Ein Leben in Quarantäne

Auf der kleinen Ostseeinsel Riems bei Rügen erforschen Wissenschaftler den Kosmos von Viren und Bakterien, die katastrophale Tierseuchen verursachen. In der Abgeschiedenheit ihrer Labore erlauben sie den Organismen, sich ein wenig auszutoben

Gleich neben Rügen, im Greifswalder Bodden gelegen, gibt es einen Ort, wo immer noch die Mauer steht. Die Rede ist von „dem Riems“, wie die Menschen hier sagen, einem winzigen Fleck in der Ostsee, 1,2 Kilometer lang, 300 Meter breit. Einem Eiland, das idyllisch tut mit seinem Schilf, das sich im Wind wiegt, seinen reetgedeckten Fischerhäusern, denkmalgeschützten Villen – und doch so abweisend ist.

Die Insel duckt sich am Ende einer Bucht, weit weg von den schönen Stränden und eleganten Seebädern, als sei sie ausgestoßen worden. Flach ist sie, und von der Ferne erkennt man nicht sofort, wo das Meer aufhört und die Insel beginnt. Man betritt den Riems vom Festland aus über einen Damm und befindet sich gleich auf einem Parkplatz, auf dem sich die Autos drängen. Stacheldrahtzaun ragt in die Höhe, dahinter sprießt Unkraut zwischen den Fugen des Betonplattenwegs, und vor lauter Betonwänden, Backsteingebäuden und Schornsteinen sieht man kaum noch die Ostsee. Am Ende der Straße beobachten Kameras jeden Ankömmling, und ein Schild verrät: „Friedrich-Loeffler-Institut. Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit“.

Das ist er also, der verbotene Ort, wo Menschen bei Biosicherheitsstufe zwei und drei, das heißt moderates bis hohes Individualrisiko, ihren Dienst tun, abgeschottet vom Rest der Welt. Wer hier als Besucher hineinwill, braucht eine Sondergenehmigung, muss desinfizierte Schutzkleidung aus Baumwolle tragen und sich beim Hinausgehen mit Spezialflüssigseife duschen. Die Leute hier nennen das „rausduschen“. Für Tiere, an denen geforscht wird, gibt es kein Entkommen. Sie verlassen das Institut nur in Form von Tiermehl. Dieses wird von einer externen Firma noch einmal verbrannt. Sicher ist sicher.

Seit nunmehr fast 100 Jahren wird hier mit gefährlichen Erregern experimentiert, mit Viren, die in der Welt außerhalb vom Riems schlimmen Schaden anrichten: BSE, Vogelgrippe, Maul- und Klauenseuche, Schweinepest. Es sind Krankheiten, an denen Tausende Tiere Jahr für Jahr verenden. Manche Seuchen sind auf Menschen übertragbar, sie lösen Panik und politische Krisen aus, stürzen Landwirte in Existenzkrisen und töten Unschuldige. Jüngstes Beispiel: das mutierte Schweinegrippevirus, das seit April in Mexiko wütet und auch Deutschland bedroht.

Viren sind mächtig. Sie nisten sich in den Zellen anderer Lebewesen ein und manipulieren deren Stoffwechsel – wie Piraten, die ein Schiff entern und die Crew für sich arbeiten lassen. Ständig verändern sie ihr Gesicht, weshalb sie so schwer zu schnappen sind.

Die Wissenschaftler auf dem Riems fahnden täglich nach ihnen. Ihre Strategie: Sie erlauben den Viren, sich ein wenig auszutoben, unter strenger Aufsicht, in Reagenzgläsern, in Embryonen, in den Körpern der Tiere. So erfahren sie mehr über die Krankheit, sehen, welche Wege die Viren zurücklegen, von welchen Organen sie Besitz ergreifen, welche Symptome sie auslösen. Am Ende steht die Hoffnung, ein Gegenmittel, einen Impfstoff zu finden.

Gesundheit und Wohlbefinden von landwirtschaftlichen Nutztieren, daran arbeiten wir, daran forschen wir.“ Es sind die Worte des Präsidenten. Er heißt Thomas Mettenleiter. Jetzt sitzt er da, der Herr über 400 Mitarbeiter, in seinem hellen, holzgetäfelten Büro in der oberen Etage des Hauptgebäudes, und wenn er aus dem Fenster schaut, hat er einen traumhaften Blick aufs Meer.

Professor Dr. Mettenleiter, 51 Jahre alt, ist ein Mann der Forschung, ein Molekularbiologe, der auch noch einen Ehrendoktortitel trägt. In einem Regal befinden sich seine Lieblinge, Schweine aus Plüsch, Holz, Zinn oder Stroh, Präsente von Kollegen und Mitarbeitern. Mettenleiter ist Mitentwickler eines Impfstoffs gegen das Schweineherpesvirus. Daneben eine Collage, ein Geschenk seiner Studenten, mit einem Zeitungsausschnitt aus der „Bild“: „Dieser Mann rettet uns vor der Vogelgrippe“, dazu ist ein Foto von ihm abgedruckt.

Mettenleiter ist ein kleiner, energischer Mann, ein ehrgeiziger Schwabe, und nun schon seit 13 Jahren Chef des Friedrich-Loeffler-Instituts. In dieser Zeit ist es ihm gelungen, aus DDR-Forschungskadern und Wissenschaftlern aus dem Westen ein Institut zu formen, das Weltrang hat. Über die Hälfte seiner Belegschaft sind Ostdeutsche, der Rest kommt aus den alten Bundesländern und aus dem Ausland. „Unser Ziel ist es, zu den Top fünf in der Welt zu gehören“, sagt Mettenleiter.

Um es zu erreichen, wird gerade ein neuer Forschungstrakt errichtet. Der 300 Millionen Euro teure Bau mit 89 Labors und 163 Stallräumen soll 2010, spätestens 2011 fertig werden. Ein großer Teil der Insel ist zurzeit eine Baustelle. „Wenn der Neubau da ist, können wir es mit allen gefährlichen Viren aufnehmen“, sagt Mettenleiter. Denn dann wird sein Institut über Labore der Biosicherheitsstufe vier – „hohes Individual- und Bevölkerungsrisiko“ – verfügen, der höchsten, die es gibt.


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mare No. 74

No. 74Juni / Juli 2009

Von Jan Keith und Lene Münch

Jan Keith, Jahrgang 1971, mare-Redakteur, fährt seit Neuestem lieber mit dem Fahrrad zur Arbeit. Auf dem Riems hat er erfahren, dass sich an einem einzigen U-Bahn-Türgriff mehr als eine Milliarde Viren befinden können.

Seit die Ausrüstung von Lene Münch, geboren 1983, Fotografin in Hannover, vorschriftsmäßig desinfiziert wurde, hat ihr Stativ seltsame helle Flecken. „Ich bin heilfroh, dass wenigstens meine Kamera nichts abbekommen hat.“

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Vita Jan Keith, Jahrgang 1971, mare-Redakteur, fährt seit Neuestem lieber mit dem Fahrrad zur Arbeit. Auf dem Riems hat er erfahren, dass sich an einem einzigen U-Bahn-Türgriff mehr als eine Milliarde Viren befinden können.

Seit die Ausrüstung von Lene Münch, geboren 1983, Fotografin in Hannover, vorschriftsmäßig desinfiziert wurde, hat ihr Stativ seltsame helle Flecken. „Ich bin heilfroh, dass wenigstens meine Kamera nichts abbekommen hat.“
Person Von Jan Keith und Lene Münch
Vita Jan Keith, Jahrgang 1971, mare-Redakteur, fährt seit Neuestem lieber mit dem Fahrrad zur Arbeit. Auf dem Riems hat er erfahren, dass sich an einem einzigen U-Bahn-Türgriff mehr als eine Milliarde Viren befinden können.

Seit die Ausrüstung von Lene Münch, geboren 1983, Fotografin in Hannover, vorschriftsmäßig desinfiziert wurde, hat ihr Stativ seltsame helle Flecken. „Ich bin heilfroh, dass wenigstens meine Kamera nichts abbekommen hat.“
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