Durch dunkle Wunderkammern

Seit mehr als 20 Jahren reist die Fotografin und Schriftstellerin Rosamond Wolff Purcell aus Boston zu den naturhistorischen Wunderkammern dieser Welt. In den Kellern der großen Museen von Cambridge, Dublin, Honolulu, Kopenhagen, Leiden, London und Washington findet sie ihre Objekte, die oft seit einem halben Jahrhundert kein Tageslicht mehr gesehen haben. Die einst so stolzen Trophäen von Expeditionen über alle Erdteile und in die Tiefen der Weltmeere verstauben in den berühmten Sammlungen, nachdem sie ihren Dienst für die Wissenschaft getan haben. Klassifiziert und beschrieben ruhen sie in Spiritus oder in alten Zigarrenkisten von Abonné und Melati, in Schuhkartons und Hutschachteln, eingebettet in Wachs-und Seidenpapiere, die mit filigranen Federzügen verziert sind. Mitunter haben Kuratoren Purcell gefragt, warum sie sich ausgerechnet für die alten Skelette und Bälger in den Abstellkammern interessiere, man habe doch viel sensationellere Präparate in den Ausstellungsräumen. Aber Rosamond Wolff Purcell kommt aus einer Familie von Sammlern und schätzt seit ihrer Kindheit die Patina und den Humor alter Stücke. Ihre Kunst besteht unter anderem darin, die lange vergessenen Fische und Krebse, die Mollusken und Fossilien wieder ins rechte Licht zu rücken. Daran arbeitet sie oft Wochen ungestört in den dunklen Labyrinthen der Museen. Zwei ihrer schönsten Bücher hat sie mit dem Paläontologen Stephen Jay Gould von Harvard herausgegeben, der die Texte zu „Finders, Keepers. Eight Collectors“ und „Illuminations. A Bestiary“ geschrieben hat. „Kunst“, bemerkte er über Purcells Arbeit, „kann im glücklichsten Fall eine gänzlich neue Dimension zu unserer Wahrnehmung hinzufügen.“ Es ist diese Dimension und das Licht aus dem Dunkel der Archive, die den Bildern von Rosamond Wolff Purcell eine Heiterkeit über den Tod in Alkoholkolben und Tabakskisten hinaus verleiht. tesch