Eine Insel der großen Gefühle

Der kanadische Sänger Leonard Cohen reist 1960 auf die Insel Hydra, wo er künstlerische Anregung sucht. Aber er findet vor allem seine große Liebe: die Norwegerin Marianne Ihlen. Ihr widmet er ein bitter­süßes Lied, das fortan die halbe Welt summt­

Wo die Liebe hinfällt. Aber stellt man sie sich nicht eher schwebend vor, die Liebe? Langsam und leicht in der Luft tanzend wie der Hauch eines mediterranen Frühlings? Es war ein später Morgen im Mai des Jahres 1960, als eine junge Frau im „Katsikas“ stand, um Milch für ihr wenige Monate altes Kind zu kaufen. Am Arm einen Korb, ihr sonnengebleichtes Haar so hell wie das weiße Hemd, das sie trug, ein gestreifter Faltenrock umspielte ihre gebräunten Beine. Es ist ein malerisches Bild, das sich eingebrannt hat in die Köpfe all jener, die auf der Insel bis heute nach ihrer und seiner Geschichte suchen. Sie hat es selbst gezeichnet, wann immer sie gefragt wurde, nach diesem Moment, in dem eine große Liebe begann. Und natürlich konnte sie wie jede, wie jeder, der Ähnliches erlebt hat, beschreiben, was er trug, wie er aussah, als seine dunklen Augen ihr nordisches Strahlen trafen. Leger gekleidet, Khakihose, grün verwaschenes Hemd, Stoffturnschuhe, die billigen, die es damals in Griechenland an jeder Ecke zu kaufen gab. Aber mit der Aura eines Gentleman. Er stand in der Tür des Ladens, die Sonne im Rücken, es hätte deren Blendwerk wohl nicht gebraucht, um ihm zu erliegen, seine Stimme hat später Millionen Menschen auf der ganzen Welt betört. Er sagte: „Möchtest du dich zu uns gesellen? Wir sitzen draußen.“ Wer wollte damals schon ahnen, dass eines seiner berühmtesten Lieder ihren Namen tragen würde? Wer wollte damals schon an den Abschied denken, den es besang? 

„Now, so long, Marianne / It’s time that we began / To laugh  and cry / And cry and laugh about it all again“

Marianne Ihlen war 22 Jahre alt, als sie der Enge ihres Elternhauses in Oslo entfloh, wo Mutter und Vater keine zärtlichen Worte mehr füreinander hatten. Der Krieg hatte sie ihnen genommen, in dem der Vater an Tbc erkrankt war und einen Teil seiner Lunge verloren hatte. Ein stets Leidender war er geworden, ein Anwalt, der seinen Beruf nicht mehr ausüben konnte, es blieb ihm die Rolle als Haustyrann. Die Mutter fügte sich duldsam in ihr Schicksal. Das Kind, darin waren sie sich we­nigs­tens einig, sollte es besser haben, eine gute Partie machen und derweil die hübsche Sekretärin bleiben, die sie nach Abschluss der Handelsschule geworden war. Das Kind aber hatte den Jazz entdeckt und die Künstlercafés der norwegischen Hauptstadt und vorher noch einen jungen Mann, der nichts anderes sein wollte als Schriftsteller und sich kräftig in der unberechenbaren Besessenheit übte, die dafür möglicherweise nötig war. Mit Axel Jensen zog sie gen Süden, in einem blauen VW Käfer, den das Paar in Hamburg gekauft hatte und in Ermioni im Garten einer Pensionswirtin parkte, um ein Schiff zu besteigen. Ein redseliger Grieche an Bord verkürzte die Suche nach dem Paradies, er sagte: „Es gibt Hunderte von Inseln in diesem Meer, wenn ihr nicht wisst, wo ihr hinwollt, werdet ihr euch niemals entscheiden können. Steigt beim ersten Halt aus. Hydra ist die schönste Insel der Ägäis.“

Leonard Cohen war der Spross einer wohlhabenden jüdischen Familie aus Montreal, ein artiger Junge mit einem ebenfalls kränklichen Vater, der an den Spätfolgen seiner Verletzungen aus dem Ersten Weltkrieg starb, als der Sohn neun Jahre war. Die Stimmungen der aus Russland eingewanderten Mutter schwankten schon vorher bedenklich, Haus- und Kindermädchen bewältigten den Alltag für Leonard und seine Schwester. Ein Frauenhaushalt, in dem der Heranwachsende seine späteren Kernkompetenzen auf ungewöhnliche Weise trainierte. Als Teenager übte er sich in Hypnose, versetzte ein Dienstmädchen in tiefe Trance und leitete sie an, sich auszuziehen. Die Sätze des Lehrbuchs, das er dafür studiert hatte, scheinen wie ein Vorgriff auf sein späteres Auftreten als Sänger: „Ihr Gesichtsausdruck sollte ungerührt und ernsthaft sein. Lassen Sie Ihre Stimme tiefer und tiefer werden, bis Sie nahezu flüstern. Halten Sie einen Moment inne. Sie werden scheitern, wenn Sie versuchen, allzu schnell zu sein.“ Der Junge begann außerdem Gedichte zu formen, wurde zum akribischen Wortfinder, in der Schule, an der Uni, reihte sich in einen Zirkel Intellektueller und Künstler ein. In langen durchzechten Nächten erforschten sie die Poesie ihrer Vorbilder, Lorca, Yeats, Wordsworth, Byron, und Leonard schrieb und schrieb, kaum jemand, so heißt es, habe ihn jemals ohne Notizbuch gesehen. 

Und natürlich musste einer, der so rastlos auf der Suche nach dem eigenen Ausdruck war, weitere Kreise ziehen. Mit einem ­Stipendium in der Tasche beschloss er, großen Gedanken hinterherzureisen, nach Jerusalem, London, Rom, Athen. Doch letztlich wies ihm das Wetter in London den Weg. Es dauerregnete, ein braun gebrannter, gut gelaunter Angestellter einer Bank erzählte vom Licht und der Sonne der Heimat, er arbeitete für die Bank of Greece. Und hatte nicht unlängst auf einer der vielen Partys, die Leonard Cohen den Kopf vernebelten, der junge Jacob Rothschild von jener Insel namens Hydra erzählt, wo Rothschilds Mutter bald in zweiter Ehe einen griechischen Maler heiraten würde? Eine internationale Schar an Schriftstellern und Lebenskünstlern würde dort zwischen Himmel und Meer Glück und Inspiration finden. Cohen buchte einen Flug nach Athen, stattete der Akropolis einen Pflichtbesuch ab und ging in Piräus aufs Schiff.

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mare No. 153

mare No. 153August / September 2022

Von Martina Wimmer und James Burke

mare-Redakteurin Martina Wimmer hat Leonard Cohen auf einem seiner letzten Konzerte in Berlin gesehen und war ziemlich beeindruckt davon, wie der Mann noch mit 75 die Damen betörte.

James Burke fotografierte 1960 im Auftrag des New Yorker „Life“-Magazins das Insel­leben der Künstler, seine Reportage ist dort jedoch nie erschienen.

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Vita mare-Redakteurin Martina Wimmer hat Leonard Cohen auf einem seiner letzten Konzerte in Berlin gesehen und war ziemlich beeindruckt davon, wie der Mann noch mit 75 die Damen betörte.

James Burke fotografierte 1960 im Auftrag des New Yorker „Life“-Magazins das Insel­leben der Künstler, seine Reportage ist dort jedoch nie erschienen.
Person Von Martina Wimmer und James Burke
Vita mare-Redakteurin Martina Wimmer hat Leonard Cohen auf einem seiner letzten Konzerte in Berlin gesehen und war ziemlich beeindruckt davon, wie der Mann noch mit 75 die Damen betörte.

James Burke fotografierte 1960 im Auftrag des New Yorker „Life“-Magazins das Insel­leben der Künstler, seine Reportage ist dort jedoch nie erschienen.
Person Von Martina Wimmer und James Burke