Emergency Pool

Notfallmediziner in Florida retten Manatis, die von Motorbooten überfahren wurden

Können Tiere weinen? Schafe weinen nicht, auch Hunde sind nie zu Tränen gerührt. Manche Vögel scheiden Salz mit der Augenflüssigkeit aus, aber Tränen, wie Menschen sie weinen, sind es nicht. Wer aber einmal einer Kuh auf dem Weg zur Schlachtbank in die Augen geschaut hat, der erkennt: Es gibt Tiere, die im Zustand höchster Angst weinen.

Hier liegt eine 500 Kilogramm schwere Seekuh, mächtig wie ein großer grauer Schiefer, und eine seltsame blaue Träne rinnt langsam über das verrunzelte Gesicht. Zweifelsohne, dieses Tier weint. Ein kleiner Strom von Tränen sucht sich seinen Weg durch Hautfalten und Borsten und endet in einem winzigen blauen See auf weißem Plastikboden.

„Der Stress“, meint der Tierarzt und stochert mit seinem Absauggerät in einer der Wunden, „der Stress und die Schmerzen. Selten einen so schlimm zugerichteten Manati gesehen.“ Stochert, tupft und schweigt. Zwei Helfer schieben dem malträtierten Tier einen Plastikschlauch in den Hals. Die Karibische Rundschwanzseekuh, viel bekannter unter dem Namen Manati oder dem Sammelbegriff Sirene, wird künstlich ernährt; sie ist zu schwach, um den frischen Salat zu fressen.

Vor drei Tagen wurde sie nach Sea World bei Orlando in Florida gebracht. Ein Paddler hatte abends das Tier entdeckt, das im seichten Wasser trieb. Es lag einfach nur da, blutend, ohne Schwanzflosse und mit vier tiefen Schnittwunden quer über den Rücken.

Die Seekuh ist das klassische Opfer der Freizeitindustrie Floridas. Aufgeschlitzt vom Propeller eines Schnellboots. Schiffsschrauben wühlen sich scharfkantig und mit quälend hohen Tönen durch die flachen Lagunen. Seekühe hören gut, aber die Boote zu orten und vor ihnen wegzutauchen, das ist ihnen unmöglich. Für die Speedboatfahrer sind die großen Säuger ärgerliche Hindernisse, um die unnötigerweise viel Aufhebens gemacht wird.

In der Nacht noch wurde die Rettungsaktion durchgeführt. Ein eigens zu diesem Zweck hergerichteter Truck mit Hebearm und Wassertank fuhr von Orlando los, der Tierarzt und ein Dutzend freiwilliger Helfer hinterher. Die Seekuh musste erst an Land geschleppt werden, bevor sie mit Trageriemen auf den Laster gehoben werden konnte.

Die Leute sind routiniert. Denn dieser Fall ist kein Einzelfall. Jährlich werden allein nach Sea World ein Dutzend von Schiffen verletzte Tiere gebracht. Aber auch andere, kleinere Zoos haben Pflegestationen. Die 20000 Dollar, die ein solches Tier im Jahr kostet, werden aus Spenden finanziert.

Sea World ist kein Ort der Kontemplation, vielmehr eine Disney-Variante für Meerestiere. Es geht zu wie auf dem Jahrmarkt. Hier ist es laut, hier gibt es Tiershows, simulierte Arktisflüge, Feuerwerke, Wasserstunts.

Ruhiger ist es erst hinter den Kulissen. Die Krankenstation von Sea World ist dem Publikum nicht zugänglich. Es ist eine technisch anmutende Landschaft. Salzwasser wird in Tanks, die an Silos erinnern, aufbereitet; Rohre führen durch das Gelände, in kleinen Becken liegen verwundete Schildkröten, ein Pelikan mit gebrochenem Flügel hockt hinter Gittern, und in einem Pool nuckelt ein sechs Monate altes Manatimännchen an einer Milchdüse. Seine Mutter hat den Aufprall eines Motorboots nicht überlebt. Der Kleine war drei Monate alt, als er neben der zerfetzten Mutter gefunden wurde.

Von fern erklingt das Geklatsche vieler Kinderhände. Die Seelöwenshow läuft. Scott Gearhart zieht eine Spritze mit Antibiotikalösung auf und sticht sie durch die dicke Fettschicht der Seekuh. Sie zuckt zusammen, will sich wegdrehen, aber drei Männer liegen auf ihr und halten sie fest. Das Tier hat noch keinen Namen; den erhält es erst, wenn die Ärzte davon ausgehen, dass es überleben wird. Bis dahin heißt es immer nur „she“.

Ein gestreifter Ball springt auf den Boden und kullert zum Manatipool. Aus einem Becken blitzt auffordernd die Schnauze eines Delfins. Er hat Langeweile. Ins Krankenlager wurde er gebracht, um sich für ein paar Tage vom Stress der Delfinshow zu erholen. Eine Pflegerin wirft den Ball zurück. Der Delfin fängt ihn auf, wirbelt ihn in die Höhe, zirkelt ihn auf die Schnauze und schmeißt ihn aus dem Becken. Das Spiel könnte stundenlang gehen. Doch keiner hat so recht Zeit für ihn.


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mare No. 33

No. 33August / September 2002

Von Zora del Buono und Stefan Pielow

Zora del Buono, Jahrgang 1962, ist stellvertretende Chefredakteurin von mare. Sie lebt in Berlin. Als sich die Sirene Xoshi vor ihr auf den Rücken drehte und zärtlich prustete, war es um die Autorin geschehen.

Stefan Pielow, geboren 1959, lebt als freier Fotograf in Hamburg und Starnberg.

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Vita Zora del Buono, Jahrgang 1962, ist stellvertretende Chefredakteurin von mare. Sie lebt in Berlin. Als sich die Sirene Xoshi vor ihr auf den Rücken drehte und zärtlich prustete, war es um die Autorin geschehen.

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