Eine Frage des Prestiges

Die Bremer Werft Lürssen stillt den Hunger superreicher Kunden nach Rekorden im Yachtbau. Die Auftraggeber sind denkbar anspruchsvoll. Das verwundert nicht bei Kosten von zig Millionen

Wer in diesen Tagen die Website www.iyc.com, International Yacht Collection, anklickt, findet sie im Angebot der Charteryachten an erster Stelle: „Martha Ann“, 230 Fuß (70,20 Meter), sechs Decks, 17-köpfige Crew, Platz für zwölf Gäste, eine Eignersuite, eine VIP-Kabine, vier Gästekabinen, gläserner Aufzug, drei Innen-, drei Außenbars, eine direkt am Pool, sodass man auf Barhockern im Wasser sitzen kann – „available for select charter“, Preis: 755 097 Dollar die Woche. Purer Luxus, der schwimmt.

Seine Vorgeschichte beginnt irgendwann im Jahr 2003. Ein amerikanischer Interessent erkundigt sich bei der Lürssen-Werft nach den Konditionen für den Bau einer Superyacht. Die Gespräche über verschiedene Varianten von Schiffen und Preise ziehen sich hin, zwei Jahre später wird der Vertrag unterschrieben.

Und dann ein früher Dezembermorgen im Jahr 2007 am Nord-Ostsee-Kanal, dunkel, windig und kalt. Jetzt beginnt die wirkliche Geschichte der „Martha Ann“. Es ist laut. Stahl donnert gegen Stahl, Schweißbrenner fauchen, Bohrer rattern, Hämmer lärmen, Sägen fressen sich kreischend in Holz, ein auf Schienen rumpelnder Kran gellt Warnsignale. Eine Wiege des Luxus stellt man sich anders vor.

Es ist der Tag null minus 100. Auf dem Hallenboden der Lürssen-Kröger-Werft bei Rendsburg ist noch nicht mehr zu sehen als ein paar Träger aus Rohstahl. Tag null soll der 4. April 2008 sein, der Tag der vereinbarten Übergabe der Yacht. Bis dahin müssen 70,20 Meter Schiff entstehen, 12,80 Meter breit, sechs Decks, alles in Luxusausführung, Preis irgendwo zwischen 70 und 80 Millionen, Genaueres unterliegt der Diskretion der Werft.

Die Lürssen-Werft, 1300 Mitarbeiter, die Hälfte davon im Yachtbau, stellt erlesene Produkte her. Oder „Quietschentchen für große Jungs“, wie Jörg Beiderbeck sagt. Der ehemalige Chefentwickler hat sie zehn Jahre lang entworfen: Megayachten. Lürssen baut die größten, die schönsten, die luxuriösesten, die teuersten. Für die Superreichen haben die Erzeugnisse der Werft den Ruf, den ein Maybach unter Limousinen genießt, wobei der Vergleich hinkt. Denn ein Maybach sieht aus wie der andere, bei Lürssen aber gibt es nichts Serielles. Jedes Schiff ist ein Unikat, es wird nur einmal geplant, einmal gebaut, einmal exakt zugeschnitten auf den Bedarf eines besonderen Kunden und maßgeschneidert nach seinen Wünschen. Zum Kundenkreis gehören der saudische Sultan bin Abdulaziz, Oracle-Boss und Softwaremilliardär Larry Ellison, Microsoft-Mitbegründer Paul Allen, Microsoft-Word-Erfinder und Weltraumtourist Charles Simonyi und der russische Ölzar Roman Abramowitsch. Außer Geld haben sie alle eine Einstellung gemeinsam, die Werft-CEO Peter Lürßen, 50, silbergraues Haar, gedeckte Anzugfarben, hanseatischer Stil, ganz schlicht formuliert: „Unsere Kunden haben kein Verständnis für den Satz ‚Das geht nicht‘.“

Ursprünglich war die Traditionswerft an der Weser spezialisiert auf „graue“ Produkte. Von den Helligen in Vegesack rutschte während der Hochkonjunktur des Krieges jede Woche ein neues Schnellboot ins Weserwasser, tarngrau lackiert; die Probefahrt führte nach Bremerhaven, von da ging es gleich weiter zur Feindfahrt gegen Engelland. Das exzellente marinetechnische Know-how überlebte Kriegsende und Zusammenbruch des deutschen Schiffbaus, und es dauerte nicht lange, bis die Bundesmarine neuer Hauptkunde wurde. „Lürssen Defence“ baute wieder Schnellboote, Korvetten, Fregatten, auch ein paar Seenotrettungskreuzer – und kam so gut ins Geschäft, dass das Unternehmen als weiteres Standbein die Kröger-Werft am Nord-Ostsee-Kanal angliederte.

Aber 1988 veranstalteten Peter und Friedrich Lürßen, die das Unternehmen inzwischen in vierter Generation führten, ein Strategieseminar. Wie wird die Weltlage? Wohin entwickelten sich Märkte, Waffensysteme, Bündnisse? Haben Schnellboote im Raketenzeitalter noch Zukunft? Eines der Denkspiele des Seminars skizzierte den schlimmsten anzunehmenden Fall für die Werft: Der Warschauer Pakt zerfällt, und die Berliner Mauer wird abgerissen. Es gab herzhaftes Gelächter und eine Rüge des Seminarleiters: Mit vollkommen abstrusen Spinnereien sollte man nicht die kostbare Zeit vertun! Doch der Denkanstoß brachte die Werftchefs dazu, intensiver als bisher über eine zweite Fertigungslinie nachzudenken.

Das war auch der Grund, weswegen Jörg Beiderbeck vor 22 Jahren einen überraschenden Anruf bekam. Der Schiffbauer aus Kiel hatte gerade die Hochschule hinter sich, er segelte gern und hatte eigentlich vor, schnelle Regattaboote zu entwerfen; nun bekam er das Angebot, an die Weser zu kommen und für Lürssen Luxusyachten zu konzipieren. Beiderbeck war langhaarig, links, voller verrückter Einfälle und passte zur grauen Lürssen-Truppe wie ein Clown auf einen Empfang für pensionierte Admirale. Aber der Paradiesvogel und die Panzerstahlbauer rauften sich zusammen und wurden ein Dream-Team.


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mare No. 81

No. 81August / September 2010

Von Peter Sandmeyer und Harald Schmitt

Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, promovierter Kulturwissenschaftler und langjähriger Stern-Reporter, erlebte viel Überraschendes auf der Lürssen-Werft. Im Gespräch mit Peter Lürßen erfuhr er auch, dass der 50-Jährige nur ein 80 Jahre altes offenes Beiboot besitzt. Längere Strecken legt er ungern auf dem Wasser zurück: Er wird seekrank.

Harald Schmitt, seit 1977 Fotoreporter des Stern, sechsmaliger World-Press-Photo-Award-Gewinner, arbeitete erstmals für mare, und es war ein Härtetest. Als er die Lackierer fotografierte, die ihre Farbnebel hinter hermetisch abschließenden Planen auf die Bordwände spritzen, war das Atmen ohne Maske fast unmöglich. Kollabieren wäre leicht gewesen.

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Vita Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, promovierter Kulturwissenschaftler und langjähriger Stern-Reporter, erlebte viel Überraschendes auf der Lürssen-Werft. Im Gespräch mit Peter Lürßen erfuhr er auch, dass der 50-Jährige nur ein 80 Jahre altes offenes Beiboot besitzt. Längere Strecken legt er ungern auf dem Wasser zurück: Er wird seekrank.

Harald Schmitt, seit 1977 Fotoreporter des Stern, sechsmaliger World-Press-Photo-Award-Gewinner, arbeitete erstmals für mare, und es war ein Härtetest. Als er die Lackierer fotografierte, die ihre Farbnebel hinter hermetisch abschließenden Planen auf die Bordwände spritzen, war das Atmen ohne Maske fast unmöglich. Kollabieren wäre leicht gewesen.
Person Von Peter Sandmeyer und Harald Schmitt
Vita Peter Sandmeyer, Jahrgang 1944, promovierter Kulturwissenschaftler und langjähriger Stern-Reporter, erlebte viel Überraschendes auf der Lürssen-Werft. Im Gespräch mit Peter Lürßen erfuhr er auch, dass der 50-Jährige nur ein 80 Jahre altes offenes Beiboot besitzt. Längere Strecken legt er ungern auf dem Wasser zurück: Er wird seekrank.

Harald Schmitt, seit 1977 Fotoreporter des Stern, sechsmaliger World-Press-Photo-Award-Gewinner, arbeitete erstmals für mare, und es war ein Härtetest. Als er die Lackierer fotografierte, die ihre Farbnebel hinter hermetisch abschließenden Planen auf die Bordwände spritzen, war das Atmen ohne Maske fast unmöglich. Kollabieren wäre leicht gewesen.
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