Ein leuchtendes Vorbild

Der Hawaiianische Zwergtintenfisch ist ein Lieblingsobjekt aktueller Forschung. Seine clevere Symbiose mit einem Bakterium bringt die Wissenschaftler auf eine Idee, wie sich die Kommunikation zwischen Körperzellen und Bakterien in der Medizin nutzen lässt

In Fiedrich Schillers Drama „Wilhelm Tell“ heißt es: „Der Starke ist am stärksten ganz allein.“ Doch Biologen und Ärzte wissen, das ist Quatsch. Ohne Beziehungen ist man aufgeschmissen, als Tintenfisch wie als Homo sapiens. Entscheidend sind dabei nicht etwa Connections zu großen Tieren – sondern enge Bande zu mikroskopisch kleinen Lebewesen: Bakterien.

Hundert Billionen solcher Keime leben im und auf dem menschlichen Körper. „Sie gehören zu unserem Organismus gleichsam mit dazu“, sagt Philip Rosenstiel, Direktor des Instituts für Klinische Molekularbiologie der Universität Kiel. Und das ist auch gut so. Denn diesen Winzlingen mit dem zweifelhaften Ruf, von denen die meisten im Darm zu Hause sind, verdanken wir eine Menge. „Bakterien helfen uns nicht nur beim Verdauen“, sagt Rosenstiel. „Sie prägen auch unser Gefühlsleben mit. Und sie unterstützen das Immunsystem, das uns vor Krankheiten schützt.“ Rosenstiel erforscht die Kommunikation zwischen den Körperzellen und solchen Helfern. Wer diese Sprache fließend beherrsche, so ist er überzeugt, wird eines Tages Krankheiten besiegen, die heute als unheilbar gelten.

Am Computerbildschirm klickt Rosenstiel eine Bilddatei an und deutet auf pittoreske Wesen mit zehn Greifarmen: Zwergtintenfische. „Das sind wichtige Lehrmeister für uns“, sagt er. Ihr wissenschaftlicher Name lautet Euprymna scolopes, und sie leben ausschließlich vor der Küste von Hawaii im Pazifischen Ozean. Die Tierchen sind etwa so groß wie Mandarinen und haben einen imposanten Po – Euprymna bedeutet auf Griechisch „mit schönem Hinterteil“. Tagsüber buddeln sie sich mit Vorliebe auf dem Meeresgrund im lockeren Sand ein. Nur ihre großen Augen gucken dann heraus.

Nach Einbruch der Nacht aber wagen sich Hawaiianische Zwergtintenfische aus der Deckung und gehen auf die Jagd. Ihr Trick: Licht. Mit hell erleuchtetem Körper locken sie Garnelen an, ihre Leibspeise. Andere Räuber wiederum, die ihrerseits gerne Tintenfische fressen, können diese aus der Tiefe des Meeres nicht sehen, hat die US-Biologin Margaret McFall-Ngai von der University of Wisconsin-Madison herausgefunden. Vor der Wasseroberfläche, die der Mondschein erhellt, zeichnet sich ihr lichtdurchfluteter Körper nicht ab.
Das Spannende für die medizinische Forschung aber ist, dass Zwergtintenfische selbst gar keine Leuchtkraft haben. Als Beleuchtung dienen ihnen Bakterien. „Genau wie wir Menschen sind sie also auf die Unterstützung durch Keime angewiesen“, sagt Rosenstiel. Der Wissenschaftler beschäftigt sich seit Jahren mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa, an denen in Deutschland Zehntausende leiden. „Weltweit treten diese schweren Krankheiten in allen Industrieländern immer häufiger auf“, so Rosenstiel. Sie entstehen, wenn unser Immunsystem aus dem Ruder läuft und statt Krankheitserreger den eigenen Organismus angreift. Doch weshalb? Rosenstiel glaubt, dass Störungen bei der Signalübertragung zwischen Körperzellen und Bakterien der Auslöser sind.

Um solche Kommunikationsprobleme zu lösen, will er von den Zwergtintenfischen lernen. „Die Kopffüßer vor der Küste von Hawaii müssen die richtigen Keime erst einmal auswählen und anlocken“, erklärt der Forscher, und das „bei einer Auswahl von vielen tausend Bakterienarten“. Ein solches „Casting“ sei auch beim Homo sapiens von großer Bedeutung. Fast 1000 Bakterienarten leben im menschlichen Darm. Früher sprach man von der Darmflora, inzwischen hat sich der englische Begriff Microbiota etabliert.

Nur die wenigsten Bakterien belasten die Gesundheit. Im Gegenteil: Unser Darm funktioniert letztlich nur, wenn er eine Symbiose mit nützlichen Bakterien eingeht. „Die Mikroben vergären zum Beispiel hochkomplexe Nahrungsfasern und machen sie für unseren Körper dadurch erst verwertbar“, sagt der Schweizer Gastroenterologe Rémy Meier von der Ergolz-Klinik in Liestal, der sich seit mehr als 20 Jahren mit Darmkeimen befasst. „Ohne bakterielle Hilfe könnten wir an Mangelernährung sterben.“

Laktobazillen und Bifidobakterien fördern das menschliche Wohlbefinden auf wieder andere Weise, weiß Meier. Sie helfen der Darmschleimhaut bei der Regeneration und unterstützen die Immunabwehr des Körpers, die zu 70 Prozent im Darm organisiert wird. Millionen von Wächtern wie T-Zellen, B-Zellen und Makrophagen lauern in der Darmschleimhaut auf Eindringlinge. Doch sie benötigen ein schlagkräftiges Heer hilfreicher Bakterien, um wirklich effektiv zu sein.


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mare No. 121

No. 121April / Mai 2017

Von Till Hein

Till Hein, Jahrgang 1969, Wissenschaftsjournalist in Berlin, hat sich bereits in mare No. 106 mit Tintenfischen beschäftigt und dabei gelernt, dass diese Tiere bärenstark sind, Werkzeuge nutzen und ein prima Gedächtnis haben. Jetzt wurde er endgültig zum Kopffüßerfan. „Es ist super, dass sich Zwergtintenfische in der Medizin nützlich machen.“

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Vita Till Hein, Jahrgang 1969, Wissenschaftsjournalist in Berlin, hat sich bereits in mare No. 106 mit Tintenfischen beschäftigt und dabei gelernt, dass diese Tiere bärenstark sind, Werkzeuge nutzen und ein prima Gedächtnis haben. Jetzt wurde er endgültig zum Kopffüßerfan. „Es ist super, dass sich Zwergtintenfische in der Medizin nützlich machen.“
Person Von Till Hein
Vita Till Hein, Jahrgang 1969, Wissenschaftsjournalist in Berlin, hat sich bereits in mare No. 106 mit Tintenfischen beschäftigt und dabei gelernt, dass diese Tiere bärenstark sind, Werkzeuge nutzen und ein prima Gedächtnis haben. Jetzt wurde er endgültig zum Kopffüßerfan. „Es ist super, dass sich Zwergtintenfische in der Medizin nützlich machen.“
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