Ein Problem, ja, aber es gibt grössere

Der Mainstream der Medien erweckt derzeit den Eindruck, dass Plastikmüll die eigentliche Geißel des Meeres sei. Das ist eine verhee­rende Fehleinschätzung

Bei Greenpeace habe ich gelernt, welche Themen Menschen emotional berühren und so die Voraussetzung schaffen für ein Engagement. Vor 30 Jahren hielten wir Vorträge in Gemeindesälen und Schulaulen und zeigten vor den Pausen Bilder entweder von Atomwaffentests oder von abgeschlachteten Robbenbabys. In der Pause sammelten wir Spenden und warben um neue Mitglieder. Das Ergebnis war eindeutig: Die großen traurigen Robbenaugen siegten über die Bedrohung durch Nukleartests im entfernten Pazifik und bescherten uns die größten Spendenerfolge. Die Emotion bestimmte die Aktivität, nicht die nüchterne Einschätzung der Gefahr für die Natur an sich.

In diesen Tagen erkenne ich ähnliche Muster bei einem Thema, das allgegenwärtig die Gemüter erregt: dem Plastikmüll in unseren Meeren.

Seit einigen Jahren nun gelangt Plastikmüll erneut in den Fokus medialer Aufmerksamkeit. Insbesondere in den Meeren zeigt die steigende Produktion und Verwendung von Kunststoffen deutliche Folgen. Ob für Verpackungen, Textilfasern, Wärmedämmung, Isolierungen, Klebstoffe, Kosmetika oder Reifen – in den letzten eineinhalb Dekaden stellte die Industrie mehr als eine halbe Tonne Kunststoff je Kopf der Weltbevölkerung her, das entspricht fast vier Milliarden Tonnen.

Laut Schätzungen gelangen jedes Jahr vier bis zehn Millionen Tonnen Plastik in die Meere. Ein Großteil des Mülls sammelt sich in den großen ozeanischen Strudeln, den gyres, insbesondere im Nordpazifik. Aber auch in extrem abgelegenen Gebieten wie der Tiefsee, der Arktis oder der Antarktis fanden Wissenschafter Kunststoffe. Das Plastik in den Meeren gefährdet in Form von treibenden Netzen Säugetiere wie Delfine oder auch Schildkröten, die sich darin verfangen. Seevögel picken bunte Kunststoffteile von der Meeresoberfläche, füllen ihre Mägen mit dem unverdaulichen Material und verhungern so zu Tausenden.

Eine weitere Umweltbelastung ist das sogenannte Mikroplastik, Teilchen, die kleiner sind als fünf Millimeter. Es gelangt in Form von nicht vollkommen abbaubaren Stoffen wie Kosmetika in die Ozeane, oder es wird durch jahrzehntelange Zersetzung größerer Plastikteile erzeugt. Diese kleinsten Teilchen können von Zooplankton oder Fischen aufgenommen werden. Über all diese Belastungen mag kaum jemand streiten, allerdings sind die toxischen Folgen für die Tiere bis heute kaum oder nur ungenügend erforscht – und die Zahlen des effektiven Plastikeintrags basieren ausschließlich auf Hochrechnungen. Belastbare Messungen im Meer sind wegen der ozeanischen Dimensionen und der erschwerten Messumstände, wie etwa Wellen, kaum möglich.

Ohnehin zeigt sich beim Plastikmüll, dass der Stand der wissenschaftlichen Forschung weitgehend nicht den Meldungen in den Medien entspricht. Die dort veröffentlichten Hochrechnungen und Beschreibungen stammen meistens von NGOs oder Stiftungen, die oft ihre eigenen Ergebnisse darstellen. Gerade bei den alarmierenden Meldungen und Veröffentlichungen fehlen in der Regel exakte Messungen oder Zeitreihen, die einen Trend verlässlich belegen könnten.

Damit soll die Problematik des Plastikmülls in den Meeren keineswegs kleingeredet oder gar geleugnet werden. Die Zustände und Ausmaße sind katastrophal, die Folgen kaum abzuschätzen. Aber statt seriöse wissenschaftliche Untersuchungen abzuwarten, neigen Medien in Sachen Plastikmüll zum Alarmismus.

Unstrittig ist jedoch eines: Die Meere sind weit größeren Gefahren ausgesetzt. Die Folgen des Klimawandels – die Versauerung, Erwärmung und der Meeresspiegelanstieg, aber auch die Sauerstoffzehrung und die Überfischung – sind viel maßgeblichere Bedrohungen für die Meere, als Plastik es je sein kann. Etwa 30 Prozent des vom Menschen produzierten Kohlendioxids werden in den Ozeanen gelöst und von ihnen aufgenommen. Durch den CO2-Eintrag aus der Atmosphäre ist der Säuregrad der Ozeane seit Beginn der Industrialisierung um knapp 30 Prozent gestiegen. Der pH-Wert im Meerwasser hatte sich über Jahrtausende eingepegelt. Die Organismen konnten sich dieser Konstante perfekt anpassen, und das Ökosystem befand sich in einem fein regulierten Gleichgewicht.

Mit der plötzlichen und massiven Änderung des pH-Wertes verändern sich diese Systeme. Kalkalgen wie etwa Coccolithophoriden – eine Planktonart und somit Grundlage des Lebens in den Ozeanen und die lebensnotwendige Basis der Nahrungskette – verlieren ihre Kalkschalen; bei Korallen, Schnecken oder Muscheln nimmt die Kalkbildung um 22 bis 39 Prozent ab; bei kalkbildenden Meeresorganismen zeigt sich ein bis zu 17 Prozent geringeres Wachstum. Die Auswirkungen der Versauerung erfassen nicht einzelne Organismen, sondern verändern das gesamte Ökosystem.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 131. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 131

No. 131Dezember 2018 / Januar 2019

Von Nikolaus Gelpke

Nikolaus Gelpke, Jahrgang 1962, ist Gründer und Verleger von mare. Auch als Medienunternehmer bleibt der Meeresbiologe der Wissenschaft verbunden. Unter anderem als Initiator und Mitherausgeber der „World Ocean Review“, die seit 2010 erscheint, versucht er die Menschen für die Belange des Meeres zu sensibilisieren.

Mehr Informationen
Vita Nikolaus Gelpke, Jahrgang 1962, ist Gründer und Verleger von mare. Auch als Medienunternehmer bleibt der Meeresbiologe der Wissenschaft verbunden. Unter anderem als Initiator und Mitherausgeber der „World Ocean Review“, die seit 2010 erscheint, versucht er die Menschen für die Belange des Meeres zu sensibilisieren.
Person Von Nikolaus Gelpke
Vita Nikolaus Gelpke, Jahrgang 1962, ist Gründer und Verleger von mare. Auch als Medienunternehmer bleibt der Meeresbiologe der Wissenschaft verbunden. Unter anderem als Initiator und Mitherausgeber der „World Ocean Review“, die seit 2010 erscheint, versucht er die Menschen für die Belange des Meeres zu sensibilisieren.
Person Von Nikolaus Gelpke