Ein Fest auf Planken

Trabocchi, alte hölzerne Fischerplattformen an der Adria, dienen heute oft als Restaurants. In einem davon geht es gern hoch her

Man kann noch so viel über jene Holzgeflechte wissen, die an der Küste der Abruzzen von den Ufern aus ins blaue Meer hineinragen. Man kann wissen, dass sie Trabocchi heißen und Pfahlbauten zum Fischfang sind. Steht steht man allerdings vor ihnen, erblickt man riesenhafte Insekten, mit Fühlern und Antennen. Amphibien, die auf langen Beinen ins Meer gewatet sind. Oder Baumhäuser in der See, Piratenunterkünfte! Selbst gezimmert, krumm und schief. Aber immer: mit dem Versprechen eines Abenteuers.

„Ist der Weg auch sicher?“, fragt der Mann, der zeitgleich mit mir am Trabocco „Sasso della Cajana“ in der Nähe der Marina von Vallevò ankommt. Er schaut auf den gewundenen Steg auf Stelzen, der zur Plattform des Trabocco führt, die rund 80 Meter vom Ufer entfernt über den Wellen thront. Erwartungsvoll läuft man über die Planken und bekommt, kaum angekommen, einen Platz zugewiesen. Man setzt sich, blickt auf die See, die Hügel der Küste, spürt ein sanftes Schaukeln und hört die Brandung dazu. Da taucht Marino Verì auf, der Besitzer. Blaues Polohemd, blaue Augen, freundliches Lächeln im braun gebrannten Gesicht. Er begrüßt seine Gäste per Handschlag und stellt sich mit Vornamen vor. Schließlich ist es hier, als steche man gemeinsam in See.

Jeder Gast bekommt das gleiche Menü. Was auf den Tisch kommt, entscheiden täglich neu das Meer und la Mamma – Addolorata, die Mutter von Marino, die mit seinen beiden Schwestern Nadia und Valentina und Tante Pina in der kleinen Kombüse auf der Plattform die Gerichte zubereiten. „Es ist vor allem eine Küche der Seemannsfrauen, die wir hier servieren“, sagt Marino, selbst Fischer. Erster Gang: Oktopussalat, eine Bruschetta mit einer Sardine auf einem Bett aus Zucchini, eine Sardelle in Öl, gewürzt mit rosa Pfeffer.

Mit mir ist eine Gruppe von gut 30 Leuten aus Chieti an Bord, die vor mehr als 50 Jahren zusammen zur Schule gegangen sind, ein junges Pärchen, zwei Paare aus Kalifornien. Später werden sich hier alle irgendwie kennen. Nächster Gang: ein Salat aus Erbsen und Tintenfisch, dicht gefolgt von Garnelen in Paprikasoße. Marino erzählt, dass es Landwirte waren, die die Trabocchi einst an der Küste errichteten, spätestens seit Mitte des 18. Jahrhunderts. Sie suchten nach einer sicheren Art zu fischen und entwickelten jene Pfahlbauten aus Akazienholz, von denen aus ein großes Netz per Drehkreuz ins Wasser gelassen wurde. Marinos Vorfahren waren bekannte Traboccokonstrukteure. „Alles kleine Leonardo da Vincis“, scherzt er.

Mitte der 1980er-Jahre waren die meisten Trabocchi verlassen – viele nur noch Holzruinen zwischen den Wellen. Ihr fragiles Geflecht zu erhalten kostete viel Geld und Zeit, und die Fischschwärme waren weniger geworden. Mitte der 1990er setzten sich Leute aus der Region zusammen, erzählt Marino, darunter Politiker, die den Erhalt der Küstentradition unterstützen wollten. Nach und nach wurden die Trabocchi wieder aufgebaut, nach und nach entstand die Idee, aus ihnen, zusätzlich zum Fischen, Restaurants zu machen. Marino war dabei. Drei, vier Jahre arbeitete er mit Freunden und Familie an diesem Trabocco, seit 2009 führen sie das Restaurant. 32 Trabocchi gibt es inzwischen wieder an der Küste zwischen Ortona und Vasto, 15 davon sind auch Restaurants.

Aus der Küche kommen neue Teller: Spaghetti alle vongole, mit Venusmuscheln also, gefolgt von einer Pasta mit Heuschreckenkrebs. Drei Stunden dauert das Essen insgesamt. Schon jetzt hält sich jeder den Bauch vor Fülle und Freude. Aber das Fest ist noch nicht vorbei: In der Kombüse wird die paranza vorbereitet. Meerbarben, Calamari, Tintenfische, Sardellen und Sardinen werden frittiert und mit Zitrone serviert. Und natürlich isst man – selbst wenn man längst nicht mehr kann. Auch das Zitronensorbet zum Nachtisch, das hausgemachte Gebäck, dazu ein rettender Espresso, noch ein digestivo, ein Enzianlikör. Dann ist die wundervolle Essenschlacht geschlagen. Jeder Gast an Deck redet inzwischen mit jedem, es wird selig gelacht, es werden Gläser erhoben und Einladungen für die Zukunft ausgesprochen, nach Chieti oder Kalifornien. „Das ist der Geist des Trabocco“, sagt Marino und grinst. „Es ist, als sei man zusammen auf einem Boot.“


Paranza

Zutaten (für vier Personen)

800 Gramm diverse Fische und Tintenfische, darunter bevorzugt Meerbarben, Zwergdorsche, Sardellen, Sardinen, kleine Sepien und Kalmare, außerdem etwas Hartweizenmehl und Sonnenblumenöl zum Frittieren, zwei Zitronen.

Zubereitung

Fische und Tintenfische waschen und trocken tupfen, in Mehl wenden, dann in der Fritteuse oder Pfanne in 190 Grad heißem Öl frittieren, bis sie goldbraun sind. Auf einem Küchentuch abtropfen lassen, mit Zitronenspalten garnieren und sofort servieren. Leicht salzen.


Trabocco Sasso della Cajana
Località Vallevò, Rocca S. Giovanni,
Tel. +39 347 913 5043,
www.sassodellacajana.com.
Geöffnet von Mai bis Oktober, im Frühling und Herbst bei kühlen Temperaturen nur mittags, im Sommer: mittags und abends. Unbedingt reservieren!

mare No. 136

No. 136Oktober / November 2019

Von Andrea Walter und Giovanni Cocco

Andrea Walter wurde 1976 in Hamburg geboren. Beim Aufnahmetest für die Henri-Nannen-Schule schrieb sie ein Porträt über Aale-Dieter, den bekanntesten Händler vom Hamburger Fischmarkt. Später reiste sie als Reporterin auf die norwegischen Lofoten, ins spanische Galizien und dutzende Male nach Island. Sie berichtete aus Finnland, Schweden, Südafrika, Marokko, Frankreich, England und immer wieder aus Italien. Oft auf der Suche nach dem Verhältnis des Menschen zum Meer und immer mit der Frage, warum Menschen leben und denken wie sie es tun. Über ihre Zeit in Island schrieb sie das erzählende Sachbuch Wo Elfen noch helfen, für das National Geographic-Buch Deutschlands Küsten und Inseln schrieb sie die Reportagen.

Giovanni Cocco, geboren 1973, lebt in Rom und Berlin. Er ist Bildkünstler und vielseitiger Fotograf. Sein eigener Stil und seine verschiedenen Konzepte, als Ergebnis seiner kontinuierlichen Forschung und Inspiration, zeigen verschiedene technische Mittel der Fotografie, die in seinen Händen starke Kommunikationskanäle seiner Sichtweise werden.

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Vita Andrea Walter wurde 1976 in Hamburg geboren. Beim Aufnahmetest für die Henri-Nannen-Schule schrieb sie ein Porträt über Aale-Dieter, den bekanntesten Händler vom Hamburger Fischmarkt. Später reiste sie als Reporterin auf die norwegischen Lofoten, ins spanische Galizien und dutzende Male nach Island. Sie berichtete aus Finnland, Schweden, Südafrika, Marokko, Frankreich, England und immer wieder aus Italien. Oft auf der Suche nach dem Verhältnis des Menschen zum Meer und immer mit der Frage, warum Menschen leben und denken wie sie es tun. Über ihre Zeit in Island schrieb sie das erzählende Sachbuch Wo Elfen noch helfen, für das National Geographic-Buch Deutschlands Küsten und Inseln schrieb sie die Reportagen.

Giovanni Cocco, geboren 1973, lebt in Rom und Berlin. Er ist Bildkünstler und vielseitiger Fotograf. Sein eigener Stil und seine verschiedenen Konzepte, als Ergebnis seiner kontinuierlichen Forschung und Inspiration, zeigen verschiedene technische Mittel der Fotografie, die in seinen Händen starke Kommunikationskanäle seiner Sichtweise werden.
Person Von Andrea Walter und Giovanni Cocco
Vita Andrea Walter wurde 1976 in Hamburg geboren. Beim Aufnahmetest für die Henri-Nannen-Schule schrieb sie ein Porträt über Aale-Dieter, den bekanntesten Händler vom Hamburger Fischmarkt. Später reiste sie als Reporterin auf die norwegischen Lofoten, ins spanische Galizien und dutzende Male nach Island. Sie berichtete aus Finnland, Schweden, Südafrika, Marokko, Frankreich, England und immer wieder aus Italien. Oft auf der Suche nach dem Verhältnis des Menschen zum Meer und immer mit der Frage, warum Menschen leben und denken wie sie es tun. Über ihre Zeit in Island schrieb sie das erzählende Sachbuch Wo Elfen noch helfen, für das National Geographic-Buch Deutschlands Küsten und Inseln schrieb sie die Reportagen.

Giovanni Cocco, geboren 1973, lebt in Rom und Berlin. Er ist Bildkünstler und vielseitiger Fotograf. Sein eigener Stil und seine verschiedenen Konzepte, als Ergebnis seiner kontinuierlichen Forschung und Inspiration, zeigen verschiedene technische Mittel der Fotografie, die in seinen Händen starke Kommunikationskanäle seiner Sichtweise werden.
Person Von Andrea Walter und Giovanni Cocco