Eiskalter Krieg

Mitte der 1950er-Jahre verfolgt das US-Militär einen unglaublichen Plan: Es will in einem Camp tief in Grönlands Eis unterirdische Abschussrampen für Atomraketen errichten

Das Eis der grönländischen Gletscher erscheint entrückt und unerreichbar. Ein unberührtes Weiß, so weit, dass ganz Europa darin Platz fände. Doch was heißt schon „unberührt“?

Im Juni 1959 dröhnt ein Konvoi von Kettenfahrzeugen durch den Schnee. Gedrungene Mannschaftswagen, je eine Zugmaschine mit Anhänger und Sitzplätzen für zehn Mann. Sechs Gespanne pflügen dahin, hinein in die weite, weiße Ebene. Einen ganzen Tag lang rollen sie voran. Endlich, gegen Abend, macht der Tross auf einem Plateau halt. Männer in Armeekluft steigen aus. Das Plateau ist platt wie ein Brett und frei von Gletscherspalten, der Schnee hart. Die Männer haben gefunden, wonach sie Ausschau gehalten haben. Den idealen Platz für eines der aberwitzigsten Bauvorhaben der US Army: eine unterirdische Stadt im Eis.

Zu dieser Zeit gleitet der Kalte Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion in seine heiße Phase. Beide Staaten bauen ihr Atomwaffenarsenal massiv aus. Seit einiger Zeit gibt es Langstreckenbomber, die Atomwaffen um die halbe Welt tragen. Außerdem entwickeln die Sowjetunion und die USA gerade ihre ersten Interkontinentalraketen, die in Minuten den Atlantik überfliegen können. Die US-Medien schüren die Angst vor dem Atomangriff. In den Städten baut man reihenweise shelters, Atomschutzkeller. In den Schulen zeigen Lehrer den Aufklärungsfilm „Duck and Cover“: ducken und irgendwo unterschlüpfen, wenn der Atomblitz kommt!

Der Weg über die Arktis ist die kürzeste Kampfstrecke zwischen der Sowjet­union und den USA. Und so warnt 1958 das Office of Naval Research, eine Ideenschmiede des Pentagons: „Wir dürfen uns nicht wundern, wenn die Sowjets plötzlich die schneebedeckte Arktis mit ihren modernen Kriegsmaschinen überqueren.“

Das ferne, im eisigen Dornröschenschlaf liegende Grönland rückt ins Zentrum der Weltpolitik. Und die Militärs fragen sich, wie sich ein Atomschlag über die arktische Achse verhindern lässt. Die Lösung scheint verwegen: Wäre es nicht genial, Atomwaffen mitten im Eis zu stationieren, auf halbem Weg zwischen der Sowjetunion und den USA? Raketen der Sowjets ließen sich abschießen, wenn sie über Grönland hinwegzischten. Und die eigenen Geschosse würden die sowjetischen Ziele schneller erreichen.

Die Aussicht auf atomare Vormacht in der Arktis ist verlockend. So startet die  US Army das Geheimprojekt „Iceworm“. In Grönlands Gletschern soll ein gigantisches, 4000 Kilometer langes Tunnelsystem entstehen, in dem die Armee 600 brandneue Minuteman-Atomraketen stationiert. Reichweite: 11 000 Kilometer. Die Soldaten sollen unter dem Eis weit vonein­ander entfernte Abschussrampen installieren, zwischen denen die Atomraketen auf Schienen hin- und hergeschoben werden können. Der Vorteil gegenüber festen Raketenstandorten: Selbst wenn die Sowjets irgendwann von den Atomwaffen erführen, wüssten sie nie, wo genau sich die Waffen gerade befinden. Eine Bombardierung der unterirdischen Raketen wäre so gut wie unmöglich.

Bis dato hat aber noch niemand eine Stadt im Eis erbaut. Die Army schickt deshalb Gletscherexperten nach Grönland. Die bohren das Eis an, prüfen, wie fest  die Schneeschichten sind. Sie beobachten die Gletscher und berechnen, ob und wie stark sich das Eis bewegt.

Die Mannschaft aus Ingenieuren, die im Juni 1959 das Plateau entdeckt, ist euphorisch. Die Männer stecken den Bauplatz ab, mit roten Wimpeln im Schnee. Dabei ist Chefingenieur Captain Thomas C. Evans, der von der Stadt im Eis überzeugt ist. Um der Kälte, dem Schnee, den Stürmen und auch den Sowjets zu trotzen, braucht es nur eines, glaubt er: jede Menge schweren Geräts. Evans funkt nach Hause: „Das Material kann kommen.“

In den nächsten Wochen rollt es an: Kettenraupen, Schlepper mit mannshohen Traktorreifen, Schneefräsen, Stahlschlitten, Holzcontainer, Balken, Rohre und Lebensmittel. Fast 6000 Tonnen Material tragen die Schiffe aus den USA zum US-Militärstützpunkt Thule an der grönländischen Nordwestküste, 6000 Tonnen, die von den Raupen und Schleppern bis zum Plateau gezogen werden.

Die Reise übers Eis ist gefährlich. Die Strecke von Thule bis zum Bauplatz auf dem Gletscher ist 225 Kilometer lang. Ein plötzlicher Schneesturm könnte die Fahrzeuge einschneien. Gletscherspalten könn­ten sich auftun. Deshalb fahren die Transporter nur im Konvoi.


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mare No. 117

No. 117August / September 2016

Von Tim Schröder

Nach der Recherche versuchte der Oldenburger Journalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, einen Schneeball in seinen Händen zu Firn zu pressen. Ein Glaziologe klärte ihn auf: Firn sei noch viel, viel härter.

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Vita Nach der Recherche versuchte der Oldenburger Journalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, einen Schneeball in seinen Händen zu Firn zu pressen. Ein Glaziologe klärte ihn auf: Firn sei noch viel, viel härter.
Person Von Tim Schröder
Vita Nach der Recherche versuchte der Oldenburger Journalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, einen Schneeball in seinen Händen zu Firn zu pressen. Ein Glaziologe klärte ihn auf: Firn sei noch viel, viel härter.
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