Eins mit der Farbe

Die Tunisreise August Macke Paul Klee Louis Moilliet

Das große Abenteuer beginnt mit einer Schiffsfahrt. Am 5. April treffen sich August Macke, Paul Klee und Louis Moilliet am trubeligen Hafen von Marseille, um sich einzuschiffen nach Tunis. Sie nehmen die „Carthage“ der Compagnie Générale Transatlantique, ein „schönes, großes Gebäude“, findet Klee. Sie wollen eine Malreise nach Tunesien machen, wo sich 3000 Jahre reicher Kulturgeschichte im Orient treffen. Im Gepäck haben sie die Hoffnung auf Inspiration, im Kopf Bildwelten, genährt von Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. In Tunesien ­hoffen sie der „Leibhaftigkeit des Märchens“ zu begegnen, schreibt Klee in sein Reisetagebuch.

Wie viele Künstler der zeitgenössischen Avantgarde in Europa beschäftigt sich der Berner Louis Moilliet schon lange mit der afrikanischen und arabischen Kultur. Von ihm, den die beiden anderen scherzhaft „Graf Louis“ nennen, stammt die Idee für diese Reise. Dreimal schon hat der 33-Jährige seinen Freund Ernst Jäggi, Leiter des dortigen Militärkrankenhauses, in Tunis besucht. Der renommierte Schweizer Arzt verspricht, sich an der Finanzierung der Reise zu beteiligen, wenn die drei dafür die Wände seines Hauses in Saint-Germain bei Tunis bemalen. Klee ergattert außerdem vom Berner Apotheker Charles Bornand einen Zuschuss zu seinen Reisekosten, dem er dafür als Gegenleis­tung zehn Zeichnungen oder fünf Aquarelle verspricht. Der 34-Jährige verfolgt hartnäckig seinen Plan einer „richtigen Studienfahrt, wo einer den andren anregt“. Er bringt Sohn Felix bei seiner Mutter in Bern unter und überredet den anfangs zögerlichen August Macke, mit von der Partie zu sein.

Auch für den 27-jährigen Bonner ist Kunst die Reisewährung. Ein „gemaltes fettes Haremsweib“ verspricht er seinem Mäzen, dem Berliner Fabrikanten Bernhard Koehler. Die Reise verspricht von Beginn an ein spannendes gruppendynamisches Experiment zu werden. Denn es war keineswegs ein eingespielter Freundeskreis, der sich im Frühjahr 1914 in Marseille auf den Weg nach Afrika machte.

Am Mittag des 6. April sticht das Fährschiff in See. „Das Mittelmeer spielt eine entscheidende Rolle bei dieser Reise“, erklärt Anna Schafroth, die zum 100-jährigen Jubiläum der Reise 2014 eine spektakuläre Ausstellung mit Originalen von Klee, Macke und Moilliet im Musée National du Bardo in Tunis kuratierte. „Das Meer markiert die Distanz zwischen Europa und dem Maghreb.“ Die Maler hätten so das Vertraute loslassen können, um sich für das ganz Neue zu öffnen. Alle drei kannten Südfrankreich, waren mehrmals in Italien gewesen. Aber die Fahrt über das Mittelmeer, diese „breite, angenehme Grenze“ zwischen den Kontinenten, war für sie ein großes Wagnis. „Sie waren in einer Art Warteposition auf dieser langen Schiffsreise“, so Schafroth. Das langsame Annähern an Tunesien habe den schmerzhaften kulturellen Schock vermindert, meint die Schweizer Kunsthistorikerin.

Nicht erspart bleibt den drei Landratten aus der Schweiz und dem Rheinland die Seekrankheit. Ihre Freundin Gabriele Münter, die mit Kandinsky 1905 mehrere Monate in Tunesien lebte, hat ihnen fürsorglich ein paar Mittelchen mitgegeben, doch diese wirken nicht. Mackes und Moilliets „lila und grüne Kugeln“ dagegen helfen, und so greift auch Klee schließlich zu. „August Macke zeichnet für mich eine kleine Komposition, wie es aussehn wird, wenn ich speien muss“, notiert Klee, der den beiden Malerkollegen sonst gern mit väterlicher Überlegenheit begegnet, sarkastisch. Der Seegang ist heftig, „das Deck gleicht manchmal einem schiefen Dach, auf dem alles abrutscht, Männlein, Weiblein, Liegestuhl, und unten am Geländer entsteht ein peinliches Durcheinander“. Doch die Maler freuen sich über die unverhoffte Einsamkeit auf Deck und sind „einfach glücklich“.

Sie fahren vorbei an der langen Küste Korsikas, erreichen Sardinien, am Nachmittag des 7. April kommt dann endlich Nordafrikas Küste in Sicht. Zuerst taucht Sidi Bou Saïd am Horizont auf, „ein Bergrücken, worauf streng-rhythmisch weiße Hausformen wachsen“, notiert Klee. Der „stolze Dampfer“ fährt in den Hafen von La Goulette, wo die Ankömmlinge von Jäggi und seiner Familie abgeholt werden. Ihr überwältigender Eindruck: „Am Ufer ganz nah die ersten Araber. Die Sonne von einer finsteren Kraft. Die farbige Klarheit am Lande verheißungsvoll.“


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mare No. 119

No. 119Dezember 2016 / Januar 2017

Von Annette Steinich

Annette Steinich kommt aus Mackes Geburtsstadt Meschede. Seit 2012 lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Tunis, nahe dem „Café des Nattes“. Über Tunesiens Weg in die Demokratie schreibt sie vor allem in der Neuen Zürcher Zeitung.

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Vita Annette Steinich kommt aus Mackes Geburtsstadt Meschede. Seit 2012 lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Tunis, nahe dem „Café des Nattes“. Über Tunesiens Weg in die Demokratie schreibt sie vor allem in der Neuen Zürcher Zeitung.
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Vita Annette Steinich kommt aus Mackes Geburtsstadt Meschede. Seit 2012 lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Tunis, nahe dem „Café des Nattes“. Über Tunesiens Weg in die Demokratie schreibt sie vor allem in der Neuen Zürcher Zeitung.
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