Die Wolkenwasser der Bimbachen

Die Ureinwohner der trockenen Kanareninsel El Hierro wussten einen klug erdachten Weg, das Wasser der Passatwolken zu ernten

Bis zur Entdeckung Amerikas endete die Welt kurz hinter El Hierro. Alte Reiseberichte von der kanarischen Insel sind gespickt mit Beschreibungen fantastischer Riten, vollführt von dunkelhäutigen Menschen im Lendenschurz. Die Steinzeit endete auf der abgelegenen, kleinen Insel tatsächlich erst an jenem Tag des Jahres 1405, an dem der französische Eroberer Jean de Béthencourt im Auftrag Kastiliens das Eiland betrat. „Und auf den höchsten Ebenen wachsen Bäume, von denen ununterbrochen gutes und sauberes Wasser tropft, das in Gruben neben ihnen fließt, das beste Trinkwasser, das sich finden lässt. Und es ist so gesund, dass, wenn man bis zur Sattheit gegessen hat und man dieses Wasser trinkt, in weniger als einer Stunde alle Speisen vollständig verdaut sind und man genau denselben Appetit hat wie vor dem Trinken.“

So steht es seit dem Jahr 1494 in den „Französischen Chroniken der Eroberung der Kanaren“ geschrieben. Der Bericht regte die Fantasie der Leser an, Drucke erschienen in Europa, die Insel bekam eine magische Aura, ihre Regenbäume wurden Legende. Dabei ist deren sogenannter waagerechter Regen leicht zu erklären. Geologen und Historiker wissen schon lange, was es mit dem geheimnisvollen Garoébaum auf sich hatte.

Ein besonders großes Exemplar des Stinklorbeers (Ocotea foetens) stand im Nordosten der Insel auf gut 1000 Meter Höhe, dort, wo die dicken Wolken hängen bleiben, die der Passat über den Atlantik treibt. An seinen großen, glatten Blättern kondensierte die Feuchte des Nebels, und die Tröpfchen suchten sich den Weg nach unten. Dort standen die Bimbachen, die Ureinwohner der Insel, und trugen krügeweise Trinkwasser davon. Was sie nicht brauchten, sammelte sich in Bodenvertiefungen, den eres, von denen die Insel, anders als häufig angenommen, den Namen hat. In die Rinde schnitzten sie zudem Hohlräume, aus denen sie mit der Hand kondensiertes Wasser schöpften.

1610 entwurzelte ein Sturm den Wunderbaum. In jener Zeit sollen auch die Bimbachen, die wohl mit den Berbern verwandt waren, ausgestorben sein. Beides hängt nur indirekt zusammen, denn auch ohne ihren heiligen Baum hätten die Bimbachen überleben können, auf einer Insel, auf der es selten regnet und deren Lavaboden Wasser erst sehr tief speichert und mit Schwefel anreichert. Doch auf El Hierro tröpfelt und rinnt es ab 500 Meter Höhe überall, wo Wolken auf kalte Flächen treffen und nebligen Niederschlag erzeugen.


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mare No. 98

No. 98Juni / Juli 2013

Von Brigitte Kramer

Brigitte Kramer, freie Journalistin, geboren 1967, lebt seit fast 20 Jahren in Spanien. Das Land kennt sie wie ihre Westentasche, doch El Hierro war ein neues, berührendes Erlebnis. Im Geist läuft sie immer wieder gern durch die gespenstischen Nebelwälder der Insel.

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Vita Brigitte Kramer, freie Journalistin, geboren 1967, lebt seit fast 20 Jahren in Spanien. Das Land kennt sie wie ihre Westentasche, doch El Hierro war ein neues, berührendes Erlebnis. Im Geist läuft sie immer wieder gern durch die gespenstischen Nebelwälder der Insel.
Person Von Brigitte Kramer
Vita Brigitte Kramer, freie Journalistin, geboren 1967, lebt seit fast 20 Jahren in Spanien. Das Land kennt sie wie ihre Westentasche, doch El Hierro war ein neues, berührendes Erlebnis. Im Geist läuft sie immer wieder gern durch die gespenstischen Nebelwälder der Insel.
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