Ein guter Gast ist niemals Last

Es scheint, als wüssten wir Deutsche alles über die schöne Insel im Mittelmeer. Alles ist uns vertraut, wie eine zweite Heimat. Nur über die Meinung der Mallorquiner wissen wir wenig. Was bekommt­ man zu hören, wenn man sie über uns befragt?

Einmal die Woche treffen sich Toni Ferrer, sein Schwager Miquel Amengual und ein paar Freunde zum Pokern. Die Altherrenrunde kommt vor dem Essen auf der Terrasse von Ferrers Villa zusammen, umgeben von 100 000 Quadratmetern gepflanztem Dschungel. Zum Aperitif trinken die Mallorquiner Pinya Puig, die Inselvariante der amerikanischen Cola, jemand macht eine Flasche einheimischen Wein auf, die Hausangestellte bringt Oliven, es wird geplaudert, während in der Küche frische pürierte Tomaten, gerührte Eier und Lammkoteletts warten. Ferrer nennt diese Runde „das Dinosauriertreffen“, denn alle, die donnerstags den Weg zu seiner Finca im Inselinnern nehmen, haben ihr Geld mit den Deutschen verdient, als Hoteliers oder Gastwirte. Sie waren die Ersten und nennen sich „die Dinosaurier des Tourismus“.

Übers Geschäft sprechen die Herren nicht. Sie haben es den Kindern übergeben. Einmal die Woche belohnen sie sich für 50 Jahre Schuften, mit Poker, Zigarren und guter Gesellschaft. Auch über ihre Gäste sprechen sie nicht, über diese anonyme Masse, die sich 50 Kilometer südöstlich von Ferrers Finca am Ballermann amüsiert, neun Monate im Jahr. „Die Platja de Palma, den Ballermann, den haben wir erfunden“, sagt Toni Ferrer nach dem Essen und führt dabei eine braune, getöpferte Mokkatasse mit seinem Namen zum Mund. „Wir wollten etwas machen, das den Deutschen gefällt“, sagt er, „nicht unbedingt uns.“ Er nimmt einen Schluck schwarzen, entkoffeinierten Kaffee und stellt die Tasse dann auf das passende Tellerchen in seiner Hand. „Wissen Sie, die Deutschen denken immer, das Ihre ist das Beste.“

Zu dieser Erkenntnis gelangte Toni Ferrer früh, Ende der 1970er Jahre, als aus Gastfreundschaft Industrie wurde und die Freude über Besuch nicht mehr echt war. Damals begannen die Deutschen, sich auf Mallorca zu Hause zu fühlen. Seitdem ist die Insel nicht mehr nur maurisch, katalanisch und kastilisch, andalusisch oder galicisch, sondern auch ein bisschen deutsch. Tausende von Festlandspaniern zogen zum Arbeiten nach Mallorca. Sie umsorgen noch immer die Urlauber und die neue Spezies des Dauergasts, als Kellner, Zimmermädchen oder Rezeptionist. Heute überwintern Deutsche auf Mallorca, machen dorthin ihren Vereinsausflug, feiern Junggesellenabschied und Hochzeitstag, kommen zum Entspannen, lassen die Sau raus, tanken Sonne.

Und die Mallorquiner üben sich im Kulissenschieben. Seit fast 40 Jahren dient die Insel den Deutschen als Bühne. Hier stellen sie sich selbst dar, grenzen sich ab vom Rest ihrer Landsleute, führen das Stück von der Klassengesellschaft auf. Wenige Kilometer trennen den Mob vom Snob, hier Ballermann, dort Andratx, dazwischen der neue Trendort Port Adriano.

Richtig in die Augen gesehen haben sich Deutsche und Mallorquiner in all den Jahren nicht. Ihre Geschichte ist nicht die einer wunderbaren Freundschaft, sondern die der ewigen Entfremdung. Sie begann, als Ferrer nach Deutschland fuhr, um zu lernen, wie deutscher Filterkaffee und deutsches Pils schmecken. „Wir hatten ja keine Ahnung“, erzählt er. „Wir verdünnten unseren Kaffee und dachten, das ist es.“ Als er Pils im Fass importierte, in seinen Kneipen deutsche Kaffeemaschinen aufstellte und „Känschn Kaffe“ sagen konnte, da hatte er Erfolg. Reich wurde er, als er ein Pils in sieben Minuten zapfte, seine Kellner das deutsche Bierdeckelsystem zum Abrechnen einführten und ein DJ deutsche Partymusik auflegte. Seitdem sind seine Lokale „Köpi“, „Lugano“, „Gondola“ und „Siena“ acht Monate im Jahr voll, ebenso wie deren Nachahmer, das „Bamboleo“, das „Oberbayern“, der „Bierkönig“ oder der „Megapark“. Seitdem Toni Ferrer in Deutschland den Filterkaffee und das Sieben-Minuten-Pils kennengelernt hat, seitdem gibt es auf Mallorca eine Bierstraße. „Auch meine Erfindung“, sagt der 68-Jährige und zieht einen Mundwinkel nach oben.

Ferrer und sein Schwager Miquel Amengual haben als Küchenhilfe und Hotelboy angefangen, mit zehn und 14 Jahren, in den ersten Hotels einer damals kaum bebauten Bucht, die sich von Can Pastilla in Palma bis nach S’Arenal bei Llucmajor erstreckt: acht Kilometer Naturstrand, Sonntagsfrischler aus Palma, getrennte Badeanstalten für Damen und Herren, hier und da eine Kuhherde hinter den Dünen. Die ersten ausländischen Urlauber holte man mit dem Auto vom Flugplatz ab (der damals noch auf der anderen Seite der Stadt lag), weil sich das so gehörte. In der Küche stellte die Großmutter derweil die Paellapfanne auf den Gasofen. „Mallorca war damals exotisch, ideal für Flitterwöchner“, erzählt Amengual.

Heute fliegen die Schwäger aufs Festland zum Golfen, während in ihren Kneipen die Stammgäste mit den Kellnern schunkeln und sich beim Vornamen nennen. Pedro Crespo Jiménez tut das seit 32 Jahren. Der Andalusier kennt seine Gäste und sie ihn. Wenn sie ihren angestammten Stehtisch wiedergefunden haben, die erste Runde bestellen, dabei in seine braunen, gutmütigen Augen sehen, dann hat der Urlaub begonnen. Wenn sie sein „Moagän!“ hören und sein „Fia Bia, geanä“, dann lachen sie, legen den Arm um ihn, singen ihm ins Ohr. Pedro Crespo Jiménez gehört zum Ballermann wie die Palmen und die Liegestühle. Er ist seit 1979 da, verändert sich nur unmerklich. „Meine Gäste mögen es, wenn ich mit ihnen feiere“, sagt er lächelnd. „Ich mache jeden Spaß mit. Dafür sind sie dankbar.“


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mare No. 92

No. 92Juni / Juli 2012

Von Brigitte Kramer und Mathias Bothor

Brigitte Kramer, 1967 in München geboren, lebt fast ihr halbes Leben in Spanien. Als sie Ende der 1980er als Praktikantin in Barcelona ankam, wunderte sie sich, dass es dort auch rothaarige Menschen gibt. Seitdem beobachtet und erlebt sie den Wandel des Landes und schreibt darüber für deutsche und spanische Zeitungen und Magazine. Seit 2000 lebt sie mit ihrer Familie auf Mallorca, in Bunyola, nördlich von Palma.

Mathias Bothor, 1962 geboren, lebt und arbeitet als Fotograf in Berlin. Er war begeistert von der freundlichen Art der Mallorquiner. Toni Ferrer ließ es sich nicht nehmen, Bothor im Golfcaddie über sein 100 000 Quadratmeter großes Grundstück zu kutschieren.

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Vita Brigitte Kramer, 1967 in München geboren, lebt fast ihr halbes Leben in Spanien. Als sie Ende der 1980er als Praktikantin in Barcelona ankam, wunderte sie sich, dass es dort auch rothaarige Menschen gibt. Seitdem beobachtet und erlebt sie den Wandel des Landes und schreibt darüber für deutsche und spanische Zeitungen und Magazine. Seit 2000 lebt sie mit ihrer Familie auf Mallorca, in Bunyola, nördlich von Palma.

Mathias Bothor, 1962 geboren, lebt und arbeitet als Fotograf in Berlin. Er war begeistert von der freundlichen Art der Mallorquiner. Toni Ferrer ließ es sich nicht nehmen, Bothor im Golfcaddie über sein 100 000 Quadratmeter großes Grundstück zu kutschieren.
Person Von Brigitte Kramer und Mathias Bothor
Vita Brigitte Kramer, 1967 in München geboren, lebt fast ihr halbes Leben in Spanien. Als sie Ende der 1980er als Praktikantin in Barcelona ankam, wunderte sie sich, dass es dort auch rothaarige Menschen gibt. Seitdem beobachtet und erlebt sie den Wandel des Landes und schreibt darüber für deutsche und spanische Zeitungen und Magazine. Seit 2000 lebt sie mit ihrer Familie auf Mallorca, in Bunyola, nördlich von Palma.

Mathias Bothor, 1962 geboren, lebt und arbeitet als Fotograf in Berlin. Er war begeistert von der freundlichen Art der Mallorquiner. Toni Ferrer ließ es sich nicht nehmen, Bothor im Golfcaddie über sein 100 000 Quadratmeter großes Grundstück zu kutschieren.
Person Von Brigitte Kramer und Mathias Bothor