Dreiecksgeschichten

Flugzeuge und Schiffe, die spurlos im Atlantik verschwinden – die Legende vom Bermudadreieck hält sich bis heute. Dabei ist längst klar: Der Mythos entstand durch schlampige Nachforschungen und Berichte von Autoren, die ihrer Fantasie freien Lauf ließen

Mittwoch, 5. Dezember 1945, US-Marinestützpunkt Fort Lauderdale, Florida. Um 14.10 Uhr hebt Flug 19 ab, ein Verband aus fünf Grumman-Avenger-Torpedobombern. An Bord befinden sich 14 Mann, die meisten davon Flugschüler. Das Kommando hat der erfahrene Fluglehrer Lieutenant Charles Taylor. Direkt nach dem Start nehmen die Maschinen Kurs auf den Atlantik. Eine Navigationsübung über dem offenen Meer.

Was routinemäßig beginnt, endet in einem Desaster. Flug 19 verirrt sich über dem Meer und verschwindet. Auch eine am Abend zur Suche ausgeschickte Martin PBM Mariner samt 13-köpfiger Besatzung kehrt nicht zurück. Am folgenden Tag beginnt eine der größten Suchaktionen in der Geschichte der Navy – ohne Ergebnis.

Flug 19 wird zunächst als ein besonders tragisches Unglück verbucht. Doch die Fragen bleiben. Wie können auf einen Schlag fünf Flugzeuge spurlos verschwinden? Warum versagten den anfangs noch mitgehörten Gesprächen der Piloten zufolge die Kompasse den Dienst? Und konnte es wirklich Zufall sein, dass zur gleichen Zeit im gleichen Gebiet auch ein Suchflugzeug verloren ging? Die Legende vom tödlichen Seegebiet, in dem sich Flugzeuge und Schiffe in Luft auflösen, ist geboren.

Sie wächst zunächst langsam. 1952 veröffentlicht „Fate“, das „weltweit führende Magazin für Paranormales“, einen Artikel, der das Schicksal von Flug 19 in einen Zusammenhang mit dem rätselhaften Verschwinden anderer Schiffe und Flugzeuge vor Floridas Küste stellt. Ein Text in „Argosy“, der Mutter aller US-Pulp-Magazine, prägt 1964 schließlich den Begriff vom „Bermudadreieck“, dessen Eckpunkte meist mit Miami, Puerto Rico und den Bermudas verortet werden.

Die Geschichten von verlorenen Schiffen und Flugzeugen ähneln sich. Stets herrschen zum Zeitpunkt des Verschwindens beste Wetterbedingungen, selten bleibt Zeit, einen Notruf abzusetzen, und so gut wie nie finden sich Wrackteile oder andere Spuren. In einigen Fällen werden sogar Geisterschiffe gefunden, die scheinbar intakt, aber ohne Besatzung auf dem Meer treiben.

Den Durchbruch zu Weltruhm schafft die Legende schließlich mit dem 1974 erschienenen Buch „Das Bermuda-Dreieck – Fenster zum Kosmos?“ des Amerikaners Charles Berlitz. Der Linguist und Erbe des Berlitz-Sprachschulimperiums listet darin Fälle auf, bei denen es im Dreieck angeblich nicht mit rechten Dingen zuging, beginnend bei den seltsamen Lichtern am Nachthimmel, die Kolumbus auf seiner ersten Amerikafahrt sah.

Dunkle Mächte des Dreiecks holen demnach Flugzeuge vom Himmel, so geschehen bei den beiden baugleichen Passagierflugzeugen Avro Tudor „Star Tiger“ (1948) und „Star Ariel“ (1949) oder der Super Constellation, die 1954 mit 42 Mann spurlos verschwand. Schiffe verschwinden meist auf hoher See wie die britische Fregatte „Atalanta“ (1880), das mit über 300 Mann besetzte Marineversorgungsschiff USS „Cyclops“ (1918) oder der 20 000-Tonnen-Frachter „Anita“ (1973). Manchmal trifft es sie aber auch in unmittelbarer Nähe der Küste (Yacht „Revonco“, 1967), oder sie werden als unbemannte Geisterschiffe wiedergefunden („Rosalie“, 1849; „Freya“, 1902; „Witchcraft“, 1967). Was dabei Fakt, Mutmaßung oder Gerücht ist, bleibt in Berlitz’ Buch meist offen, ebenso wie die Quellen vieler Behauptungen.

Auch bei möglichen Erklärungen des Phänomens legt sich Berlitz nicht fest – er zitiert lieber „gewisse Forscher“ und „Theoretiker“ und fährt ein ganzes Pandämonium möglicher Deutungen auf: Monsterwellen, Seeungeheuer, Tore zu einer anderen Dimension, Löcher im Raum-Zeit-Kontinuum, Wirbel im elektromagnetischen Feld. Doch Berlitz’ Lieblingstheorie ist diese: „Jene, die sich am eingehendsten mit diesen Phänomenen befasst haben, sprechen die Vermutung aus, dass das unerklärliche Verschwinden von Schiffen, Flugzeugen und Menschen im Zusammenhang mit vernunftbegabten außerirdischen Wesen steht.“

Das ist starker Tobak für den Intellekt des Lesers. Und dennoch verkauft sich Berlitz’ Buch in den 1970er-Jahren sensationell gut. Zusammen mit seinem Nachfolgerbuch „Spurlos“ steht Berlitz in Deutschland von 1975 bis 1978 fast durchgehend auf der „Spiegel“-Sachbuchbestsellerliste. 1977 führt er sogar die Top Ten der Jahresbestsellerliste an, in bester Gesellschaft mit den „Beweisen“ des Schweizer Ufologen Erich von Däniken.


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mare No. 110

No. 110Juni / Juli 2015

Von Georg Rüschemeyer

Der Wissenschaftsjournalist Georg Rüschemeyer, Jahrgang 1970, wohnhaft in Englands Spukhauptstadt York, glaubt nicht an paranormale Dreiecke und hat in seiner Stadt auch noch keine Gespenster gesehen. Er bewohnt dort allerdings sicherheitshalber kein altes Schloss, sondern einen Neubau.

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Vita Der Wissenschaftsjournalist Georg Rüschemeyer, Jahrgang 1970, wohnhaft in Englands Spukhauptstadt York, glaubt nicht an paranormale Dreiecke und hat in seiner Stadt auch noch keine Gespenster gesehen. Er bewohnt dort allerdings sicherheitshalber kein altes Schloss, sondern einen Neubau.
Person Von Georg Rüschemeyer
Vita Der Wissenschaftsjournalist Georg Rüschemeyer, Jahrgang 1970, wohnhaft in Englands Spukhauptstadt York, glaubt nicht an paranormale Dreiecke und hat in seiner Stadt auch noch keine Gespenster gesehen. Er bewohnt dort allerdings sicherheitshalber kein altes Schloss, sondern einen Neubau.
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