Ei, wie fein!

Möweneier als Delikatesse? Noch verbietet der Gesetzgeber den Genuss. Aber der kulinarische Brauch steht vor dem Comeback

Claudia Schiffer hat sie ihren Gästen beim Hochzeitsessen serviert, Otto von Bismarck erklärte sie zu seinem Lieblingsgericht, und Richard Strauß haben sie „köstlich gemundet". Der Komponist löffelte sie auf Westerland am liebsten frühmorgens „mit frischer Butter, Sellerie und Brunnenkresse - ein Stück sonniger Ferienmorgen". Das kulinarische Glück der drei berühmten Esser trägt Olivgrün bis Grau mit braunen Punkten und ist etwas kleiner als die Hinterlassenschaft eines Huhns: Möweneier. Seit Jahrhunderten gelten sie als delikater Happen, eine Kreuzung von intensivem Eiergeschmack mit einem salzigfischigen Aroma, einer Prise Meer. Jahr für Jahr wurden auch an deutschen Küsten von Ende April bis Mitte Mai die Eier aus den Nestern der Seevögel geräubert und verspeist. Bis 1989. Im Jahr, als die Mauer fiel, sprachen Messgeräte der Umweltbehörden ein unerbittliches Urteil: verseucht! Nach amtlichen Untersuchungen waren die Eier so stark mit Pestizidrückständen, Quecksilber und anderen Industriegiften belastet, dass ihr Verzehr gestoppt und das Sammeln verboten werden musste.

Es war auch das Ende des Eiersegens der Stadt Schleswig. Deren berühmte Möwenkolonie liegt direkt vor der Haustür. Auf einer winzigen, der Stadt vorgelagerten, sichelförmigen Insel, dem so genannten Möwenberg, brüten seit je die Lachmöwen. Ihre Eier wurden noch in den fünfziger Jahren in alle Welt versandt. Bis nach Persien und in die USA gingen die mit Sägemehl gepolsterten Eierkartons. Jetzt standen sie auf dem Index. Eier-Junkies waren ab sofort vor allem auf irische Zulieferung angewiesen. Doch inzwischen stockt der Nachschub. Selbst das Berliner KaDeWe, die bekannteste Sammelstelle für Luxus und Verrücktheiten, hat das Möwenei seit fünf Jahren nicht mehr im Angebot. Also keine gekräuterten Möweneiviertel auf wildem Spargel mehr, keine Morcheln mit Portwein-Sahne-Reduktion und Möwengelege. Vor allem keine schenkelklopfenden Abende in norddeutschen Gaststätten mehr, wo unerschrockene Genießer schon mal ein Dutzend Eierchen verputzten - hart gekocht und natürlich ohne Eierbecher, immer aus der hohlen Hand, wie es das Ritual vorschreibt. Dafür wurde mit reichlich Schnaps nachgespült. Hoch vergnügliche Abende sollen das gewesen sein. Ach Larus ridibundus, du schwarzköpfige schöne Möwe!

Solch nostalgisch-resignierte Seufzer hört Thorsten Dahl gar nicht gern.Wenn es nach dem Bürgermeister der Stadt Schleswig eht, dann muss das Möwenei nicht auf ewig von der Speisekarte verbannt bleiben. Dahl und einige Mitstreiter kämpfen seit Jahren für ein Comeback, für die Wiederkehr eines kulinarischen Brauchs und eines Stücks Heimat. Dafür versammeln sich die Freunde des Möweneis sogar zu echten Demonstrationszügen, sie sammeln Unterschriften und schrecken auch vor einem Möwentriathlon nicht zurück: Von der Möweninsel wird aufs Festland geschwommen, dort nach Kiel geradelt, um das letzte Stück zu laufen - bis zum Sitz der Landesregierung, wo Protestnoten übergeben werden. Aus lauter Frust werden sogar Hühnereier olivfarben angemalt und gesprenkelt wie das Original.

Das stärkste Argument der Demonstranten: Die Stadt habe viel für die Umwelt getan, die Eier seien heute sehr viel sauberer. Viele offene Müllkippen, Tummelplatz der Möwen, seien geschlossen, die Mülleimer der Stadt möwensicher gemacht worden. Und das Flüsschen Schlei, in dem die Möweninsel liegt, habe deutlich an Wasserqualität gewonnen. „Es gibt keinen sachlichen Grund mehr für das Verbot", sagt Bürgermeister Dahl.

Schon vor vier Jahren haben deshalb die Stadtjäger von Schleswig einen neuen Anlauf aufs Möwenei genommen. Die Jäger, denen formell das Recht auf die Möwe „als jagdbares Wild" zusteht, beantragten beim Land Schleswig-Holstein die Aufhebung des Eiersammelverbots. Doch das Land hat abgelehnt. Die ohnehin dezimierten Lachmöwen, aber auch andere Vogelarten, würden durch die Sammler in ihrer Ruhe gestört, befand die Umweltbehörde des Landes. Die Jäger haben gegen diesen Bescheid Widerspruch eingelegt. Dann kam der politische Wechsel in Kiel. Jetzt hoffen Bürgermeister Dahl und Stadtjäger Wilhelm Jöns auf die neue Landesregierung und auf die Weisheit des Verwaltungsgerichts. Jöns: „Wir wollen die Eier ja nur im bescheidenen Stil sammeln, ein kleiner Vorspeisenteller." Die ersten Frühjahrshochwasser spülten ohnehin viele Gelege davon, und die Möwen würden ja nachlegen, „bis das Nest voll ist".

Tatsächlich zeigt sich die Lachmöwe in dieser Beziehung als wahres Huhn des Meeres. Auf Eierverluste reagiert sie mit einem neuen Gelege. Deshalb, so argumentieren die Eierfreunde, seien die Bestände über Jahrhunderte immer stabil geblieben. Ausgerechnet in den letzten Jahren nun, seit Einführung des Sammelverbots, ist die Lachmöwenpopulation nicht explodiert, sondern zurückgegangen. Und nicht nur in Schleswig. Silber-, Mantel- und Heringsmöwen - deren Eier weniger geschätzt werden - verdrängen in vielen Revieren die kleinere Lachmöwe. Wissenschaftler suchen immer noch nach den Ursachen für die schrumpfenden Bestände. Dieses Jahr wurden etwa 700 Brutpaare der Lachmöwe auf der zwei Hektar großen Insel vor Schleswig gezählt. Zu besten Zeiten kreischten dort bis zu 10 000 Exemplare. Im Frühjahr, „wenn sie alle genistet haben, liegt der Möwenberg so voll Eyer und Junge, dass man schwerlich darauf gehen kann, ohne wenigstens viel Eyer zu zertreten", heißt es in alten Aufzeichnungen der Stadt. Wie ein Schneegestöber pflegten sich die Möwen Anfang April über die Insel auszubreiten.

Auch sonst ist die Schleswiger Stadtchronik gespickt mit Möweneiern. Und mit Möwenleichen. Denn auf der Insel wurden nicht nur Eier gesammelt. Die Möwen wurden ein Mal im Jahr zum Abschuss freigegeben. „Das von der niederen Volksklasse mit Eifer begangene Schießen", so die Chronisten, ist nicht nur für die Einwohner von Schleswig ein Festtag gewesen. Die Jagd wurde zur blutigen Gaudi, und mancher Beobachter wunderte sich über den „zügellosen Eifer" beim massenhaften Töten der Vögel. Heimatdichter Adalbert Heinrich Graf von Baudissin hat im Jahr 1865 das wilde Geballer mit saftiger Rhetorik beschrieben.

„Schon am frühen Morgen des verhängnisvollen Tages sieht man ehrwürdige Philister, kaum erwachsene Buben, Ratsherren und Schneiderlehrlinge mit Doppelflinten, Pistolen, Musketen, Entenbüchsen und Muskedonnern verdächtige und staatsgefährliche Übungen anstellen. Hier ladet ein dicker Bierbrauer ein Pfund Schrot, dort sucht ein Seifensieder das Piston abzuschrauben, hier werden alte Feuerschlösser repariert, dort verzweifelte Anstrengungen gemacht, den eingerosteten Ladstock herauszuziehen. Dazwischen laufen Weiber und Kinder mit enormen Pulverhörnern, schweren Schrotbeuteln und ganzen Schachteln voll Zündhütchen."


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mare No. 53

No. 53Dezember 2005 / Januar 2006

Von Manfred Kriener

Manfred Kriener, Jahrgang 1953, lebt in Berlin und ist Chefredakteur der Zeitschrift Slow Food. Er schreibt über Essen und Trinken, aber auch über Bevölkerungsexplosionen, Dioxinschleudern und andere Umweltnekrosen. Das Thema Möwenei passte ihm: Es liegt an der Schnittstelle zwischen Umwelt und Genuss.

Die Abbildung ist Werner Fischers Buch Köstlichkeiten internationaler Kochkunst von 1975 entnommen, das den Geschmack der Zeit widerspiegelt. Wenige noch lieferbare Exemplare des historischen Werkes sind erhältlich beim Matthaes Verlag in Stuttgart, Telefon 0711/21 33 329.

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Vita Manfred Kriener, Jahrgang 1953, lebt in Berlin und ist Chefredakteur der Zeitschrift Slow Food. Er schreibt über Essen und Trinken, aber auch über Bevölkerungsexplosionen, Dioxinschleudern und andere Umweltnekrosen. Das Thema Möwenei passte ihm: Es liegt an der Schnittstelle zwischen Umwelt und Genuss.

Die Abbildung ist Werner Fischers Buch Köstlichkeiten internationaler Kochkunst von 1975 entnommen, das den Geschmack der Zeit widerspiegelt. Wenige noch lieferbare Exemplare des historischen Werkes sind erhältlich beim Matthaes Verlag in Stuttgart, Telefon 0711/21 33 329.
Person Von Manfred Kriener
Vita Manfred Kriener, Jahrgang 1953, lebt in Berlin und ist Chefredakteur der Zeitschrift Slow Food. Er schreibt über Essen und Trinken, aber auch über Bevölkerungsexplosionen, Dioxinschleudern und andere Umweltnekrosen. Das Thema Möwenei passte ihm: Es liegt an der Schnittstelle zwischen Umwelt und Genuss.

Die Abbildung ist Werner Fischers Buch Köstlichkeiten internationaler Kochkunst von 1975 entnommen, das den Geschmack der Zeit widerspiegelt. Wenige noch lieferbare Exemplare des historischen Werkes sind erhältlich beim Matthaes Verlag in Stuttgart, Telefon 0711/21 33 329.
Person Von Manfred Kriener