Eine Ladung Karibik

Die Ankunft der „Windrush“ mit karibischen Migranten an Bord markiert 1948 den Anfang des modernen multikulturellen Großbritanniens. In ihrem Gepäck: kaum mehr als ein paar neue Rhythmen

Am 4. Dezember 1930 lief bei der Hamburger Werft Blohm & Voss das Kreuzfahrtschiff „Monte Rosa“ vom Stapel. Es fuhr Touristen durch das Mittelmeer, zu den Britischen Inseln und nach Norwegen, ab 1933 im Rahmen des NS-Programms „Kraft durch Freude“. Mit Kriegsbeginn wurde die „Monte Rosa“ der deutschen Kriegsmarine zugeordnet, um 1945 von den Briten in Kiel als Kriegsbeute requiriert zu werden. Sie gaben ihm den Namen eines Nebenflusses der Themse. Von 1947 an war die „Empire Windrush“, kurz „Windrush“, für die britische Regierung auf der Asienroute unterwegs.

1948 beschloss das britische Parlament den „British Nationality Act 1948“, der eine gemeinsame Staatsbürgerschaft für Bewohner Großbritanniens und seiner Kolonien schuf. Er trat zum 1. Januar 1949 in Kraft. Zur selben Zeit wurde die „Windrush“ beordert, auf ihrer Rückreise nach Großbritannien in Jamaika versprengte Soldaten an Bord zu nehmen. Die Reederei hielt dies für eine Gelegenheit, Passagen im unterbesetzten Schiff zu verkaufen, und inserierte in Jamaikas Zeitungen: „Passenger Opportunity To United Kingdom“, mit einem Preis von 28 Pfund auch für Jamaikaner erschwinglich. Als das Schiff am 24. Mai Kingston verließ, waren mehr als 800 Passagiere an Bord, die bei der Landung in Tilbury an der Themse am 21. Juni 1948 einen Ort in der Karibik als Wohnort angaben. Ihre Ankunft markiert die Geburt des modernen, multikulturellen Großbritanniens.

Die Migranten kamen in ein Land, das unter hohen Verlusten in einem Weltkrieg gekämpft hatte, in den es nicht zuletzt wegen der rassistischen Politik des Gegners eingetreten war, und das dringend Arbeitskräfte brauchte – eigentlich eine vielversprechende Perspektive für die karibischen Reisenden. Einige von ihnen hatten in der britischen Armee gekämpft, waren einigermaßen gut behandelt worden und erwarteten eine gewisse Verbundenheit. Die Realität sah anders aus. „Der biologische, sozialdarwinistische Rassismus, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgekommen war und aus dem die rassistischen Theorien der Nazis hervorgegangen waren, wurde nach 1945 weitgehend abgelehnt […], genauso die pseudowissenschaftlichen Theorien der Eugenik und der Rassenhygiene, die später entstanden waren. Die intellektuelle Vernichtung des ‚Mythos‘ konnte jedoch nicht Jahrhunderte rassistischen Denkens ungeschehen machen. Millionen Menschen hatten sich eingerichtet im Konzept Rasse und betrachten die Welt instinktiv nach rassistischen Gesichtspunkten“, schreibt der britische Historiker David Olusoga in seinem Buch „Black and British. A Forgotten History“.

1946 schätzte die britische Regierung, dass gut 1,3 Millionen Arbeitskräfte fehlten. Man beschloss, den rund 100 000 Polen, die im Krieg ins Vereinigte Königreich geflohen waren, Pässe anzubieten, ebenso rund 80 000 „displaced persons“ aus Osteuropa, die in Deutschland und Österreich festgehalten wurden. Außerdem gelang es, Tausende Iren anzuwerben.

Der naheliegende Schritt, Bürger aus den Kolonien ins motherland einzuladen, fiel den Verantwortlichen schwer. Anfang 1947 erging eine Order an die Kolonialverwaltungen, keinerlei Verlautbarungen über den Arbeitskräftemangel zu machen. Parallel wurde eine Untersuchung veröffentlicht, derzufolge Bewohner der Karibik den Strapazen eines Jobs im Vereinigten Königreich nicht gewachsen seien.

Tatsächlich waren fast alle der 800 karibischen Passagiere der „Windrush“ nach wenigen Wochen in Lohn und Brot. Und während die regierende Labour Party noch über Gesetzesänderungen debattierte, die der Feindseligkeit vieler Briten gegenüber ihren Commonwealth-Schwestern und -Brüdern Rechnung trugen, schufen London Transport, British Railways und der National Health Service Fakten und rekrutierten auf Barbados und Jamaika Arbeitskräfte. Bis 1950 waren 5000 karibische Migranten ins Vereinigte Königreich ge- kommen – allein 1956 waren es 46 000.

Jedoch: „Jamaika präsentiert der Welt zwei entgegengesetzte Bilder“, schrieb der auf Trinidad geborene Literaturnobelpreisträger V. S. Naipaul in seinem Buch „The Middle Passage“. „Das teure Winterresort – türkise See, weiße Strände, ehrerbietige, Fliege tragende schwarze Bedienstete, Sonnenbrillenträger unter gestreiften Sonnenschirmen: ‚Tourism matters to you‘ ist das Motto einer verzweifelten Anzeigenkampagne des Jamaica Tourist Board, die die wachsende Feindseligkeit gegenüber Touristen eindämmen soll – und die Züge mit Einwanderern, die frisch vom Schiff in Londons düsteren Bahnhöfen eintreffen: ‚Niggers go home‘ prangt in großen roten Buchstaben in Brixton, und ‚Keep Britain white‘ liest man eigentlich überall.“


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mare No. 136

No. 136Oktober / November 2019

Von Detlef Diederichsen

Detlef Diederichsen veröffentlichte als 20-Jähriger eine der ersten deutschsprachigen Ska-Singles mit seiner Band Ede & Die Zimmermänner, die es als Die Zimmermänner noch heute gibt. Im Hauptberuf leitet er den Bereich Musik und Performing Arts im Berliner Haus der Kulturen der Welt.

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Vita Detlef Diederichsen veröffentlichte als 20-Jähriger eine der ersten deutschsprachigen Ska-Singles mit seiner Band Ede & Die Zimmermänner, die es als Die Zimmermänner noch heute gibt. Im Hauptberuf leitet er den Bereich Musik und Performing Arts im Berliner Haus der Kulturen der Welt.
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Vita Detlef Diederichsen veröffentlichte als 20-Jähriger eine der ersten deutschsprachigen Ska-Singles mit seiner Band Ede & Die Zimmermänner, die es als Die Zimmermänner noch heute gibt. Im Hauptberuf leitet er den Bereich Musik und Performing Arts im Berliner Haus der Kulturen der Welt.
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