Der Traum von der eigenen Insel beginnt und endet an ihrem Hafen. Wo Schiffe ankommen und Menschen abladen, die erste Schritte tun, auf ihnen noch unbekanntem, vom Wasser begrenzten Land. Die Geschichte der schottischen Hebrideninsel Eigg ließe sich erzählen als eine Abfolge solcher Schritte. Man säße als Zeitreisende erhöht mit Blick über die Bucht von Galmisdale, weil es schnell aufwärts geht hinter der Landestelle auf dem bergigen Eiland, und würde ungläubig den Kopf schütteln über das Kommen und Gehen der Besatzer und Besitzer im Lauf der Jahrtausende. Und vielleicht käme einem, wenn man den letzten Herrn der Insel auf dem Rückzug sähe, das Wort Bodenhaftung in den Sinn.
Mittelsteinzeitliche Jäger und Fischer waren wohl die ersten Inselbewohner; neolithische Siedler haben frühe Behausungen an ihren Gestaden gebaut. Ein Wetterwechsel im Bronzezeitalter hin zu als schottisch verschrienen Verhältnissen hat deren Nachkommen die Ernte verregnet; keltische Nomadenvölker konnten damit besser umgehen und haben ihr Inselreich mit längst zerbröselten Mauern verstärkt. Dann kamen Mönche aus Irland, die das Bollwerk spirituell unterwanderten und Reichtümer in einem Kloster anhäuften, was räuberische Wikinger anlockte, die Eigg einen Namen gaben und mit allen Hebriden zum „Königreich der Inseln“ vereinten. Nach ein paar Gefechten wurde dieses 1266 Eigentum der schottischen Krone. Es folgten unübersichtliche Erbangelegenheiten, ab Mitte des 14. Jahrhunderts übernahm, wie es sich für die Gegend gehört, die Sippe Macdonald von Clanranald die Herrschaft. Der 20. Clanchef Reginald-George, finanziell stark in Anspruch genommen durch seinen feudalen Lebensstil, war schließlich der Erste, der die Insel schnöde auf den Markt warf.
Für 15 000 Pfund wurde sie 1827 an einen wohlhabenden Universitätsrektor aus Aberdeen verkauft. Für die nächsten 170 Jahre ist Eigg ein Spielplatz reicher Männer plus Anhang. Ein von der lokalen Bevölkerung im Sinn des Lehnsherrn bewirtschaftetes Stück Land im Meer, das je nach Vorliebe als Jagdgrund, Feriendomizil oder Statussymbol dient, pittoreske Kulisse für temporären Müßiggang oder Experimentierfeld profitorientierter Großbürger, die ihre Investitionsmasse von Anwälten und Verwaltern betreuen lassen. Es werden Schafe gehalten und Bauern vertrieben, Gutshäuser mit und ohne Türmchen gebaut, und selbstredend – dem Golfstrom sei Dank – wird irgendwann ein tropischer Garten angelegt. Das Leben auf der Insel ist ein anderes, ein hartes, entbehrungsreiches, in dem man dem Boden und dem Meer eine bescheidene Existenz abtrotzt und sich mit gälischen Liedern durch den Arbeitstag kämpft. Duldsam, gehorsam, ohne viel infrage zu stellen. Ein Leben ohne große Entscheidungshoheit, an dessen sozioökonomischen Grundlagen sich erstaunlich lange erstaunlich wenig ändert, wohl, weil es schon immer so war.
Auf der Anhöhe, wo die Zeitreise endet, steht eine Steinsäule aus erstarrter Lava, die halbe Insel ist aus diesem Material gemacht. Daneben ein Sockel mit einer verwitterten Inschrift: „Dieser Stein wurde errichtet, um an den historischen Kauf von Eigg durch den Isle of Eigg Heritage Trust, einem einzigartigen Verbund aus Inselgemeinschaft, Highland Council und Scottish Wildlife Trust, zu erinnern. 12. Juni 1997“. Rund 120 Menschen leben heute auf Eigg, etwa doppelt so viele wie beim damaligen Vertragsabschluss. Und einige von ihnen würden wohl sagen, die Geschichte der Insel fing damit erst an. Weil es ihre Geschichte ist, eine ziemlich einmalige noch dazu.
Nur haben sie keine Zeit, sie zu erzählen. Sie müssen ihr Kraftwerk am Laufen halten und den Lebensmittelladen, sie müssen Bäume großziehen, Kinder unterrichten und Bier brauen, sie müssen Surfbretter polieren und Sponsoren gewinnen, öffentliche Gelder eintreiben und Versammlungen abhalten. Sie müssen Fahrräder verleihen und Pizza für alle backen, Naturliebhaber über blumengesäumte Pfade führen und Vögel an ihren Stimmen erkennen. Sie müssen Wohnhäuser planen und Inselfeste und dabei den Fahrplan der Fähre genauso im Blick behalten wie den Warenstand des Souvenirladens. Und ab und an müssen sie nach Dienstschluss ein paar Gläser trinken, unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einem Hinterzimmer des luftigen Cafés im neuen Hafengebäude. „An Laimhrig“ vereint alles, was man auf einer kleinen Insel an Infrastruktur braucht. Der Name ist gälisch und bedeutet „sicherer Hafen“, der freundliche Zweckbau an der Pier ist der Inselbewohner jüngster Stolz. Außerdem Dreh- und Angelpunkt der Gemeinde, nicht nur weil im Obergeschoss die Vertreter der kommunalen Selbstverwaltung ihre Büros bespielen, im ständigen Überstundenmodus, wie es scheint.
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mare-Redakteurin Martina Wimmer hatte Vorbehalte gegenüber E-Bikes. Bis sie auf der windigen Insel ihre Recherche per Elektrofahrrad erledigte.
Nancy Jesse lebt und arbeitet als Fotografin in Berlin. 2022 war sie für ihre Abschlussarbeit an der Ostkreuzschule erstmals auf Eigg. Es wurde ein Langzeitprojekt daraus. Sie plant weitere Reisen.
| Lieferstatus | Lieferbar |
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| Vita | mare-Redakteurin Martina Wimmer hatte Vorbehalte gegenüber E-Bikes. Bis sie auf der windigen Insel ihre Recherche per Elektrofahrrad erledigte. Nancy Jesse lebt und arbeitet als Fotografin in Berlin. 2022 war sie für ihre Abschlussarbeit an der Ostkreuzschule erstmals auf Eigg. Es wurde ein Langzeitprojekt daraus. Sie plant weitere Reisen. |
| Person | Von Martina Wimmer und Nancy Jesse |
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| Vita | mare-Redakteurin Martina Wimmer hatte Vorbehalte gegenüber E-Bikes. Bis sie auf der windigen Insel ihre Recherche per Elektrofahrrad erledigte. Nancy Jesse lebt und arbeitet als Fotografin in Berlin. 2022 war sie für ihre Abschlussarbeit an der Ostkreuzschule erstmals auf Eigg. Es wurde ein Langzeitprojekt daraus. Sie plant weitere Reisen. |
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