Ein erfolgreiches Familienunternehmen

Wie Vater und Sohn Willem van de Velde im 17. Jahrhundert das Marinestück in der Malerei zu Weltruhm führten

Es war eine lange und Blutige Seeschlacht. Mehr als 250 englische und niederländische Kriegsschiffe hatten sich am 10. August 1653 vor der niederländischen Küste bei Scheveningen versammelt. Am Strand tummelten sich Hunderte Zuschauer, es hing viel von dem Zusammentreffen ab. Schon seit Juni blockierten die Engländer Hollands Seehäfen – eine Katastrophe für die kleine Nation, die ihre wachsende Bevölkerung nur mit Kornlieferungen aus dem Baltikum ernähren konnte. Am frühen Morgen fiel der erste Kanonenschuss. Es folgte ein erbittertes Gefecht, zwölf niederländische und zwei englische Schiffe sanken. Brandschiffe explodierten, Leichen trieben zwischen Wrackteilen – bis die niederländische Flotte am späten Nachmittag den Rückzug antrat, woraufhin auch die schwer lädierten Engländer endlich nach Hause fuhren.

Mitten im Getümmel saß die ganze Zeit ein Mann in einem Segelboot und zeichnete. Zwischen Kanonenschüssen und brennenden Schiffsrümpfen hantierte er mit riesigen Papierbögen, auf denen er mit Grafitstift festhielt, was um ihn herum geschah. Wieder in der Sicherheit seines Ateliers, überarbeitete er die Skizzen mit Feder oder Pinsel und verwandelte sie in unglaublich detailreiche Grisaillen, Malereien in Grau, Schwarz und Weiß, auf denen der Ablauf der Seeschlacht zu sehen ist – inklusive um Hilfe schreiender Matrosen und dümpelnder Pulverfässer. Selbst das Boot mit dem Zeichner fehlt nicht. Da sitzt er inmitten des Höllenspektakels, einen breitkrempigen Hut auf dem Kopf, beobachtet von einem Gehilfen, und zeichnet, scheinbar in aller Seelenruhe.

Willem van de Velde der Ältere war Künstler und Kriegsreporter in einem. In seinem Plattbodenboot war er bei einem halben Dutzend Seeschlachten dabei, seit dem Ersten Niederländisch-Englischen Seekrieg sogar in offiziellem Auftrag der Marine. In Kriegszeiten, wenn andere Künstler unter Auftragsmangel leiden, war van de Veldes Geschäft besonders profitabel. In wessen Auftrag er zeichnete, war für ihn dabei offenbar zweitrangig, denn 1674 emigrierte van de Velde nach England und trat mit seinem ältesten Sohn Willem, der ebenfalls Künstler war, in den Dienst von Charles II. Im ehemaligen Feindesland bauten Vater und Sohn einen florierenden Familienbetrieb auf, der auf die Produktion von Seestücken spezialisiert war. Damit erschufen sie nicht nur ein Genre, sondern auch eine Marke.

Wodurch der 1611 in Leiden geborene Willem van de Velde auf die Idee kam, Künstler zu werden oder bei wem er das Handwerk lernte, ist nicht bekannt. Dass er sich auf maritime Kunst spezialisierte, war wenig verwunderlich. Sein Vater war ein flämischer Binnenschiffer, in seiner Jugend hatte auch Willem sich als Matrose verdingt. Fest steht, dass er zwischen 1633 und 1636 nach Amsterdam zog und mit der Anfertigung und dem Verkauf maritimer Zeichnungen begann.

Immer wieder zog es ihn jedoch von seinem Atelier aufs Meer hinaus: Auf der Suche nach maritimen Ereignissen, die sich zu dokumentieren lohnten, reiste er zum Beispiel 1643 in die Hafenstadt Den Helder und auf die Wattinseln Texel und Terschelling, wo er jeweils die niederländische Flotte im Hafen porträtierte, und 1648 in die südholländische Stadt Hellevoetsluis, wo zu dieser Zeit die Niederländer zwischen der parlamentarischen und der royalistischen britischen Flotte lagen.

Als 1652 die Englisch-Niederländischen Seekriege begannen und van de Velde sich mitten ins Geschehen stürzte, wurden seine Werke enorm populär. Die Admiräle Maarten Tromp und Michiel de Ruyter beauftragten ihn mit der Dokumentation von Seeschlachten, stellten Boote zur Verfügung und veranlassten, dass deren Kapitäne nach seinen Anweisungen navigierten. Laut dem Künstlerbiografen Arnold Houbraken soll sich Admiral Jacob van Wassenaer Obdam mit Verwunderung darüber geäußert haben, „dass sich einer aus Liebe zur Kunst so nah an die Gefahr zu begeben wagt“. Auch wenn van de Velde einmal nicht beauftragt wurde, garantierten seine guten Kontakte in Marinekreisen, dass er bei anstehenden Seeschlachten rechtzeitig vor Ort sein konnte. Zur Schlacht vor Lowestoft reiste er 1665 sogar eine Woche im Voraus an – wurde danach aber kaum ein Werk los, da die Schlacht für die Niederländer mit einer schweren Niederlage endete.

Solche Fehlschläge gehörten zum Berufsrisiko des Kriegszeichners. Was die Kunden sehen wollten, waren keine Niederlagen, sondern Heldentaten. Dafür hielt van de Velde die Flottenkonstellationen vor Ort mit Grafitstift auf zusammengeleimten Papierbögen fest, die mehr als einen Meter breit und 30 Zentimeter hoch waren. Bei jeder Schlacht entstanden etwa 25 Zeichnungen. Diese waren aber noch keine fertigen Produkte, sondern dienten nur als Vorlagen für Drucke, großformatige Grisaillen und Tapisserien für vermögende Käufer. Im Nachhinein verdichtete der Künstler die Geschehnisse in Darstellungen mit hohem Blickpunkt, auf denen die Schiffe sich perspektivisch günstig staffelten. Teilweise konnte er sechs Jahre lang von einer Schlacht zehren.


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mare No. 137

No. 137Dezember 2019 / Januar 2020

Von Anneke Bokern

Anneke Bokern wurde in Frankfurt am Main geboren und hat in Berlin Kunstgeschichte studiert. Seit beinahe 20 Jahren lebt sie in Amsterdam und schreibt als freie Journalistin für deutsche Medien über Architektur, Kunst und Design.

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Vita Anneke Bokern wurde in Frankfurt am Main geboren und hat in Berlin Kunstgeschichte studiert. Seit beinahe 20 Jahren lebt sie in Amsterdam und schreibt als freie Journalistin für deutsche Medien über Architektur, Kunst und Design.
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