Die Wächter der deutschen Bucht

Von Wilhelmshaven aus überblicken Nautiker eines der meistbefahrenen Gewässer der Welt

Der nautische Assistent sitzt am Mikrofon und verliest die Revier-Lagemeldung. Funkwellen tragen in monotonem Singsang die Warnungen vor den Hindernissen und Gefahren der Deutschen Bucht durch den Äther: „Survey operations by M/V GAUSS north of Lightvessel German Bight. Vessel is towing a 2000 meter long cable ...“ Zwei Kilometer ist das Kabel lang, das das Forschungsschiff „Gauss“ in der Nähe des Feuerschiffs „Deutsche Bucht“ nachzieht. Noch ein Becher Kaffee, dann eine erste Kontaktaufnahme mit dem norwegischen Frachter „Ragnhild Knudsen“, der allmählich Kurs auf die Jademündung nimmt. Die Position des Schiffes wird bestätigt, der Hubschrauber mit dem Lotsen angekündigt. Man spricht gedämpft, leise dudelt das Radio im Hintergrund. Alles im grünen Bereich. Montägliche Routine.

Das Chaos zur See bricht meist am Freitagnachmittag im Hochsommer aus. Wenn die Handelsschiffe vor Beginn des Wochenendes die Häfen verlassen und durch Elbe, Weser oder Jade Kurs auf die Deutsche Bucht nehmen. Und wenn gleichzeitig die Freizeitskipper in den Sportboothäfen die Leinen losmachen. „Auf dem Monitor sieht das dann aus wie ein Insektenschwarm, der sich auf Helgoland stürzt“, sagt Dietmar Szech, Leiter der Verkehrszentrale. „Und mittendurch pflügt der Berufsverkehr. Da schreien dann fünf auf einmal durchs UKW.“

Doch auch an solchen Tagen behält die Besatzung der Verkehrszentrale den Überblick. Zwei Mann sind für das Jadefahrwasser zuständig, zwei für die Deutsche Bucht: jeweils ein Nautiker und sein Assistent. In drei Schichten wird gearbeitet, rund um die Uhr. Durch die Einmündung von drei großen Wasserstraßen – gewissermaßen die Autobahnen der Seefahrt – und durch den Verkehr aus den Küstenhäfen kreuzen sich ständig die Kurse. Die schwerfälligen Großtanker müssen Richtung Wilhelmshaven zwei stark befahrene Einbahnwege queren. Und die meisten Schiffe haben hier noch keinen Lotsen an Bord beziehungsweise keinen mehr. Der gesetzliche Auftrag für die Leute an den Monitoren und Mikrofonen in Wilhelmshaven lautet: „Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Schiffsverkehrs“.

Das wichtigste Hilfsmittel dafür befindet sich auf dem Helgoländer Leuchtturm. Allerdings nicht in der Glaskuppel, die ihr Licht in die Dunkelheit sendet. Es sind die unsichtbaren Strahlen der Radaranlage, die 1984 ganz oben auf der Turmspitze installiert wurde. Die „Weitbereichsanlage Helgoland“ überblickt die Deutsche Bucht in einem 48 Kilometer weiten Radius. Vier zusätzliche Radarstationen erfassen den gesamten Verkehr und übertragen ihre Daten nach Wilhelmshaven.

Mausklick statt Meerblick. Die Zentrale ist in einem Flachbau untergebracht, durch dessen Fenster man ein Stück Rasen und eine Klinkerwand sieht. Der Kontrollraum ist mit über dreißig Monitoren ausgestattet. Die Arbeitsplätze der Lotsen sind mitgerechnet, auch wenn sie nur bei brisanter Lage besetzt sind, wenn beispielsweise ein Riesentanker einfährt.

Da werden nicht nur Schifffahrtszeichen überwacht, sondern auch Funkkanäle gesteuert, Wasserstände, Pegelkurven, Windstärke und Windrichtung für die unterschiedlichen Bereiche des Reviers abgefragt. Klick: Die aktuelle Sichtweite, draußen in der Jademündung von einem Messgerät mit Laser und Fotozelle ermittelt, erscheint auf dem Schirm. Liegt sie unter 1000 Meter, dürfen beladene Tanker nicht mehr ein- und ausfahren. Bis 2000 Meter ist Funkberatung durch die Verkehrszentrale zwingend vorgeschrieben.

Tonnen, Leuchttürme und Feuerschiffe des Reviers: Auch die so genannten „konventionellen visuellen Navigationshilfen“ werden von Wilhelmshaven aus gesteuert und überwacht. Sie erscheinen jeweils mit einer eigenen Zeile auf dem Display. Da steht zum Beispiel in warnendem Rot: „WHV-Turm: Außentüren geöffnet“. Das findet Dietmar Szech nicht sonderlich dramatisch: „Wir müssen gelegentlich mal nachsehen lassen, was da los ist“, sagt er. Bei einsam gelegenen Leuchttürmen oder Feuerschiffen bliebe er nicht so gelassen – es könnte ein Notfall sein. Dass im „Feuerschiff Deutsche Bucht“ gerade der Bilgenstand zu hoch ist, also das im Rumpf zusammengelaufene Schmutz- und Leckwasser, auch das hat Zeit. Bei gravierenden Defekten oder wenn der Leuchtturm nicht mehr leuchtet, fahren die Techniker des Wasser- und Schifffahrtsamtes mit einem Tonnenleger raus.

Die Leuchtfeuer sind allesamt unbemannt und arbeiten automatisch. Der letzte Leuchtturmwärter Deutschlands, er leistete auf der Ostsee-Insel Hiddensee seinen Dienst, ging 1998 in Rente. Falls doch steuernde Eingriffe nötig sind, übernehmen die Männer in der Verkehrszentrale auch den Job des Leuchtturmwärters. „Wenn ein Schiff Probleme hat, die Fahrwassermitte zu finden, knipsen wir von hier aus eben das Richtfeuer an“, sagt Dietmar Szech. Solche Hilfe ist auch in Zeiten satellitengestützter Navigation gefragt. Zwar sind die Schiffe mit GPS ausgerüstet, dem Global Positioning System, das einen Ort präzise aus der Funklaufzeit zu verschiedenen Satelliten berechnet. Doch in engem Fahrwasser mag sich niemand allein darauf verlassen. „Der Seemann guckt gerne aus dem Fenster. Und wenn er zwischen einer grünen und einer roten Tonne durchfährt, dann weiß er: alles klar.“


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 23. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 23

No. 23Dezember 2000 / Januar 2001

Von Fred Langer und Marc Steinmetz

Fred Langer, Jahrgang 1960, lebt als freier Journalist in Hamburg. Am liebsten schreibt er über Forschung und Technik. Dies ist sein erster Beitrag für mare.

Der Fotograf Marc Steinmetz, 1964 geboren, lebt in Hamburg. In Heft 20 erschienen seine Fotos von durch Plankton geglätteten Wellen

Mehr Informationen
Vita Fred Langer, Jahrgang 1960, lebt als freier Journalist in Hamburg. Am liebsten schreibt er über Forschung und Technik. Dies ist sein erster Beitrag für mare.

Der Fotograf Marc Steinmetz, 1964 geboren, lebt in Hamburg. In Heft 20 erschienen seine Fotos von durch Plankton geglätteten Wellen
Person Von Fred Langer und Marc Steinmetz
Vita Fred Langer, Jahrgang 1960, lebt als freier Journalist in Hamburg. Am liebsten schreibt er über Forschung und Technik. Dies ist sein erster Beitrag für mare.

Der Fotograf Marc Steinmetz, 1964 geboren, lebt in Hamburg. In Heft 20 erschienen seine Fotos von durch Plankton geglätteten Wellen
Person Von Fred Langer und Marc Steinmetz