Die Wiege der Menschheit

Kolumbus entdeckte auf den Antillen nicht nur Amerika, sondern auch die Hängematte. Seefahrer waren begeistert: Das Bett spart Platz und hilft bei Seekrankheit

Ihre Betten und Decken sind wie Netze aus Baumwolle“, wunderte sich Kolumbus am 17. Oktober 1492 in seinem Logbuch. Wenig später notierte er erstmals die Bezeichnung dieses merkwürdigen „Schlafnetzes“: hamaca, ein Wort aus der Sprache der Taíno, der frühen Antillenbewohner. Vielleicht ließ sich der berühmteste Falschfahrer noch in jener Nacht selbst in solch ein Netz nieder. Wie auch immer, der nächste Morgen war auf jeden Fall eine Erweckung: Hier, an den Gestaden der Neuen Welt, erhob sich die christliche Seefahrt endlich aus dem Dreck.

Denn mit Kolumbus’ Entdeckung wurde die Hängematte zum Bett der Matrosen. Lange genug lagen sie auf Säcken mit Laub, auf bloßem Stroh oder bestenfalls auf Matratzen aus Pferdehaar, und jegliches begann schon wenige Tage nach der Abfahrt zu faulen. Laken verbargen da nur das Ärgste, die üblen Gerüche deckten sie kaum. Zumal verschiedenste Keime die Schlaf- zu Brutstätten schlimmster Krankheiten machten. Selbst auf den gar nicht so blanken Planken schlief es sich gefährlich, gerade da: Noch lange nach Kolumbus war es üblich, den lebenden Proviant in den Mannschaftsquartieren zu hüten. Schwankte das Schiff bei Nacht allzu heftig, schürften sich die Schläfer auf kotverseuchten Holzböden das Fleisch auf. „Der Tabak ist feucht, mein Bett ist eine Kloake“, schrieb ein entnervter Matrose jener Tage in die Heimatpost.

Eine Revolution sei darum die Hängematte gewesen, schreibt Josef Köpf. Der Deutsche betreibt in Brasilien eine Fabrik für Hängematten, er ist zugleich ein profunder Kenner ihrer Geschichte. Nicht nur, sagt er, dass sie den Liegenden aus Schmutz und Moder barg. „In den frei schwingenden Hängematten liegt der Ruhende ungleich ruhiger und sicherer als auf einem Lager, das sämtliche Bewegungen des Schiffes mitmacht, denn sie können zumindest einen Teil des Rollens des Schiffes ausgleichen.“ Letzteres klingt tatsächlich revolutionär, soll es doch eine gefürchtete Pein therapieren, die Seekrankheit. „Wenn es möglich ist, sollte in einer Hängematte, die die Rollbewegungen des Schiffes ausgleicht, geschlafen werden“, rät der Arzt Gerhard Boecken vom Schifffahrtsmedizinischen Institut der Marine in Kiel. Kolumbus’ Möbel – es gehört in jede Bordapotheke.

In Köpfs Buch „Die Hängematte“ nimmt das Kapitel Seefahrt allerdings nur wenig Platz ein. Denn eigentlich ist das „Schwebebett“ eine Erfindung mittel- und südamerikanischer Landratten. Bereits die frühen Indianer schliefen darin – so wie sie in ihr über Land reisten, ihre Kinder zeugten und gebaren, wie sie darin genasen, starben und beerdigt wurden. Genaue Daten über das Alter der Hängematte sind nicht zu erbringen, ein vorkolumbisches Geflecht wurde noch nicht gefunden – die Gewebe aus organischen Fasern zersetzen sich eben sehr schnell in den Tropen. Doch es gibt Schätzungen: Die Besiedlung Mittelamerikas ist vor über 30 000 Jahren anzunehmen, rund 20 000 vor Christus schlugen sich die ersten Indianer durchs Dickicht an Amazonas und Orinoko. Wahrscheinlich, sagt die Ethnologin und Textilforscherin Annemarie Seiler-Baldinger, hatten sie schon Hängematten im Gepäck. Dort vor allem existiert heute eine Vielzahl an Mustern und Techniken, die eine sehr lange Tradition voraussetzen. Die Hängematte, so scheint es, ist die eigentliche Wiege der Menschheit.

Der Stoff, aus dem die ersten Träume waren, besteht immer noch aus den Blättern von Lianen, aus Agaven, Palmen, später auch aus Baumwolle. In den kälteren Regionen, etwa in Nordkolumbien, wurden auch Leder und Tierhaare verwendet. Mit Kolumbus, Amerigo Vespucci und anderen Entdeckern gelangten die Kuriositäten des Urwalds rasch nach Europa. Dort bestaunte sie der Hochadel auf diversen exotischen Partys. Doch schon ein gutes halbes Jahrhundert darauf ergeht es der Hängematte wie später der Kartoffel – beide stammen aus der gleichen Gegend, bei beiden wird der Ursprung vergessen. Anlässlich eines „brasilianischen Festes“ am Hof Heinrichs II. schreibt der verblüffte Michel de Montaigne, die Hängematten seien „so wie diejenigen auf unseren Schiffen“ – als wären sie eine Erfindung der Alten Welt.

Ende des 16. Jahrhunderts dann schaukelten die Matrosen der elisabethanischen Marine befehlsgemäß in den „brazilian beds“. Wenig später schlummerte die gesamte europäische Flotte in den geflochtenen Kojen. Neben den hygienischen Vorteilen war es vor allem ihr platzsparender Effekt, der den Durchhängern den Durchbruch brachte. Nun wurde der Luftraum unter Deck erobert. Manchmal in den denkwürdigsten Umständen: Charles Darwin etwa hing fünf Jahre lang nächtens quer über seinem Arbeitstisch, anders wäre kein Platz gewesen zwischen Büchern, Kommode und Instrumenten. Zwar setzte ihm die jahrelange Hängepartie arg zu, doch er wusste: Die Stärksten und Angepassten überleben jede Lage.


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mare No. 61

No. 61April / Mai 2007

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, ist mare-Autor und leidet auf Seereisen immer fürchterlich. Bis jetzt hat noch keines der Hausmittel angeschlagen. Doch nach seiner Recherche über die Hängematte schöpft er Hoffnung. „So ein Ding brauche ich auch.“

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Vita Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, ist mare-Autor und leidet auf Seereisen immer fürchterlich. Bis jetzt hat noch keines der Hausmittel angeschlagen. Doch nach seiner Recherche über die Hängematte schöpft er Hoffnung. „So ein Ding brauche ich auch.“
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Vita Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, ist mare-Autor und leidet auf Seereisen immer fürchterlich. Bis jetzt hat noch keines der Hausmittel angeschlagen. Doch nach seiner Recherche über die Hängematte schöpft er Hoffnung. „So ein Ding brauche ich auch.“
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