Drehmoment

Anton Flettner konstruiert 1924 ein Schiff, das gegen den Wind segelt. Eine geniale Erfindung – zur falschen Zeit

Die Landungsbrücken sind schwarz vor Menschen. Seit Stunden starren sie auf die Elbe. Endlich, um fünf Uhr am Nachmittag, brandet Jubel auf. Die Euphorie gilt einem höchst seltsamen Schiff: Nicht unter Dampf noch unter Segeln läuft die „Buckau“ ein, sondern getrieben von zwei masthohen, rotierenden Litfasssäulen. „Da brüllen wir ein dreifaches Hurra! auf die ,Buckau‘, ein dreifaches Hurra! auf Flettner, den Erbauer, und machen unserer Erregung in dem Deutschlandlied Luft“, notiert der Reporter der „Hamburger Nachrichten“.

An diesem Samstag, dem 28. Februar 1925, sind sich die meisten der Gaffer sicher: Was sie da vor sich haben, ist die Zukunft des Schiffbaus. Die Geschichte weiß es besser: Das Rotorschiff des Anton Flettner bleibt eine kuriose Fußnote der Seefahrt – auch wenn noch heute so mancher Experte das Patent als genial bewundert.

Flettners Werdegang tönt wie eine Tüftlervita aus dem Bilderbuch: Schon als 16-Jähriger konstruiert er ein ferngelenktes Modellsegelschiff. Dessen Ruder lässt sich per Funk betätigen; wie von Geisterhand segelt das Bötchen genau dorthin, wo es der Pennäler haben will. Daraus entsteht die Idee eines ferngelenkten Torpedos. Flettner darf sie zwar der kaiserlichen Marine vorstellen. Doch die gestrengen Herrschaften zeigen sich wenig innovationsfreudig und tun die Sache ab.

Auch der Prototyp eines ferngesteuerten Tanks – eine unbemannte Dampfwalze mit Schneidbrenner an Bord – findet 1915 keine Gnade. Doch Ende des Ersten Weltkriegs kommt für Flettner der Erfolg. Er entwirft ein Hilfsruder für Flugzeuge, das den Piloten entlastet. 1920 überträgt er das Patent auf die See: Ein kleines Hilfsruder, angebracht am Ende des Hauptruders, minimiert die Lenkkräfte und damit auch die Leistung der Rudermaschine. Das Patent markiert den Durchbruch. Flettner gründet mehrere Fabriken und lässt sich mit „Herr Direktor“ ansprechen.

Nun sinniert der findige Geist darüber, ob sich dieses Prinzip nicht auch auf die Segelei übertragen ließe. 1922 stellt er auf der Kieler Germaniawerft seine kühne Idee vor: ein starres Segel, das weder gesetzt noch geborgen werden muss und sich bequem von der Brücke aktivieren lässt. Flettner denkt an zwei Masten mit je drei nebeneinander stehenden Flugzeugflügeln, die sich per Knopfdruck in den Wind drehen lassen. (Den heutigen Geschwindigkeitsrekord im Segeln hält die „Yellow Pages“, die sich ebendieses Prinzips des starren Flügels bedient.) Gedacht ist die „Segelmaschine“ als Zusatzantrieb zum Schiffsdiesel. Die Chefs der Germaniawerft sind beeindruckt. Flettner erhält die Erlaubnis, den Dreimastschoner „Buckau“ umzurüsten.

Doch dann, im Juli 1923, erzählt ihm sein Bruder von den jüngsten Versuchen des Strömungsforschers Ludwig Prandtl. An der Aerodynamischen Versuchsanstalt in Göttingen hat Prandtl rotierende Zylinder im Windkanal vermessen – und ist auf verblüffende Auftriebswerte gestoßen, das Zehnfache einer Flugzeugtragfläche.

Anton Flettner ist fasziniert – und lässt sich das wundersame Phänomen genau erklären. Bläst der Wind gegen einen ruhenden Zylinder, etwa einen Schornstein, wird der Luftstrom ordentlich geteilt und fließt um beide Seiten des Zylinders gleich schnell herum. Versetzt man die Säule jedoch in Rotation, bewegt sich die eine Zylinderseite zwangsläufig mit dem Luftstrom, die andere wirkt dem Luftstrom entgegen. Die Folge: Auf der einen Zylinderseite wird die Luft mitgerissen und fließt schneller. Auf der anderen wird sie abgebremst und fließt langsamer.

Nun entsteht wie bei einer Flugzeugtragfläche ein Sog. Auf der Seite mit der schnellen Luft bildet sich ein Unterdruck, gegenüber bei der langsamen Luft ein Überdruck. Als Resultat verspürt der rotierende Zylinder einen kräftigen Schub in Richtung Unterdruck.

Auf die Erklärung des Phänomens war 1853 der Berliner Physiker Gustav Magnus gestoßen. Schon vorher hatten Artilleristen mit dem „Magnus-Effekt“ zu tun. Er lässt die Flugbahn einer rotierenden Kanonenkugel zur Seite abweichen. Auch Tennisspieler kennen das Phänomen: Ein angeschnittener Ball fliegt in einer Kurve über das Feld. Endgültig abgesichert aber ist der Effekt erst seit Prandtls Versuchen. Der Physiker verblüfft nicht nur durch seine Experimente, sondern präsentiert eine exakte Berechnungsformel.

Als Flettner die Sache auf dem Papier durchgeht, erhält er ein frappierendes Resultat. Bei optimalen Bedingungen – wenn die Rotoren bei Seitenwind vier Mal so schnell drehen, wie der Wind bläst – sollte ein Zylinder 14 Mal mehr Schub erzielen als ein gleich großes Rahsegel. Noch Ende Juli meldet der Erfinder seine Idee eines „Flettner-Rotors“ zum Patent an. Kurz darauf lässt er am Berliner Wannsee ein Modellschiff zu Wasser – ausstaffiert mit einem 50 Zentimeter hohen, von einem Uhrwerk gedrehten Papierzylinder. „Das Schiffchen setzte sich flott in Bewegung, und ich fand also gleich meine theoretischen Behauptungen bestätigt“, vermerkt Flettner.


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mare No. 45

No. 45August / September 2004

Von Frank Grotelüschen

Der Physiker Frank Grotelüschen, Jahrgang 1962, arbeitet als freier Wissenschaftsautor in Hamburg.

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Vita Der Physiker Frank Grotelüschen, Jahrgang 1962, arbeitet als freier Wissenschaftsautor in Hamburg.
Person Von Frank Grotelüschen
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