jetset, Cinema-Celebrities, Ballnächten, Kostümfesten, dem konservierten Privileg auf Austern, Grand Cru, Robe, Frack und Golfclubmitgliedschaft. Wenn Glamour der schöne Schein ist, so ist das Mondäne das schöne Sein.

 

 

An der Grande Plage ist jener Mittag Anfang Mai so windig, dass selbst die Möwen abgetrieben werden, und das heranstürmende Meer brüstet sich derart lärmend, dass man nicht einmal ihre irren Schreie hört. Surfer geben den Strandbeau, liegen im Wasser auf der Lauer und reiten, sobald eine Welle es lohnt, für ein viersekündiges Vergnügen im Schaum des Atlantiks auf das Casino Municipal zu. Irgendwann schlurfen sie, mit knielangen Shorts und fettfreien Oberkörpern, durch die Innenstadt, über die Avenue du Maréchal Foch zur Place Georges Clemenceau, an deren Ende mit No. 1 das legendäre Café „Miremont“ liegt, seit seiner Gründung 1872 Treffpunkt von englischen Königen, serbischen Königinnen und portugiesischen Prinzessinnen. Und nun? Der Beobachter muss sich bekennen, hier ist die Wegscheide: im Gefolge der Surfer hinauf zum Kultkiosk „Les 100 marches“ an dem Square Jean Baptiste Lassalle auf der Suche nach dem Untergang der Sonne – oder hinein in die Belle Époque.

Das „Miremont“, das den Ruf besitzt, den Charme des Fin de Siècle zu konservieren, nährt die Hoffnung, einige der feinen Damen unserer Tage zu erleben, die noch heute mit kopiertem oder vererbtem Habitus thé menthe trinken oder vom Leben ein wenig gelangweilt durch das Panoramafenster auf die drei strandnahen Felsen Jargin, L’Artillerie und Le Basta blicken, entweder mit erhabenem Schauder über das aufgebrachte Meer oder mit jener merkwürdig blasierten Hochnäsigkeit, die, im Fall der zerbrechlich-blassen Duchessen von einst zumindest, erotische Züge tragen kann. Und wenn solche Mesdames da wären, vielleicht erwarteten sie ja fein frisierte Messieurs im Dreireiher mit schmal geschnittener Krawatte, Haifischkragenhemd und Lackschuhen, die sich im Vexierspiel der Spiegelwände des „Miremont“ vervielfachen, als formten sie eine Gruppe Galane aus dem Spätwerk Guy de Maupassants. Kurzum: Dieses Café konnte gar nicht anders, als das vom Verfall der Formen unberührte Zitat seiner Klassik zu sein. Im „Miremont“, hatte der Dramatiker Edmond Rostand einst bemerkt, seien zur teatime weniger Backwaren als Regenten und weniger Rumkuchen als Großherzöge anzutreffen.

Als Erstes sind drei dickwanstige Männer in glänzenden Trainingsanzügen zu sehen. Die goldgerahmten Spiegel der Wände vergrößern den Raum, liefern Fluchten und Verwirrungen, bedienen Eitelkeiten und fordern zur Korrektur widerspenstiger Frisuren auf. Die Schreie eines nicht zu bändigenden Kindes tönen durch den Raum, ehe die sehr junge Mutter, das Handy am Ohr, ihm Grimassen zuwirft und sich der Beruhigungseffekt keineswegs einstellen will. In den Auslagen der Patisserie sind, wie zu napoleonischen Zeiten, bunte macarons drapiert, und der café au lait wird hinreichend altmodisch serviert: zwei Kännchen, eines mit Milch, eines mit Kaffee, deren Inhalte zusammen exakt den Rand der Tasse abschließen. Préservez les traditions!


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 108. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 108

No. 108Februar / März 2015

Von Christian Schüle und Nicole Strasser

Schon die ersten Stunden seines Rendezvous mit Biarritz lehrten den Hamburger Autor Christian Schüle, Jahrgang 1970, die Erkenntnis, dass Biarritz mittlerweile die Hauptstadt der Hundefriseure ist.

Nicole Strasser, geboren 1975, ist seit 2009 freie Fotografin. Biarritz ist ihr drittes Porträt eines großen europäischen Seebads, nach ihren Fotoessays über Benidorm und Blackpool in mare No. 79 und 93.

Mehr Informationen
Vita Schon die ersten Stunden seines Rendezvous mit Biarritz lehrten den Hamburger Autor Christian Schüle, Jahrgang 1970, die Erkenntnis, dass Biarritz mittlerweile die Hauptstadt der Hundefriseure ist.

Nicole Strasser, geboren 1975, ist seit 2009 freie Fotografin. Biarritz ist ihr drittes Porträt eines großen europäischen Seebads, nach ihren Fotoessays über Benidorm und Blackpool in mare No. 79 und 93.
Person Von Christian Schüle und Nicole Strasser
Vita Schon die ersten Stunden seines Rendezvous mit Biarritz lehrten den Hamburger Autor Christian Schüle, Jahrgang 1970, die Erkenntnis, dass Biarritz mittlerweile die Hauptstadt der Hundefriseure ist.

Nicole Strasser, geboren 1975, ist seit 2009 freie Fotografin. Biarritz ist ihr drittes Porträt eines großen europäischen Seebads, nach ihren Fotoessays über Benidorm und Blackpool in mare No. 79 und 93.
Person Von Christian Schüle und Nicole Strasser