Emmi und Soschka

Eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern, die mit Mukovis­zidose zur Welt gekommen sind, eine tödliche Krankheit. Als eines der beiden beinahe stirbt, zieht sie um an die Nordsee. In der ­Seeluft sollen ihre Kinder ein halbwegs normales Leben leben

Wenn Magda ihr Leben erzählt, ist es eine Geschichte, wie jedes Leben in der Rückschau eine Geschichte ist. Das Bewusstsein sucht aus, überhöht, verrät, manche Ereignisse werden vergessen, einige Personen wichtiger gemacht, als sie waren, und am Ende bleibt das, was wir unser Leben nennen.

Magda hat sich immer eine Tochter gewünscht, die viel von ihren Genen bekommt, die so blond und fröhlich ist wie sie, doch Emma kommt mit erhobenen Brauen und einem Ausdruck der Verwunderung ins Leben und kann sich zehn Monate nicht beruhigen, dass sie auf der Welt ist. Sie schreit morgens, mittags, abends, nachts.

Mit zehn Monaten hat Emma immer noch keine Haare, keine Fingernägel, keine Zähne, Magda denkt sich: typisch Frühchen. Tausend Gründe, sich zu freuen, aber das Kind schläft nicht, Bauchschmerzen, Blähungen, wochenlang, monatelang, irgendwann ist mal gut, aber es wird nicht gut.

Nach zehn Monaten Durchschreien ist Emma auf einmal ruhig, erster Tag, zweiter Tag, irgendetwas stimmt nicht. Ihr Mann Claudio legt den Arm um sie, „freu dich doch, dass du endlich Ruhe hast“, aber Magda hat ein komisches Gefühl. Sie fahren ins Diakoniekrankenhaus Bad Kreuznach. Der Doktor hört Emma ab, der Herzschlag ist schon verlangsamt. Eine Ärztin kommt und nimmt ihr Emma kommentarlos aus den Händen, das Letzte, was sie sieht, ist die Ärztin, die mit ihrer Tochter durch den Flur zum Aufzug läuft, zur Intensivstation. Magda bekommt einen Kittel und eine Maske umgelegt, sie sieht Emma, zehn Ärzte um sie herum, Schläuche, Kabel, Überwachungsmonitore.

Eine Ärztin tritt zu ihr. „Frau Beuscher, wir versuchen, ihr Kind zu retten, Überlebenschance 30 Prozent.“ Ein zweiter Arzt: „Sie ist ausgetrocknet, nicht einmal mehr Magensäure, nichts. Die Nieren funktionieren nicht.“ Dritter Arzt: „Was haben Sie mit dem Kind gemacht?“

Magda ist völlig perplex, heult. Emma liegt wie ein kleiner Frosch auf dem Rücken, Hände neben dem Kopf, Füße auseinander, bewusstlos, und sie, Magda, eine Rabenmutter? Emma bekommt literweise Infusionen, doch ihr Atem setzt mehrmals aus. Magda betet stundenlang an ihrem Bett. „Lieber Gott, lass sie mir, egal, was ich dafür tun muss, bitte lass sie mir.“ Um fünf Uhr kommt Emma zurück ins Leben. Sie ist von blauen Flecken übersät, zerstochen von Nadeln, die sie mit Kanülen und Apparaten verbinden. Sie wimmert.

Vielleicht Niereninsuffizienz, vielleicht Herzfehler. Nach drei Wochen ist klar, eine Lungenentzündung. Aber die Ärzte suchen weiter, Herztest, Röntgen, MRT, Ultraschall, Test, Test, Test, das Kind schwitzt, das Kind schmeckt salzig. Schweißtest. Eine Ärztin sagt ihr: „Heute Nachmittag teilt Ihnen der Chefarzt das Ergebnis mit, es wird nicht schön sein für Sie.“ Sie läuft hin und her, sie kann kaum sitzen. Anspannung. Emma auf dem Schoß, Emma im Arm.

Vor zehn Jahren in Polen bei ihrer praktischen Prüfung zur Krankenschwester steckte ihre Aufgabe in einem von drei Umschlägen. Magda bekam ein einjähriges Kind zugelost, mit Mukoviszidose. Es lag in einem Bett, angeschlossen an Schläuche und piepende Geräte. Die Lunge hat geblubbert vor lauter Schleim. Ein paar Monate später ist es gestorben.

Dieses Kind hat Magda jetzt vor Augen, als der Chefarzt sagt: Mukoviszidose. Und sie hat noch ein Kind vor Augen: ihr Kind, das hustet und hustet. Ihr Kind, dessen Lunge unheilbar zerfällt. Ihr Kind, das gehoben, getragen und gepflegt werden muss. Sie wird Stunden haben, in denen sie nicht einmal mehr weinen kann. Sie wird an seinem Grab stehen und es nicht fassen können.

Die Beuschers werden nach Frankfurt an die Uniklinik überwiesen. Der Arzt hält Magda einen Wikipediavortrag, in dem ihr Kind in einzelne Körperteile zergliedert wird. Mukoviszidose, lat. mucus = Schleim, viscidus = zäh, in Europa die häufigste erbliche Stoffwechselerkrankung. Durch einen Gendefekt ist der Salz-Wasser-Haushalt in den Zellen der Bauchspeicheldrüse, Leber, in den Geschlechtsorganen und in der Lunge gestört, weshalb die Körpersäfte nicht verdünnt werden und die Organe verschleimen.

Die Bauchspeicheldrüse produziert zwar Verdauungsenzyme, aber harziges Sekret blockiert die Ausgänge, weswegen die Enzyme nicht in den Darm gelangen, die Kinder kaum zunehmen und wachsen. Die zähflüssige Galle kann zu einem Rückstau in die Leber führen und zur Zirrhose. Die Schweißdrüsen scheiden übermäßig viel Salz und Mineralien aus. In der Lunge bildet sich klebriger Schleim, der nicht abgehustet werden kann und einen Nährboden für Eiterbakterien bietet. Durch die chronischen Entzündungen vernarbt die Lunge zunehmend und nimmt irgendwann keinen Sauerstoff mehr auf.

Lebenswartung: 20 bis 25 Jahre. Nicht heilbar, aber therapierbar. Den Bronchialschleim mit Physiotherapie lösen, mit Inhalieren verflüssigen, mit Atemtechniken hinausmelken. Die Infekte mit Antibiotika bekämpfen und mit Hygiene im Keim ersticken. Die gestörte Verdauung und das chronische Untergewicht mit der Enzympille Kreon regeln. Zusammengefasst: hochkalorische Zusatzkost, künstliche Verdauungsenzyme, Elektrolyte, Vitaminpräparate, Atemtherapie, Physiotherapie, schleimlösende Medikamente, inhalieren dreimal am Tag, „und das Kind braucht jetzt Ihre ganze Kraft“, sagt der Arzt.


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mare No. 105

No. 105August / September 2014

Von Dimitri Ladischensky und Joanna Nottebrock

Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, besuchte die Familie Beuscher mehrmals in St. Peter-Ording. Joanna Nottebrock, geboren 1976, freie Fotografin (Laif) aus Hannover, hat die Themenschwerpunkte Soziales, Familie, Frauen, Kinder, Inklusion, Alter, Krankheit und Tod. Nottebrock will Magda und die Mädchen mindestens noch ein weiteres Jahr begleiten, ebenso wie ihre beste Freundin, die ebenfalls Mukoviszidose hat und gerade eine neue Lunge bekommen hat. Bewegt durch Magdas Geschichte, wurde „Aktion Luftsprung“ gegründet (aktion-luftsprung.de). Die Stiftung hilft von Mukoviszidose betroffenen und finanziell notleidenden Familien. Bedanken möchte sich Magda bei Sandra Borniger, Ulrike Ollig, Volker Potthoff, Birgit Klein, den Familien Babicz, Götz, Krebs-Schütze, Oma Ola und allen anderen, die sie unterstützt haben. Eine Stiftung, die Mukoviszidosepatienten herausragend unterstützt, ist die Bonner Mukoviszidose e.V. Auf der Website www.muko.info erhalten Betroffene und Angehörige Auskunft über Beratung, Selbsthilfe und vieles mehr.

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Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, besuchte die Familie Beuscher mehrmals in St. Peter-Ording. Joanna Nottebrock, geboren 1976, freie Fotografin (Laif) aus Hannover, hat die Themenschwerpunkte Soziales, Familie, Frauen, Kinder, Inklusion, Alter, Krankheit und Tod. Nottebrock will Magda und die Mädchen mindestens noch ein weiteres Jahr begleiten, ebenso wie ihre beste Freundin, die ebenfalls Mukoviszidose hat und gerade eine neue Lunge bekommen hat. Bewegt durch Magdas Geschichte, wurde „Aktion Luftsprung“ gegründet (aktion-luftsprung.de). Die Stiftung hilft von Mukoviszidose betroffenen und finanziell notleidenden Familien. Bedanken möchte sich Magda bei Sandra Borniger, Ulrike Ollig, Volker Potthoff, Birgit Klein, den Familien Babicz, Götz, Krebs-Schütze, Oma Ola und allen anderen, die sie unterstützt haben. Eine Stiftung, die Mukoviszidosepatienten herausragend unterstützt, ist die Bonner Mukoviszidose e.V. Auf der Website www.muko.info erhalten Betroffene und Angehörige Auskunft über Beratung, Selbsthilfe und vieles mehr.
Person Von Dimitri Ladischensky und Joanna Nottebrock
Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, besuchte die Familie Beuscher mehrmals in St. Peter-Ording. Joanna Nottebrock, geboren 1976, freie Fotografin (Laif) aus Hannover, hat die Themenschwerpunkte Soziales, Familie, Frauen, Kinder, Inklusion, Alter, Krankheit und Tod. Nottebrock will Magda und die Mädchen mindestens noch ein weiteres Jahr begleiten, ebenso wie ihre beste Freundin, die ebenfalls Mukoviszidose hat und gerade eine neue Lunge bekommen hat. Bewegt durch Magdas Geschichte, wurde „Aktion Luftsprung“ gegründet (aktion-luftsprung.de). Die Stiftung hilft von Mukoviszidose betroffenen und finanziell notleidenden Familien. Bedanken möchte sich Magda bei Sandra Borniger, Ulrike Ollig, Volker Potthoff, Birgit Klein, den Familien Babicz, Götz, Krebs-Schütze, Oma Ola und allen anderen, die sie unterstützt haben. Eine Stiftung, die Mukoviszidosepatienten herausragend unterstützt, ist die Bonner Mukoviszidose e.V. Auf der Website www.muko.info erhalten Betroffene und Angehörige Auskunft über Beratung, Selbsthilfe und vieles mehr.
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