Die Ware Lüge

Käpt’n Blaubär als Geschäftsidee

Mensch, Kinners! Schaut mal hinaus aufs Meer. Jetzt ist es blau und glatt, und manchmal ist es grau und voller Wellen. Das alles hat seinen Wert, den sogenannten Meerwert. Und wenn man den Meerwert zu Geld macht, dann nennt man das Meerchandising.

Also. Vor langer, langer Zeit, vor über zehn Jahren, da schwebte ich einen halben Meter über dem Kopf von Walter Moers. Ich befehligte damals ein Wohnraumschiff und hatte eine Ladung Gedankenblitze an Bord. Walter Moers saß in seinem Zimmer am Zeichenpult und überlegte gerade, wie er aus Comics Geld machen könnte, als ich auf seinem Kopf landete. Dem Mann soll geholfen werden, dachte ich und verriet ihm das Geheimnis des künstlerischen Erfolgs: „Du musst meerwertsteuerpflichtig werden.“ Das fand Walter Moers gut. Er behauptete von nun an, er hätte mich erfunden, nannte mich Opa und erfand meine drei Enkel gleich dazu.

Walter Moers war in Entenhausen aufgewachsen und kannte Tick, Trick und Track. Er meinte daher, drei Bärenkinder seien besser als jede andere Zahl. Er zeichnete und entwarf. Während er mich zeichnete, erzählte ich ihm dreizehn Geschichten aus meinem Leben. Und Moers schrieb sie alle auf, nahm dann die Geschichten und die Bilder von mir und verschwand. Diese Geschichten produzierte die Frankfurter Filmproduktions GmbH und verkaufte sie an den Hessischen Rundfunk. Sie liefen als Opa Blaubär im Sandmännchen.

Der Meerwert von Opa Blaubär zeigte sich nicht gleich. Man kann ihn ja auch nicht sehen. Das wurde erst anders, als der Westdeutsche Rundfunk für die Maus einen Bären suchte, ähnlich wie Samson aus der Sesamstraße, nur eben blau. Der WDR bestellte 26 Folgen für die Maus, jetzt hieß die Sendung Käpt’n Blaubär. Und dann kam es: Der WDR fand, dass auf unserm Schiff zu viele Männer waren. Sie wollten noch ein, zwei weibliche Wesen dazu haben, das war damals modern. Also bekam ein Bärchen eine extra große rosa Schleife. Und fertig.

Der WDR bestellte weitere Sendungen. Walter Moers kam gar nicht nach mit dem Zeichnen. Es wurden Puppen hergestellt, die uns ähnelten, das mögen die Leute. Walter Moers suchte und fand Freunde, die alle meine Geschichten aufschreiben konnten: Bernhard Lassahn und Rolf Silber. Die drei waren unzertrennlich wie Tick, Trick und Track, wenigstens für einen Abend. Sie schrieben 1990 insgesamt 104 Folgen über mein Leben, jeder etwa gleich viele.

Diese 104 Folgen wurden in der „Sendung mit der Maus“ gesendet. Und als sie alle gesendet waren, wurden sie gleich noch einmal gesendet. Und noch einmal. Und als die Sendungen immer und immer wieder wiederholt wurden, da kam langsam der Meerwert zum Vorschein.

Der Ravensburger Verlag und die Ravensburger Film- und Fernseh-GmbH (heute: Family Entertainment AG) stiegen ein. Der Verlag druckte ganz viele Bücher, die Ravensburger Film- und Fernseh-GmbH ließ die Fernsehfilme herstellen und sorgte für die Vermarktung des Produkts. Denn noch mehr wert als die Filme waren die anderen Ideen.

Auf einmal gab es eine Käpt’n-Blaubär-Tasse, ein Käpt’n-Blaubär-Quiz, ein Käpt’n-Blaubär-Zelt. Wenn meine Abenteuer mal nicht im Fernsehen wiederholt werden, kann man sich im Kaufhaus noch anders trösten: mit Spardosen, Faschingskostümen, Adventskalendern, Armbanduhren, Mützen, Fahrrädern, Portemonnaies, Collegemappen, Hausschuhen, Krawattennadeln, Zahnpasta, Herrensocken, Taschen, Kindersitzen, Popcorn, Kinderslips, Malbüchern, Schneekugeln, Stempeln, Bettwäsche und der Frottierserie in den Farben Rot, Weiß oder Blau. Die Wärmflasche ist auch als Hein Blöd zu haben. Natürlich wurden wir geklont. Es gibt mich und Hein Blöd, meinen Matrosen, als Puppen, auf Nackenrollen und auf T-Shirts. Es wurden CD-ROMs hergestellt mit Seemannsgarn und Briefmarken mit meinem Konterfei. So wurde mein Name mehr und mehr wert. Ein großes Geschäft ist im Gang, Beträge von wohl hundert Millionen Mark werden umgesetzt. Allein die Family Entertainment AG macht zehn Prozent ihres Jahresumsatzes mit uns.

Ihr wollt wissen, was das Geheimnis meines Erfolgs ist? Es ist einfach, wie alles Geniale: Ich wende mich nicht an das Kind, sondern an den Erwachsenen. Wenn der Blaubär erläutert, ein Versprechen, das man einem Wal gegeben hat, sei ein sogenanntes Walversprechen, und das müsse man nicht halten; wenn der Blaubär auf die Fahrt geht, um Moby Duck zu finden; wenn er erzählt, er habe als Käpt’n die Titanic gesteuert, die durch Hein Blöds Schusseligkeit absoff, dann geht der Witz über die Köpfe der Kinder hinweg ins Hirn ihrer Väter. Und die hocken mit ihren Kleinen vorm Fernsehapparat und erklären ihnen, warum ich so lustig bin. Die Kinder finden gut, dass sich die Eltern um sie kümmern. Also finden sie mich gut. Und glauben dem Blaubär jedes Wort.

So hat sich in der „Sendung mit der Maus“, dem letzten Hort eines aufklärerischen Kinderfernsehens, mit dem Blaubär die Unterhaltung per Kalauer durchgesetzt, eine Art Harald-Schmidt-Show für infantile Erwachsene. Es waren Erwachsene, die mit ihren Fanclubs den Blaubär in schwieriger Zeit am Leben hielten. Erwachsene kaufen die Blaubär-Produkte.

Im WDR entstand der Blaubär-Club, wurden die Kombüsengeschichten produziert. Und auch der Kinofilm ist jetzt fertig.

Die Erwachsenen bekommen folgerichtig ihre Hein-Blöd-Abend-Show. Hörkassetten gibt es, Spiele und Englischkurse, alles unter meinem Namen. Im oberschwäbischen Meckenbeuren hat die Ravensburger-Spieleland-AG einen Freizeitpark errichtet. Dort gibt es unser Schiff „auf der Klippe, dort, wo das Land dem Meer am nächsten ist“. Und nicht nur das. Lizenzen und unsere Geschichten werden auch ins Ausland verkauft. Lügen ist schließlich international.

1993 hat Walter Moers seine Rechte am Blaubär an Ravensburger verkauft. Und die Family Entertainment AG hat all ihre Blaubär-Lizenzen an die Westdeutsche Rundfunkwerbung GmbH verkauft. Die wiederum ist eine Tochter des WDR. Die Family Entertainment AG tritt gegenüber den Firmen, die am Merchandising teilnehmen wollen, nur noch als Agent auf. Und bekommt für ihre Dienste eine Provision. Und Walter Moers erhält Lizenzgebühren. Ich will nicht lügen, aber ich glaube, er hat mittlerweile all seine Schiffchen im Trockenen.

Der WDR nennt Käpt’n Blaubär unverhohlen eine „Spitzenlizenz“. Die Blaubeeren vom Wochenmarkt einmal ausgenommen, klingelt bei jedem Bärenblau und bei jedem Wörtchen „blau“ und „Bär“ die Kasse. Was will man Meer?

mare No. 15

No. 15August / September 1999

Von Manfred Goldbeck

Käpt’n Blaubär kommt meist am Schluss der Sendung mit der Maus zu Wort, sonntags 11.30 bis 12 Uhr in der ARD, donnerstags ab 18 Uhr auf N3.

Manfred Goldbeck, Jahrgang 1947, ist freier Journalist in Hamburg. In diesem Heft stellt er auch das Restaurant Schiffergesellschaft in Lübeck vor.

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Vita Käpt’n Blaubär kommt meist am Schluss der Sendung mit der Maus zu Wort, sonntags 11.30 bis 12 Uhr in der ARD, donnerstags ab 18 Uhr auf N3.

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Person Von Manfred Goldbeck
Vita Käpt’n Blaubär kommt meist am Schluss der Sendung mit der Maus zu Wort, sonntags 11.30 bis 12 Uhr in der ARD, donnerstags ab 18 Uhr auf N3.

Manfred Goldbeck, Jahrgang 1947, ist freier Journalist in Hamburg. In diesem Heft stellt er auch das Restaurant Schiffergesellschaft in Lübeck vor.
Person Von Manfred Goldbeck