Ein Traum von Fisch

Eine Gruppe junger Alternativer in New Yorks Szeneviertel Williamsburg plant Revolutionäres: Sie will die Großstädte mit Fisch versorgen, der auf den Hochhausdächern gezüchtet wird

Wer alte Fotos von Jacob sähe, dem fiele auf, dass er noch immer wie das Kind wirkt, das er war, bevor er aus der Provinz nach New York kam. Jacob ist ein dürrer, kettenrauchender Sonderling von 28 Jahren, der ins Schwitzen gerät, wenn ihn etwas begeistert. Man kann ihn sich mit einem Hermann-Hesse-Buch vorstellen. Wir sitzen im Garten des „Roebling Tea Room“ im Stadtteil Williamsburg. Die Bedienungen sind an Armen und Beinen tätowiert, kaum ein Gast ist älter als 30. „Ich wollte etwas errichten in New York“, sagt Jacob. „Ich wollte mein eigenes Korallenaquarium bauen. Monumental und einzigartig und in der besten Stadt der Welt.“

Jacob findet nach seinem Umzug vor drei Jahren in Brooklyn ein Zimmer zur Untermiete und heuert bei der Firma New York Aquarium Service an, die sich auf den Bau und die Installation von Salzwasserbecken spezialisiert. Zunächst arbeitet er als Aushilfe. Er fährt das Auto und trägt Kisten. Er schaut zu, wie man Aquarien mit aufwendigen Pflanzensystemen und lebenden Riffen baut. Bald wächst er über seine Position hinaus. Begreift neue Entwicklungen schneller als andere. Er lernt die Besonderheiten, die bei der Lichtzufuhr zu beachten sind. Bald weiß er auch, welcher Fisch welches Futter kriegt und wie viel davon. Er lernt, welche Fischarten zusammenleben können, ohne dass sie sich gegenseitig beißen oder mit den Köpfen zu Tode boxen. Jacob zeigt sich geschickt im Umgang mit den Tieren. „Man kann es ein Talent nennen“, sagt sein Kollege Peter, der 36-jährige Cheftechniker von New York Aquarium Service. Jacobs Talent verhilft ihm zum Aufstieg. Bisher hat er handwerkliche Arbeiten erledigen müssen. Jetzt kümmert er sich um Riffe und Fische. Die meisten der Becken werden im Auftrag von Oligarchen und neureichen Investmentmanagern in den Penthäusern Manhattans oder den schlossartigen Villen der Nachbarstaaten New Jersey und Connecticut installiert. Manche Aquarien sind gläserne Mauern, die Zimmer voneinander trennen. Andere sind Fußböden. „Man kreiert etwas“, sagt Jacob, „spielt Gott.“

Als Jacob das erste Mal eine von seiner Firma ausgestellte Rechnung sieht, gerät er ins Staunen. Er mag sich einiges vorstellen, aber nicht, dass ein künstliches Riff 100 000 Dollar kosten kann. Jacob malt sich aus, was andere, größere Becken mit Salzwasserfischen kosten. Ihn stört der enorme Preis der faszinierenden, fremden Welt. Gleichzeitig stößt er sich an der Beiläufigkeit, mit der viele Kunden riesige Geldsummen lockermachen, und gleichzeitig an der Ignoranz, die sie seiner Arbeit entgegenbringen. „Erst wollen sie das Aquarium. Sie sehen es als Herausforderung. Nach drei Monaten verlieren sie die Lust und bestellen kurzerhand den Abriss.“

Ein wesentlicher Bestandteil New Yorks sind seine Träumer. Ein zweiter, dinghafterer Teil der Stadt sind seine Wolkenkratzer. Jacob lebt heute in einer schäbigen Wohnung im New Yorker Außenbezirk Bushwick, die er sich mit oft wechselnden Mitbewohnern teilt. Er verdient genug Geld, um über die Runden zu kommen, aber keinen Dollar mehr. „Es geht mir nicht ums Geld“, sagt er. Er will so viel haben, dass er keine Schulden machen muss. Wichtig ist ihm, etwas Eigenes zu finden, „das etwas bringt“. Jacobs Suche mündet schließlich in die Frage, ob die vielen Hochhäuser nicht sinnvoller genutzt werden können als dafür, Korallenriffe oder Zierfische von der Größe eines Babywals auszustellen.

Was er sich ausdenkt, klingt nach einem Einfall, der ohne Umwege in die imaginären, kilometerlangen New Yorker Aktenregale nicht umgesetzter Ideen Einzug nehmen könnte. „Ich wollte eine Fischfarm“, sagt Jacob, „auf einem Hochhausdach.“ Er stellt Kriterien auf. Es müsste ein Süßwasser- oder ein Wanderfisch sein. Seewolf, Karpfen, Lachs, Branzino oder Forelle. Ihr Kot könnte Nährboden für Rucola, Endivie oder Basilikum sein. Das wären zusätzliche Einkünfte. Fische und Grünzeug würden nach dem aquaponischen Prinzip das gleiche Wasser nutzen. Die Pflanzen reinigen es, das Wasser fließt zurück zu den Fischen. Das Resultat wäre ein geschlossenes Wassersystem.

Jacob liest, dass die Azteken den Tilapia zur Fischzucht nutzten. Sein Kot ist fruchtbar. Der Tilapia ist ein tropischer, blässlicher Buntbarsch mit langer Rückenflosse. Der Tilapia ist bescheiden. Er kränkelt nicht und ist sexuell aktiv. Kriegt er genug zu fressen, wächst er schnell. Er ist Allesfresser. Sein Fleisch schmeckt leicht nussig, ist weich und leicht von den Gräten lösbar; es wird in der Sprache der Köche „flockig“ genannt, weil es sich schuppenhaft voneinander trennen lässt. Der Tilapia schmeckt für einen Fisch relativ wenig nach Fisch, weswegen Kinder in den Schulcafeterias ihn gerne paniert essen. Das Geschlecht des weiblichen Fisches lässt sich nach der Geburt durch Testosteron im Futter zum männlichen wandeln, was die Größe der Zucht steuerbarer macht.


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mare No. 106

No. 106Oktober / November 2014

Von Michael Saur und Clemence de Limburg

Autor Michael Saur, seit 20 Jahren New Yorker, musste erleben, wie schwer die Umsetzung einer guten Idee sein kann. Er hat die Züchter ein Jahr lang begleitet. Was die belgische Fotografin Clémence de Limburg in ihrer Wahlheimat New York am meisten liebt, sind die begehbaren Dächer. Deswegen hat es sie sehr begeistert, dass man darauf auch Tilapias züchten kann.

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Vita Autor Michael Saur, seit 20 Jahren New Yorker, musste erleben, wie schwer die Umsetzung einer guten Idee sein kann. Er hat die Züchter ein Jahr lang begleitet. Was die belgische Fotografin Clémence de Limburg in ihrer Wahlheimat New York am meisten liebt, sind die begehbaren Dächer. Deswegen hat es sie sehr begeistert, dass man darauf auch Tilapias züchten kann.
Person Von Michael Saur und Clemence de Limburg
Vita Autor Michael Saur, seit 20 Jahren New Yorker, musste erleben, wie schwer die Umsetzung einer guten Idee sein kann. Er hat die Züchter ein Jahr lang begleitet. Was die belgische Fotografin Clémence de Limburg in ihrer Wahlheimat New York am meisten liebt, sind die begehbaren Dächer. Deswegen hat es sie sehr begeistert, dass man darauf auch Tilapias züchten kann.
Person Von Michael Saur und Clemence de Limburg