Erika und Klaus Mann

Die Kosmopoliten waren Liebhaber der Méditerranée

Als sie klein waren, spielten die vier ältesten Mann-Kinder im Tölzer Landhaus häufig das Spiel „Gro-Schi“, Großes Schiff. Klaus Mann erzählte später, dass dann „unser Haus und der ganze Garten sich in einen enormen Ozeandampfer verwandelten, wobei der Garten zum Schiffsdeck, die Zimmer zu den Kabinen wurden“. Erika und Klaus, Golo und Monika waren Passagiere erster Klasse, die Mutter wurde zur Wirtschaftsdame, und der Vater „war der Kapitän, der sich selten zeigte, aber in der ‚Betriebskabine‘ alles lenkte“. In das Spiel wurden zahlreiche andere erdachte Figuren einbezogen – „Bobbelchen“ und „Komischhasi“ zum Beispiel und ein Münchener Schriftsteller namens „Fiesefusibema“, der eigentlich Fritz Bremer hieß und ein Mitschüler war. Solche Mischung aus Fernweh, Fantasie und Selbsterlebtem war typisch für die ältesten Mann-Sprösslinge Klaus und Erika. Dabei ist unser Bild von ihnen nicht in erster Linie mit Natur- oder Meererfahrungen verbunden. Großstadtmenschen waren sie beide, Bohemiens und Weltbürger. Und doch spielte das Meer in ihrem Leben eine wichtige Rolle. In allen Romanen Klaus Manns wird das Meer zum Thema, mit Ausnahme des „Mephisto“.

„Liebes Leben! Du kannst es nicht ahnen, wie schön das Meer ist, – zum Weinen schön“, schrieb Erika Mann im Juli 1924 von der Insel Hiddensee an Pamela Wedekind, eine Tochter Frank Wedekinds. „Komm doch, es ist so schön und die Wellen sind lebensgefährlich“, lockte Erika im Nachsatz. Pamela war zu dieser Zeit mit Klaus Mann verlobt und hatte eine Liaison mit Erika. Ein gutes Jahr später standen alle drei zusammen mit Gustaf Gründgens auf der Bühne, als an den Hamburger Kammerspielen Klaus’ erstes Theaterstück „Anja und Esther“ aufgeführt wurde. Der Autor war gerade einmal 18 Jahre alt, seine Schwester ein Jahr älter.

Erika und Klaus waren literarische Enfants terribles, und sie machten ungeniert Gebrauch vom Namen ihres be- rühmten Vaters. Im Oktober 1927 brachen sie zu einer Weltreise auf, die sie in die USA führte, nach Hawaii, Japan, Korea und in die Sowjetunion. Weil das Geld knapp war, entschieden sie sich für einen Reklamegag: Sie gaben sich als Zwillinge aus. „Thomas Mann’s Twin Children Arrive for America Tour“, hieß eine der Schlagzeilen, mit denen sie begrüßt wurden.

Sie reisten viel und gern. In den europäischen Metropolen waren sie ebenso unterwegs wie in den kleinen und großen Städten Deutschlands. Aber auch Aufenthalte an Nord- und Ostsee, in Nordafrika und an den Küsten des Mittelmeers gehörten zu ihrem Alltag. Erika war zudem leidenschaftliche Autofahrerin; 1931 nahm sie an einer Autorallye quer durch Europa teil und gewann einen der ersten Preise. Die Côte d’Azur gehörte zu den bevorzugten Reisezielen von Klaus und Erika Mann. 1931 veröffentlichten sie gemeinsam einen alternativen Reiseführer darüber: „Das Buch von der Riviera“, erschienen in der Reihe „Was nicht im ‚Baedeker‘ steht“ des Piper Verlags. „Woher hat diese blaue Küste ihren großen Ruhm?“, fragten sie in der Einleitung. „Warum bleibt diese Côte d’Azur durch verschiedene Jahrzehnte der Vergnügungs- und Erholungsstrand des Kontinents, der Welt?“ Wort- und kenntnisreich versuchten sie eine Antwort zu geben, auch auf die Frage, woher das Fernweh der Küstenbewohner kommt – „eines der Grundgefühle aller Völker, die am Meere leben“.

Die literarische Qualität der frühen Texte Klaus Manns war umstritten; namhafte Kritiker von Kurt Tucholsky bis Axel Eggebrecht mokierten sich über den jungen, unerfahrenen Autor. Als Klaus Mann 1929 einen Roman über Alexander den Großen veröffentlichte, zitierte Rudolf Arnheim daraus in der „Weltbühne“: „Er wandte den strenggewordenen Blick zum Wasser, das erbleichte und sich frierend kräuselte“, und der Rezensent kommentierte sarkastisch: „So etwas darf kein Schriftsteller vom Wasser verlangen.“

Die kritischen Stimmen wurden erst leiser, als sich die politischen Verhältnisse in Deutschland zuspitzten und Klaus Mann zu den Warnern vor dem aufkommenden Nationalsozialismus gehörte. 1932 veröffentlichte er den Roman „Treffpunkt im Unendlichen“, den der Verleger Samuel Fischer als „erstes richtiges Buch“ dieses Autors begrüßte. Das Buch schildert Schicksale junger Menschen in den Metropolen Berlin und Paris – eine „Verlorene Generation“ einsamer Menschen, deren Lebenswege sich bestenfalls im Unendlichen treffen. Die großen Themen Klaus Manns – Liebe, Kunst, Rausch, Tod – werden in vielen Variationen durchgespielt. Einfühlsam begleitet der Autor eine seiner Hauptfiguren, Richard Darmstädter, in den Selbstmord. In Nizza nimmt sich Darmstädter das Leben, in einem Hotelzimmer an der Promenade des Anglais, direkt am Meer. „Das Geräusch des Meeres hebt die Zeit auf. Auf unserer Erde das einzige Geräusch, in dem der Atem der Ewigkeit ist. Die Zeit – aufgehoben. Freiheit“, philosophiert Darmstädter unmittelbar vor seinem Suizid.

Der 30. Januar 1933 war die größte, bitterste Zäsur in der Geschichte der Familie Mann. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten in Deutschland veränderte sich ihr Leben von Grund auf. Die Manns mussten Deutschland verlassen, wie so viele andere Künstler und Wissenschaftler. „Ein Massenexodus der Dichter setzte ein; noch nie zuvor in der Geschichte hat eine Nation innerhalb weniger Monate so viele ihrer literarischen Repräsentanten eingebüßt“, schreibt Klaus Mann in seiner Autobiografie „Der Wendepunkt“. Klaus und Erika Mann verließen Deutschland im Frühjahr 1933. Beide waren an Internationalität und den Status des Reisenden seit Langem und freiwillig gewöhnt; darum fiel es ihnen leichter als anderen Emigranten, im neuen Leben Fuß zu fassen. Erika eröffnete im Herbst 1933 in Zürich ihr Kabarett „Die Pfeffermühle“ wieder, das in München Anfang 1933 Premiere gefeiert hatte, dort aber nur wenige Wochen spielen konnte. Und Klaus Mann gründete in Amsterdam eine eigene antifaschistische Zeitschrift, „Die Sammlung“, schrieb Romane und Aufrufe, trat auf literarisch-politischen Kongressen auf. Er wurde im Exil zu einem der wichtigsten Vertreter der aus Deutschland vertriebenen Kultur.

Die Programme der „Pfeffermühle“ im Exil waren politisch, aber sie mussten ihre Botschaft indirekt zum Ausdruck bringen – sonst hätte das Ensemble in den meisten Ländern nicht auftreten dürfen. Oft versteckte es die Aussage in literarischen Formen wie Allegorien oder Märchen, um keinen Anstoß zu erregen. So trat in einer Nummer die Schauspielerin Sybille Schloss als Kleine Meerjungfrau auf und klagte in dem – von Klaus Mann geschriebenen – Text über die kalte, seelenlose Menschenwelt. Und Therese Giehse sang in einer von Erika umgedichteten Version des Märchens von „Des Fischers Frau“ davon, wohin es führt, wenn jemand hemmungslos seine Macht und seinen Besitz zu vergrößern sucht – die Zuschauer wussten sehr genau, auf welchen politischen Führer das damals anspielte.

Klaus veröffentlichte 1934 seinen ersten Exilroman „Flucht in den Norden“. Es war eine Liebesgeschichte mit politischem Kontext: Eine junge Antifaschistin flieht aus Nazideutschland. Sie reist über die Ostsee bis nach Finnland, wo sie sich in einen Gutsbesitzer verliebt. Ein Ausflug führt die beiden bis ans Nordkap; doch als sie nach Island übersetzen wollen, erreicht die junge Deutsche ein Telegramm, das sie zurückruft. Sie wird gebraucht im Tageskampf der Hitler-Gegner, und sie folgt diesem Appell und verzichtet auf ihr privates Glück.

In seinem nächsten Roman, „Symphonie Pathétique“, schilderte Klaus Mann das Schicksal eines Komponisten im 19. Jahrhundert: Petr Iljitsch Tschaikowsky. Das war nur scheinbar eine Flucht ins Unpolitische und Vergangene – in Wahrheit plädierte der Autor für Toleranz gegenüber einem homosexuellen Künstler, den sein Eros zum Außenseiter machte. Ähnlich bedrückende Erfahrungen musste auch Klaus Mann zeitlebens machen. „Man huldigt nicht diesem Eros, ohne zum Fremden zu werden in unserer Gesellschaft, wie sie nun einmal ist“, bekannte er im „Wendepunkt“.

Zugleich findet sich in „Symphonie Pathétique“ eine der eindringlichsten Passagen über das Meer in Klaus Manns gesamtem Œuvre. Tschaikowsky überquert den Atlantik, um in Amerika auf Tournee zu gehen. Die „Bretagne“, auf der er reist, ist „ein großer und schöner Dampfer, komfortabel wie ein feines Hotel“. Aber der Komponist leidet unter der Gesellschaft der „unerträglichen Herrschaften“, mit denen er in der ersten Klasse speisen muss, und er fürchtet das „entsetzliche Meer“, in dem ein anderer Passagier kurz zuvor den Tod gesucht hat. Dem Musiker erscheinen in der Fantasie all die „verlorenen Gesichter“ wieder, die ihm in seinem Leben etwas bedeutet haben. Das Meer ist ein schrecklicher „Abgrund“, eine einzige Bedrohung. Erst ein Besuch bei Künstlerkollegen in der zweiten Klasse und eine gehörige Portion Alkohol vermögen Tschaikowsky zu trösten.

Waren diese Schilderungen eigenen Erfahrungen des Autors geschuldet? Über seine erste Atlantiküberquerung, zusammen mit der Schwester Erika am Beginn der Welt- reise 1927, hat Klaus Mann wenig berichtet. Erst im September 1936, mehr als ein Jahr nach Beendigung des Tschaikowsky-Romans, fuhr Klaus wieder von Europa nach Amerika, übrigens erneut gemeinsam mit Erika. In einem Aufsatz mit dem Titel „Überfahrt“ hat er seine Erlebnisse an Bord des holländischen Dampfers „Statendam“ festgehalten.

Seine Eindrücke ähneln in der Tat denen seines russischen Helden, die er anderthalb Jahre zuvor beschrieben hatte. Klaus beschreibt das „Zauberberghafte“ des Bordlebens in der ersten Klasse; er philosophiert über das „teilnahmslos große, ewige, schöne Meer“. „Das offene Meer ist zugleich die ewig monotone und die abwechslungsreichste Landschaft“, notiert er. Und er erlaubt sich Fantasien, was geschähe, wenn der Ozean das Schiff verschlänge. „Mich reizt es, daran zu denken. Mit einem aus Grausen und Entzücken gemischten Gefühl denke ich eigentlich beständig daran. – Es bleibt entschieden ein Abenteuer, auf einem Nachen übers Weltmeer zu fahren.“

In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre wurden solche Überfahrten häufiger. In Europa expandierte der Faschismus. Österreich wurde dem Deutschen Reich „angeschlossen“, die Tschechoslowakei annektiert. Die Hitler-Gegner mussten sich neue Asylländer suchen, möglichst in Übersee – die USA gehörten zu den bevorzugten Zielen.

Am 1. September 1939 griff die deutsche Wehrmacht Polen an. Es war der Beginn des Zweiten Weltkriegs. Klaus Mann nannte es den „Ausbruch des Vulkans“, den er in Aufsätzen und Reden, aber auch in dem Roman „Der Vulkan“ beschrieben und vor dem er eindringlich gewarnt hatte. Er erschien im Frühsommer 1939, wenige Wochen vor Anfang des Krieges, und erreichte nur noch wenige deutsche Leser.

Erika und Klaus Mann hatten schon seit 1936 begonnen, ihr Lebenszentrum in die Vereinigten Staaten zu verlagern, und sie suchten sich neue Felder und Formen der Betätigung. Beide waren ausdauernd als „lecturer“ unterwegs, einer Profession, die zu den Besonderheiten des amerikanischen Lebens gehört. Der oder die Vortragende reist umher und soll plaudern in möglichst freier Rede; verlangt wird vor allem „personality“. Aber Klaus und Erika ging es in erster Linie um die politische Wirkung, um Aufklärung über die Vorgänge in Europa. Ihre Vorträge verstanden sie als Teil ihres antifaschistischen Engagements.

Auch mit Büchern und Artikeln versuchten beide, in der amerikanischen Öffentlichkeit um Verständnis zu werben für die Sache der Hitler-Gegner, die nun in wachsender Zahl Asyl suchten in den USA. Mit ihrem gemeinsam verfassten Buch „Escape to Life“ entwarfen sie ein Mosaik der Prominenten des Exils. Von Lion Feuchtwanger bis Max Reinhardt, von Sigmund Freud bis zum eigenen Vater reichte das Spektrum der Persönlichkeiten, die sie auf sehr persönliche Weise porträtierten. Als Frontispiz druckte der amerikanische Verlag ein Porträt Albert Einsteins auf der Aussichtsplattform des Rockefeller Center ab, das der berühmte Physiker Erika und Klaus Mann handschriftlich gewidmet hatte.

„Escape to Life“ wurde ein beachtlicher Erfolg. Als jedoch Klaus Mann 1940 ein Buch abschloss, mit dem er die Sympathiewerbung für die Exilierten historisch untermauern wollte, fand er keinen Verleger mehr. Unter dem Titel „Distinguished Visitors“ hatte er Porträts von Berühmtheiten entworfen, die seit dem 18. Jahrhundert von Europa nach Amerika gereist waren – von Adelbert von Chamisso bis Sarah Bernhardt, von Herman Bang bis Ivar Kreuger. Auch in diesem Buch spielten die Atlantiküberfahrten eine wichtige Rolle. Aber der Autor musste deprimiert feststellen, dass es in den USA kein Publikum, keinen Verlag für sein Werk gab. „Distinguished Visitors“ war für die Schublade geschrieben und ist erst 1992 postum in Deutschland erschienen.

Am 14. August 1940 hatte Klaus Mann einem Freund gemeldet, „Distinguished Visitors“ sei fertig. Fast genau einen Monat später wurde die Familie Mann von einer persönlichen Katastrophe erschüttert. Die Tochter Monika und ihr Mann Jeno˝ Lányi waren mit der „City of Benares“ auf dem rettenden Weg von Europa nach Amerika unterwegs, als ein deutsches U-Boot das britische Schiff torpedierte und versenkte. Mehr als die Hälfte der Passagiere ertrank, darunter Lányi; Monika wurde gerettet. Erika, die sich in England aufhielt, holte die verstörte Schwester in einem schottischen Spital ab. Klaus notierte im Tagebuch: „Das Unvorstellbare des Hergangs, der Konsequenzen. – Wie muss es ausschauen im Herzen, im Kopf der armen, unbarmherzig geschlagenen, zerschmetterten, vom Schicksal weggeschmissenen Moni.“

Klaus war ein sensibler, eher dünnhäutiger Mensch, mit viel Verständnis und Sympathie für Schwache und Außenseiter, stets auf den Ausgleich von Gegensätzen bedacht. Erika, die „große Schwester“, war dagegen tatkräftig und mutig, meinungs- und konfliktstark. Im Zweiten Weltkrieg entschied sie sich, aktiv auf der Seite der Alliierten mitzuwirken. Ab Herbst 1940 arbeitete sie zunächst für den Deutschen Dienst der BBC in England, eine Abteilung der psychologischen Kriegführung. Sie erlebte die Bombardierung Londons mit. In einem ihrer eindrucksvollsten Texte, „Blitze überm Ozean“, polemisierte sie im Frühjahr 1941 gegen das von Joseph Goebbels geprägte Schlagwort vom „Blitzkrieg“ und sagte zugleich den „Blitz“ voraus, den die Alliierten alsbald gegen den faschistischen Aggressor richten würden. 1943/44 war sie als Kriegsberichterstatterin zunächst an den Fronten in Ägypten, Persien und Palästina im Einsatz. Danach wurde sie nach Frankreich, Belgien und Holland geschickt und berichtete über die alliierte Invasion in der Normandie. Thomas Mann war oft in Sorge um sein „Wotanskind“, wie er die geliebte älteste Tochter gern nannte.

Wie wagemutig sie war, zeigt eindrucksvoll ihre Reportage „Rettungsboote“ vom Oktober 1941, zuerst erschienen im „Liberty Magazine“. Erika ging in Dover an Bord eines Rettungsboots der britischen Marine und fuhr mit der Crew auf den Ärmelkanal hinaus, um nach Opfern deutscher Luftangriffe zu suchen. Tatsächlich entgingen sie selbst nur knapp einem Beschuss durch feindliche Flieger, und schließlich retteten sie einem jungen alliierten Piloten das Leben.

Klaus Mann stellte sich ebenfalls den Alliierten zur Verfügung. Im Dezember 1942 wurde er Soldat der U.S. Army. Ein Jahr später verließ er mit einem überfüllten Truppentransport von 8000 Mann den amerikanischen Kontinent, „voll Tatendurst und Gottvertrauen“, wie er einer Freundin schrieb. Die Überfahrt war eine Tortur. „Habe den Neujahrsabend in der Latrine verbracht, stehend, mitten im Gedränge“, notierte er im Tagebuch. In Europa nahm er am Feldzug der Fifth Army teil, die in Italien, von Süden kommend, die faschistischen Armeen nach Norden zurückdrängte. Er gehörte Anfang Juni 1944 zu den Ersten, die in das befreite Rom einzogen. Und am 10. Mai 1945 stand er in München, noch in amerikanischer Uniform, vor der Ruine des einstigen Elternhauses. Zwei Tage vorher hatten die deutschen Truppen kapituliert – der Nationalsozialismus war besiegt.

Für Klaus wie für Erika Mann war es schwierig, in Europa neu anzufangen nach Kriegsende. Die erfolgsverwöhnten, charmanten „Mann twins“ von einst wurden nun argwöhnisch als linke Außenseiter angesehen. Die Erwartung, sie würden gebraucht in einem befreiten, neuen Deutschland, erwies sich als Illusion. „You can’t go home again“, „Es gibt keine Heimkehr“ – so lautete das bittere Fazit Klaus Manns in einer Sendung für Radio Stockholm im November 1947.

Auch die persönlichen Schicksalsschläge wirkten nach. Als Klaus 1945/46 an dem Drama „Der siebente Engel“ arbeitete, drängte sich das Trauma von Jeno˝ Lányis Tod und Monis Schicksal in die Handlung. Das Stück ist auf einer kleinen Insel nahe der kalifornischen Küste angesiedelt. Ein schiffbrüchiger Segler gerät in eine Familie, verliebt sich in die Hausherrin, doch am Ende stürzt er von den Klippen ins Meer und stirbt. Der Ozean ist in diesem Stück eine fast apokalyptische Bedrohung. „Das Meer kennt keinen Spaß“, orakelt der Fischer Jakob, und am Ende kann niemand den schönen Jüngling retten, er „vermählt sich mit dem Ozean“ – das Drama, das sich kritisch mit spiritistischen Ideen auseinandersetzt, wurde übrigens bis heute nicht aufgeführt.

Ein wirkliches Lebenszentrum fand Klaus Mann nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Er pendelte zwischen Amerika und Europa, immer auf der Suche nach einer sinnvollen Aufgabe. Viele Projekte scheiterten, und auch politisch war er enttäuscht über den sich schon bald anbahnenden Kalten Krieg. Am 21. Mai 1949 starb Klaus Mann in Cannes an den Folgen einer Überdosis Schlaftabletten – nicht weit entfernt von dem Ort, an dem er seine Romanfigur Richard Darmstädter in den Tod schickte.

„Abreisen, abreisen, abreisen. Ich reise ab, es reist mich ab, es reißt ab“, lautet ein Wortspiel im Roman „Treffpunkt im Unendlichen“. Klaus Manns eigene Unruhe, die sein gesamtes Leben prägte, war nicht zuletzt ein Mittel der Flucht – vor sich selbst, vor anderen Menschen, vor der Sehnsucht nach dem Tod.

1931 veröffentlichte er, der im Leben nie eine eigene Wohnung besaß, sondern stets in Pensionen, Hotels, bei Freunden oder der Familie unterkam, ein Gedicht mit dem vielsagenden Titel „Gruß an das zwölfhundertste Hotelzimmer“. Darin erwies er den ungezählten Quartieren, in denen er wohnte, die Reverenz: „meine zwölfhundert kleinen Heimatländer!“ Und er beschreibt das Spektrum, in dem sein Dasein sich abspielte: „Draußen das Meer und eine mondbeschienene Promenade; oder die große Stadt; oder das schwarze Gebirg.“

Erika überlebte den geliebten Bruder um mehr als zwei Jahrzehnte. Sie fand ihre Aufgabe als „Adjutantin“ des Vaters. Erika begleitete Thomas und Katia Mann auf vielen Reisen, und sie redigierte und kürzte die Romane und Reden des Vaters. Auch sorgte sie dafür, dass Klaus Manns Werke neu ediert und gedruckt wurden. „Ich bin nur noch ein bleicher Nachlassschatten“, klagte sie bisweilen.

In ihren letzten Jahren war sie von gesundheitlichen Problemen geplagt, und sie wurde zunehmend verbittert und rechthaberisch. Am 27. August 1969 ist Erika Mann im Kantonsspital Zürich gestorben.

mare No. 101

No. 101Dezember 2013 / Januar 2014

Von Uwe Naumann

Uwe Naumann, Jahrgang 1951, ist Lektor im Rowohlt Verlag und lebt in Hamburg. Er gibt die Werke Klaus und Erika Manns heraus und organisierte Ausstellungen über Klaus Mann (1999) und über Die Kinder der Manns (2005).

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Vita Uwe Naumann, Jahrgang 1951, ist Lektor im Rowohlt Verlag und lebt in Hamburg. Er gibt die Werke Klaus und Erika Manns heraus und organisierte Ausstellungen über Klaus Mann (1999) und über Die Kinder der Manns (2005).
Person Von Uwe Naumann
Vita Uwe Naumann, Jahrgang 1951, ist Lektor im Rowohlt Verlag und lebt in Hamburg. Er gibt die Werke Klaus und Erika Manns heraus und organisierte Ausstellungen über Klaus Mann (1999) und über Die Kinder der Manns (2005).
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