Ei, Ei, Käpten

Meeräschenrogen, griechisch avgotaraho, ist im Mittelmeerraum eine wertvolle Delikatesse. Wenn sich dazu noch Hühnereier gesellen, ist das Aromaerlebnis perfekt

Missolonghi hört sich ja sehr italienisch an, aber der kleine Ort mit seinen endlosen und klaren Lagunen liegt an der Westküste Griechenlands, etwa 50 Kilometer nördlich von Patras. Geschulte Bildungsbürger wissen, dass hier im April 1924 der großartige Philhellene und Sinneskulinariker Lord Byron dem Sumpffieber erlag. Doch nur wenige Gourmets haben Kenntnis davon, dass genau hier ein paar Jahre später die Fischerfamilie Trikalinos ein Produkt gebar, welches heute zu den 30 Topdeli­katessen der Welt zählt. Es handelt sich dabei um avgotaraho, Meeräschenrogen, besser bekannt unter seinem italie­nischen Namen bottarga. Der Clan der Trikalinos’ hat dieses Produkt seit mehr als 150 Jahren von Generation zu Generation verfeinert, und heute wird es hochgelobt und heiß geliebt von Küchengurus wie Jamie Oliver, Vincent Klink und Ferran Adrià.

Nahe Missolonghi schieben ruhige Ruderzüge das kanuähnliche Boot im Schritttempo durch dichten Schilfwald. An dessen Ende öffnet sich, inmitten himmlischer Ruhe, eine riesige Lagune. Souveräne Handführung öffnet ein Gittertor über einer kleinen Schleuse. Ein solcher abgezäunter Wassergarten erstreckt sich dann über mehr als 100 Hektar.

Die eleganten stromlinienförmigen, silbrig glänzenden Fische, gut einen Meter lang und gemeinhin als Grey Mullet be- kannt, sind in Ozeanen wie Flüssen zu Hause. Im Frühling, wenn die Meeräschen­weibchen das seichte Gewässer der Lagune aufsuchen, öffnen die Fischer die Schleusen. Im September dann drängt es sie zum Laichen zurück ins offene Meer, doch eben in diesen vergitterten Schleusen verfangen sie sich.

Auf einer winzigen Insel in der Lagunenmitte stehen drei Pfahlbauten, in denen die zehn Hausfischer das ganze Jahr über unter archaisch-primitiven Bedingungen leben, Sorbas-Feeling in Reinkultur. Es gab zwar immer wieder Versuche der Züchtung, doch die sensiblen Meer­äschen produzierten umgehend qualitativ schlechteren Rogen oder verweigerten gänzlich ihren Dienst.

Die Trikalinos setzen immer schon auf die traditionelle Fangmethode ihrer Vorfahren, erhielten also den natürlichen Lebensraum der Fische und schonten nebenbei auch ihre reichen Bestände. Zur Ernte gilt es jetzt nur noch mithilfe eines hölzernen Hebebalkens das leicht ausgebeulte Senknetz ein bis zwei Meter tief auf den Grund der Lagune abzusenken und das zappelnde Äschengebirge dann mit schnell-routinierten Griffen ins Boot zu hieven.

Die anschließende bottarga-Produk­tion umfasst etwa 40 manuelle Arbeitsschritte. Die Rogen werden zunächst ge- waschen und mit grobkörnigem Meersalz eingerieben. Nachdem dieses in die Masse eingezogen ist, kommen die Rogen auf Trockenroste und werden danach mit sanftem Druck in brotlaibartige Formen gepresst. Der ganze Prozess nimmt rund acht Tage in Anspruch. Am Ende wird nun jedes Stück mehrmals in erhitztes Bienenwachs getaucht. So entsteht eine undurchlässige, schützende Wachsschicht, die den Rogen konserviert und den Salzgehalt und die Feuchtigkeit perfekt ausbalanciert.

Genau diese Methode unterscheidet den butterzarten, hoch aromatischen avgo­tara­ho von seinem eher knochentrocke­nen sardischen Pendant. Seine Textur und Konsistenz erinnern an Kaviar, seine Farbe variiert zwischen Goldgelb und Rotbraun.

Generell wird der natriumarme, vitamin- und proteinreiche avgotaraho mit ­seinem hohen Gehalt an Omega-3-Fett­säure gern roh verzehrt, allenfalls leicht erwärmt und erst am Ende den Gerichten zugegeben; seien es Risottos, Suppen, orientalische Bulgursalate, Erdbeerdesserts oder pikante Amuse-Gueules. Der Gourmetkritiker Simos Georgopoulos schwärmt: „Lege eine flache Scheibe in deinen Mund und fühle eine samtartige Explosion mit einem fruchtigen und ozeanischen Nachgeschmack – nebst einem pikanten Biss, der bis zum äußersten Punkt des Gehirns reicht. Und dieses Gefühl wird Stunden anhalten.“

 

Spiegeleier mit Wildspargel und avgotaraho

Zutaten (für vier Personen)

4 halbierte grüne Spargelstangen, 8 Baguettescheiben, 8 gehackte Schnittlauchhalme, 4 Eier, 2 Limetten, grüner Pfeffer, 4 EL Olivenöl, 2 Stück Butter, 1 EL avgotaraho-Pulver, 16 dünne Scheiben avgotaraho (beides zu beziehen über Trikalinos).

Zubereitung

Die Brotstücke in erwärmter Butter schwenken und goldgelb rösten, danach mit avgotaraho-Pulver bestreuen. Die Spargelstangen in Olivenöl sanft anbraten, mit geriebenen Limetten beträufeln und auf die Brotscheiben legen. Die Eier im verbliebenen Öl etwa sechs Minuten bei mittlerer Hitze braten und den Schnittlauch dazugeben. Die Spiegeleier auf die warmen gerösteten Brot­scheiben legen, darauf die avgotaraho-Scheiben platzieren (zuvor die Wachshülle entfernen) und mit grünem Pfeffer bestreuen.

Trikalinos
50 Ethnarchou Makariou Ave., 172 34 Dafni, Athen, Tel.: +30 210 9273660, <a href="https://trikalinos.gr/en" target="_blank">www.trikalinos.gr</a>

mare No. 114

No. 114Februar / März 2016

Von Wolf Reiser

Wolf Reiser, Jahrgang 1955, lebt und arbeitet als Autor in München-Schwabing.

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