Ein Kopf für das Meer

Poseidonios, ein griechischer Philosoph der Antike, war der erste Naturforscher, der sich mit den Ozeanen befasste. Seine Erkenntnisse haben bis heute Gültigkeit

Poseidon ist der Name des griechischen Meeresgotts. Poseidonios ist der Name eines stoischen Philosophen und Universalgelehrten, der in Apamea im heutigen Syrien geboren wurde, sich später aber auf Rhodos ansiedelte. Er wirkte und lehrte im letzten vorchristlichen Jahrhundert – Griechenland und die hellenische Mittelmeerwelt gehörten damals schon zum Römischen Reich.

Poseidonios war ein Zeitgenosse Cäsars, Pompeius’ und Ciceros. Den Bürgerkrieg, der mit Cäsars Sieg endete, hat er noch erlebt, dessen Ermordung im März 44 vor Christus nicht mehr.
Trotz seiner griechisch-syrischen Herkunft war Poseidonios überzeugt von der Legitimität der Weltherrschaft Roms und verkehrte mit seiner Elite. Die Kontakte nutzte er auch als Forschungsreisender. Heute gilt Poseidonios als der erste Naturkundler, der sich intensiv mit dem Ozean befasste. Seine Lehre, auch wenn sie nur in wenigen Fragmenten erhalten ist, mutet in vielem auch heute noch visionär an. Die westlichen Eroberungen Roms – Iberien war gerade Teil des Imperiums geworden – boten ihm die Möglichkeit, zu den „Säulen des Herakles“ im äußersten Westen der damals bekannten Welt, bis zum „Non plus ultra“, „Bis hierher und nicht weiter“, zu reisen.

Bald nach dem Jahr 100 vor Christus bestieg Poseidonios, etwa 40 Jahre alt, vermutlich in Brundisium, dem heutigen Brindisi, ein Schiff und fuhr nach Iberien. Wahrscheinlich begann er seine Reise im März, denn der Schiffsverkehr begann üblicherweise im Frühjahr und endete im Herbst. Von Rom aus gesehen, war es eine Reise ins Unbekannte. Zwar waren Iberien und Gallien weitgehend unterworfen, doch immer noch galten die Menschen, die dort lebten, als grausam und wild.

In Massalia, dem heutigen Marseille, machte Poseidonios Rast, von der Hafenstadt reiste er entlang des Rhône ins Landesinnere, um ethnologische Studien zu betreiben. Nach seinem Besuch bei den keltischen Massaliern bestieg er wieder das Schiff und segelte weiter nach Westen. Spanien war der äußerste, von kriegerischen Völkern bewohnte Rand der damals bekannten Welt.

Dieser äußerste Westen war damals ähnlich weit entfernt wie der äußerste Osten der alten Welt. Indien und Westiberien waren vor allem im Mythos präsent, und eine Expedition dorthin zu unternehmen war ähnlich waghalsig wie im 19. Jahrhundert Humboldts Reisen ins Innere Südamerikas.

Poseidonios fuhr vermutlich als Passagier auf einem Handelsschiff mit, immer der Küste entlang, von einer Handelsstation zur nächsten. Schließlich erreichte das Schiff die Meerenge von Gibraltar. In dieser Gegend des Mittelmeers war die Präsenz des Atlantischen Ozeans bereits fühlbar an den starken Winden. Hinzu kam der dem westwärts fahrenden Schiff spürbare Gegenstrom.

Im Mythos wurde von den Dingen in und hinter der Meerenge von Gibraltar berichtet. So  erzählt der Dichter der Odyssee von Skylla und Charybdis, zwei Seeungeheuern, die man gut mit den Phänomenen in der Meerenge in Beziehung setzen kann, denn hier gibt es zwei hohe Felsen und auch riesige Strudel aufgrund des Zusammentreffens des Atlantiks mit dem Mittelmeer. Jenseits der „Säulen des Herakles“ siedelte der griechische Mythos die „glücklichen Inseln“ im westlichen Ozean an, die Inseln der Kirke und der Kalypso, das Elysium, den Sitz der Helden, oder das Phäakenland Scheria. Dies alles sind Traumbilder tatsächlich existierender Inseln, auf denen auch heute Urlauber Erholung und Glück finden – die Kanaren und Madeira.

Ganz besonders aber steht die Meerenge in Beziehung zum griechischen Helden Herakles (römisch Herkules). Zu dessen Taten, so glauben die Mythografen, zählt unter anderem die Durchbrechung der einst geschlossenen Grenze zwischen Atlantik und Mittelmeer. Mehrere seiner großen Abenteuer spielen hier, im damaligen „wilden Westen“, die Auseinandersetzung mit dem dreileibigen Geryon, der Kampf mit dem Zerberos und die wohl auf den Kanaren spielende Episode mit den Äpfeln der Hesperiden.

Die beiden hohen Felsen auf der europäischen und afrikanischen Seite der Meerenge wurden aufgrund dieser zahlreichen mythologischen Bezüge auch als „Säulen des Herakles“ bezeichnet. Sie sehen zwar nicht wie Säulen aus,  doch wurden im Altertum viele hohe Gebirge als Säulen bezeichnet, deren Funktion nach damaliger Auffassung zum Beispiel darin bestand, den Himmel zu stützen.


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mare No. 117

No. 117August / September 2016

Von Jens Soentgen

Autor Jens Soentgen, Jahrgang 1967, studierte Chemie und promovierte anschließend in Philosophie über den Stoffbegriff. Heute leitet er das Wissenschaftszentrum Umwelt der Universität Augsburg.

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Vita Autor Jens Soentgen, Jahrgang 1967, studierte Chemie und promovierte anschließend in Philosophie über den Stoffbegriff. Heute leitet er das Wissenschaftszentrum Umwelt der Universität Augsburg.
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