Eine Insel für Jasager

Ærø in der dänischen Südsee ist zur Trauminsel Heiratswilliger geworden. Jetzt bedroht ein neuer Politikstil das Märchenland

Als Louise Badino Moloney vor gut zehn Jahren an den Ort ­ihrer Kindheit zurückkehrte, um zu bleiben, sah dieser nicht besonders gut aus. Eher ein wenig vernachlässigt, mutlos und traurig. Wie jemand, dem die Liebe fehlt. Der Marktplatz von Ærøskøbing war zur Autoabstellfläche verkommen, die größte Attraktion war ein Supermarkt. Und der ruppige Charme von ­Lendas Hotdogbude am Hafen, wo ein paar Plastik­fens­ter den kräftigen Wind der Ostsee abwehren, entsprach auch nicht eben der landläufigen Vorstellung von Romantik.

Wer die Insel Ærø im Spätsommer 2018 besuchte, sah die Liebe, oder das, was Menschen dafür halten, an bald jeder Ecke aufleuchten: gekrönt von weißen Schleiern, gehüllt in Tüll und Spitzen, begleitet von befreitem Gelächter, verschämt beweint oder auf Händen getragen. Es gibt Leute in Ærøskøbing, die glauben, der Ort wäre ohne Louise ein anderer. Jørgen Otto Jørgensen gehört zu ihnen, der einmal Bürgermeister von Ærø war, und Carl Jørgen Heide, der frühere Tourismusdirektor. Und während sie weiter darüber nachdenken, sitzen sie vielleicht auf den Korbstühlen des Cafés „På Torvet“ vor der zartgelben Fassade eines Kaufmannshauses aus dem 18. Jahrhundert und lassen bei einem guten Kaffee den Blick über die luftige Leere des Marktplat­zes schweifen, während gegenüber aus ei­nem stattlichen Kontorhaus in elegan­tem Grau ein weiteres junges Glück taumelt. Ein Emblem schnörkelt an dessen Fens­tern: „Danish Island Weddings est. 2008“. Dahinter sitzen Louise Badino Mo­lo­ney und ihre Familie: Mann John, die Schwes­tern Yuki und Anna, Hund Murphy. Mutter Lone kommt auch regelmäßig vorbei.

Auf seiner Website feiert sich Ærø als „Hochzeitsinsel“. 2018 wurden dort etwa 5200 Ehen geschlossen, 350 davon mit der Unterstützung des Familienunternehmens Badino Moloney. In der Werbebroschüre von 2007 kam das Wort Heiraten noch kein einziges Mal vor. Es war das Jahr, in dem Louise und John beschlossen, mit ihren Söhnen Max und Charlie auf die Insel im Süden Dänemarks zu ziehen. 88 Quadratkilometer am Eingang des Kleinen Belts, 70 Minuten Fährfahrt vom Festland, 6050 Einwohner, die meisten verteilt auf die Hauptorte Søby, Marstal und Ærøskøbing. Das Paar suchte Ruhe, ein friedliches Umfeld für die Kinder, John wollte Gemüse anbauen, ein wenig Englisch unterrichten und Golf spielen.

Marstal beherbergte einst die zweitgrößte Handelsflotte Dänemarks; es ging nach Westafrika, Indien, in die Karibik. Sie haben auf Ærø seit Jahrhunderten Erfahrung mit der großen, weiten Welt. Louises Urgroßvater, Frederik Sophus Birkholm, war Kapitän, er segelte von San Francisco nach Hawaii, Japan, Australien. Nach 16 Jah­ren kehrte er nach Ærø zurück, fand Anna, eine Frau, die bereit war, ihn zu lieben und mit ihm über den Ozean zu fah­ren. Ihre Eltern waren untröstlich, sie versprach, alle fünf Jahre wiederzukommen.

Anna hielt Wort, bis das Paar 1913 gemeinsam in das Haus in der Nørregade zog, das Louises Mutter heute bewohnt. Kapitän Birkholm nannte es „Pacific“, in geschwungenen Buchstaben prangt der Name unter dem Giebel. In alten Kisten stapeln sich bis heute dort die Briefe, die Frederik seiner Anna weit über das Meer schickte. Die Neigung zum Fernweh setzte sich in den späteren Generationen fort. Louises Vater Frederik, geboren auf Ærø, arbeitete in Ghana, Japan, England und den USA. Louises Mutter Lone war Stewardess, kennengelernt haben sich die beiden auf Ærø, wo Lone jeden Sommer bei ihren Großeltern war. Geheiratet haben sie in Vancouver, Kanada.

Louise und Anna waren Kleinkinder, als die Familie nach Accra zog, Yuki ist in Kobe geboren. Anna und Louise jetteten später für Japan Airlines um die Welt, Anna lebt die meiste Zeit mit ihrem ame­rikanischen Mann in Chicago. Louise ist ihrem Angetrauten John, Pilot der Royal Air Force, nach Italien, Berlin und Brüssel gefolgt, Yuki hat in Sankt Moritz, in Kopenhagen und Australien gelebt.

Doch Ærø, sagt Louise, sei immer der wichtigste Ort in ihrem Leben gewesen. Eine Märchenbuchkulisse als Rückversicherung, mit Straßen aus Kopfsteinpflaster und Fachwerkhäusern, die aussehen wie Puppenstuben. Jeden Sommer seien sie zurückgekehrt wie die Schwalben aus allen Teilen der Welt. Zu den weißen Stränden, den hellen Nächten, den blühenden Brombeerhecken, zu Sonnenbrand und Grillgeruch. Und jetzt komme die Welt eben zu ihnen.


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mare No. 135

No. 135August / September 2019

Von Martina Wimmer und Dmitrij Leltschuk

mare-Redakteurin Martina Wimmer hatte Mühe, ihre sentimentale Ader unter Kontrolle zu halten. Bei ­manchen Hochzeiten hätte sie beinahe geweint.

Fotograf Dmitrij Leltschuk fotografiert Reportagen für mare, Geo und Spiegel. Brautpaare im Fokus­ zu haben war für ihn thematisch eine willkommene ­Abwechslung.

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Vita mare-Redakteurin Martina Wimmer hatte Mühe, ihre sentimentale Ader unter Kontrolle zu halten. Bei ­manchen Hochzeiten hätte sie beinahe geweint.

Fotograf Dmitrij Leltschuk fotografiert Reportagen für mare, Geo und Spiegel. Brautpaare im Fokus­ zu haben war für ihn thematisch eine willkommene ­Abwechslung.
Person Von Martina Wimmer und Dmitrij Leltschuk
Vita mare-Redakteurin Martina Wimmer hatte Mühe, ihre sentimentale Ader unter Kontrolle zu halten. Bei ­manchen Hochzeiten hätte sie beinahe geweint.

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