Die wollen nur spielen

Frau Pötke kennt sich aus mit Kannibalen und Meerwasser. Sie ist seit 35 Jahren Hummerwartin

Eins, zwei, drei, vier, Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein! So hat Barbara Pötke als Kind gespielt. So hält die Fachfrau, mittlerweile 52, es auch mit der lebenden Hummerware im Delikatessenhandel. Dutzende der Krustentiere drängen sich in die Winkel des Beckens, vor dem sie stehen bleibt. Ein geballtes Drunter und Drüber, dabei ist in der Mitte verschwenderisch viel freie Fläche.

„Ein Zeichen, dass sie sich wohl fühlen“, sagt sie, die von Kollegen „Hummer-Bärbel“ genannt wird, „der Hummer ist ein Höhlentier.“ Sie streicht sich den blonden Pony aus der Stirn, greift ins Wasser, hält ein Tier hoch. Das reckt dem Besucher des Hamburger „Frischeparadieses Goedeken“ die Scheren entgegen: ein Kraftprotz. Sie krault seinen Nacken. Der Hummer entspannt sich, lässt den Schwanz locker hängen, zieht seine Scheren ein. „Nicht nur verkaufen, verkaufen“, sagt Bärbel, „man muss auch mit ihnen spielen.“

Es ist einer jener Wüstentage im August, die es auch in Hamburg gibt. Gleißender Himmel über den Landungsbrücken an der Elbe, staubtrockener Ostwind, die Temperatur über 35 Grad. Vor den Bistros am Fischmarkt sitzen Touristen, die grinsen, wenn jemand an diesem Tag mit einer dicken Vliesjacke unterm Arm an ihnen vorübergeht.

Im Untergrund der Großen Elbstraße 210 zählt nicht die lokale Wetterlage, sondern die des Nordwestatlantiks. An der felsigen kanadischen Küste wurden Bärbels Hummer gefangen und ins Flugzeug gesetzt. Und nun sind sie in den Gewölben eines Marktes gelandet, der das Paradies im Namen führt, und sollen am besten gar nicht merken, wie ihnen geschah. Hummer lieben es eiskalt. Also trägt Hummer-Bärbel Gummistiefel, eine dicke lange Hose und zwei blau-weiße Pullover.

Neben der Temperatur, sechs bis acht Grad, ist vor allem der Salzgehalt des Wassers wichtig. Goedeken hat moderne Messgeräte, um alle Parameter im Hummerland zu überwachen. Doch wer ein Engel im Frischeparadies ist, der schaltet technische Krücken aus. Hummer-Bärbel lächelt, zieht einen Finger durchs Wasser des Hummerbeckens, schmeckt ab: Alles in Ordnung. Bei ihr geht es nach Gefühl.

Seit 35 Jahren ist sie dabei. Hat den alten Hugo Goedeken noch gekannt, heute gehört die Firma einem Nahrungsmittelkonzern. Schon ihre Mutter stand beim Goedeken „an der Maschine“. Schollen filetieren, Seezungen filetieren, das war nicht Barbaras Welt. Aber dann hat der Hummerwart ein offenes Bein bekommen. Und Hummer-Bärbel fand ihre Berufung. „Wenn es den Tieren gut geht“, sagt sie, „geht es mir auch gut.“

Hummer sind Individualisten. Manche tragen die Kampfschere rechts und die Behelfsschere links, andere sind Linkshänder. Wenn man sie füttert, werden sie anhänglich wie ein Hund. Einem hat Hummer-Bärbel einen Namen gegeben und ihn jahrelang im Luxusbecken gehalten. Jeden Morgen schoss Leo aus seiner Ecke an den Beckenrand, um sie mit offenen Scheren und kreisenden Antennen zu begrüßen.

Wenn Bärbel dann später Hummer gekocht und Fleisch abgepackt hatte, bekam Leo stets ein bisschen Schale und Mus von seinen Artgenossen ab. Sie sieht das mit Gleichmut: Der König der Krustentiere ist ein notorischer Kannibale. Bärbel nimmt die Hummer, wie sie sind, und erledigt auch den zweiten Teil der Arbeit akkurat: das Kochen, Knacken und Verpacken.

Hummer haben drei Sorten Fleisch: Scheren, Gelenke und Schwänze. Von allen dreien verteilt sie gerechte Stücke auf die 200-Gramm-Plastiktüten, die beim gekochten Hummer Kundenstandard sind.

Wenn sie in Rente geht, möchte sie endlich nach Kanada, an die felsige Küste. Der Besucher sieht Barbara Pötke vor sich. Eine kleine Person, wie sie in grünen Gummistiefeln auf einem Stein im Wasser steht. Einen Finger in den nordwestlichen Atlantik taucht. Abschmeckt und anerkennend in den Himmel schaut: Chef, der Salzgehalt stimmt.


Currysuppe mit Hummer und Weißwurst

Zutaten (für acht Personen)

60 Gramm Butter, eine in Würfel geschnittene mittelgroße Zwiebel, eine gewürfelte reife Tomate, 1/2 Banane, 1/2 säuerlicher Apfel, zwei EL milder Curry, 1 EL scharfer Curry, zwei Liter Kalbsbrühe, 0,5 Liter Crème double, ein kleines Glas Mango Chutney, Saft von 1/2 Zitrone, 50 Gramm kalte Butter, Salz und Pfeffer, vier Weißwürste, ein großer oder zwei mittlere frische Hummer, ein Bund Dill.

Zubereitung

Die Weißwürste in siedendem Salzwasser zubereiten. Den frischen Hummer in einem Sud kochen, etwas ziehen lassen und das Fleisch auslösen. Die Suppe: Zwiebel, Tomate, Banane und Apfel in Butter ausdünsten. Mit Curry bestäuben und mit Kalbsfond auffüllen. Zur Hälfte einkochen, die Crème double dazugeben, weiter einkochen lassen. Mit Mango Chutney, Zitrone, Salz und Pfeffer abschmecken. Im Mixer pürieren, passieren, vor dem Servieren die kalte Butter einschwenken. Die Weißwurst in Scheiben auf vorgewärmten Tellern verteilen, mit Suppe auffüllen. Hummermedaillons auf der Suppe anrichten und mit Dill garnieren.


Frischeparadies Goedeken
Große Elbstraße 210, 22767 Hamburg.
Telefon: 040/38 90 8-333.
Montag bis Freitag 8 bis 19 Uhr, Samstag bis 15 Uhr.

mare No. 46

No. 46Oktober / November 2004

Von Reimer Eilers und Joachim Ladefoged

Reimer Eilers, 1953 in Casablanca geboren, aufgewachsen auf Helgoland, lebt als Journalist und freier Schriftsteller in Hamburg. Er schreibt Reisereportagen und Essays u. a. für die Zeitschriften Stern und mare. Zuletzt veröffentlichte er den Erzählungsband Im Blauwasser. Geschichten von der See.

Joachim Ladefoged, geboren 1970, ist dänischer Fotograf. Er arbeitet seit 1991 als professioneller Fotograph und wird durch die internationale Fotoagentur VII vertreten. Heute arbeitet er hauptsächlich für Magazine und Zeitschriften wie The New York Times Magazine, The New Yorker, National Geographic, mare, Newsweek und TIME. Er hat zahlreiche Auszeichnungen gewonnen, wie den Visa D'Or, den World Press Photo Award, POYi und andere.

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Vita Reimer Eilers, 1953 in Casablanca geboren, aufgewachsen auf Helgoland, lebt als Journalist und freier Schriftsteller in Hamburg. Er schreibt Reisereportagen und Essays u. a. für die Zeitschriften Stern und mare. Zuletzt veröffentlichte er den Erzählungsband Im Blauwasser. Geschichten von der See.

Joachim Ladefoged, geboren 1970, ist dänischer Fotograf. Er arbeitet seit 1991 als professioneller Fotograph und wird durch die internationale Fotoagentur VII vertreten. Heute arbeitet er hauptsächlich für Magazine und Zeitschriften wie The New York Times Magazine, The New Yorker, National Geographic, mare, Newsweek und TIME. Er hat zahlreiche Auszeichnungen gewonnen, wie den Visa D'Or, den World Press Photo Award, POYi und andere.
Person Von Reimer Eilers und Joachim Ladefoged
Vita Reimer Eilers, 1953 in Casablanca geboren, aufgewachsen auf Helgoland, lebt als Journalist und freier Schriftsteller in Hamburg. Er schreibt Reisereportagen und Essays u. a. für die Zeitschriften Stern und mare. Zuletzt veröffentlichte er den Erzählungsband Im Blauwasser. Geschichten von der See.

Joachim Ladefoged, geboren 1970, ist dänischer Fotograf. Er arbeitet seit 1991 als professioneller Fotograph und wird durch die internationale Fotoagentur VII vertreten. Heute arbeitet er hauptsächlich für Magazine und Zeitschriften wie The New York Times Magazine, The New Yorker, National Geographic, mare, Newsweek und TIME. Er hat zahlreiche Auszeichnungen gewonnen, wie den Visa D'Or, den World Press Photo Award, POYi und andere.
Person Von Reimer Eilers und Joachim Ladefoged