Die Verdammten von Catania

Eine fast vergessene Geschichte wider alle Menschlichkeit: 1939, mitten im Furor des Mussolini-Faschismus, verhaftet ein sizilianischer Polizeichef unzählige homo­sexuelle Männer und verbannt 45 von ihnen auf eine Insel in der Adria. Eine Spurensuche

Es geht, man kann es nicht anders sagen, um eine Obsession, oder vielmehr: um eine boshafte Perversion. Es geht um Armut und verbotenen Sex und zur Schau gestellte Macht. Es geht letztlich um die Verachtung alles Weiblichen, ja auch Weibischen, darum, dass virile Regime nur virile Männer dulden, um die altbekannte Frage: Was macht den Mann zum Mann? Es geht, und das ist die freudianisch anmutende Komponente, um die Analfixiertheit eines einzelnen Beamten, dessen Versessenheit, homosexuelle Männer zu enttarnen. Es geht um flehende Mütter, verzweifelte Väter und um einen Haufen junger Sizilianer, die auf eine felsige Insel in der Adria verbannt wurden. Es geht aber auch um einen Hauch von Freiheit, um die Liebe, das Spiel und das Begehren. 

Wäre Catanias Polizeipräfekt Alfonso Molina nur obsessiv gewesen und nicht auch noch wahnsinnig fleißig, man wüsste viel weniger von dem, was damals geschah. Er schrieb mit Akribie Protokolle, eins nach dem anderen, über jeden der 45 Männer, die er von Sizilien aus 700 Kilometer quer durch Italien ins andere Meer hinüber in Gefangenschaft schickte. Es war nicht der schwule Mann per se, der Molina zur Weißglut trieb, sondern der weiche, effeminierte, la femmenella, wie sie in Catania sagen. 

Der oben erwähnte Costa Francesco aus Paternò wird notorisch als perverser und eigensinniger passiver Päderast dargestellt. Verweichlicht in Aussehen und Charaktereigenschaften, nimmt er an den meistbesuchten Orten kunstvoll weibliche Posen und Haltungen ein, um verdorbene oder unerfahrene Menschen zu locken, seinen lüsternen Begierden zuzustimmen.
 
Als 1927 das neue faschistische Strafgesetzbuch, der Rocco Codex (benannt nach Innenminister Alfredo Rocco), entworfen worden war, enthielt es mit Artikel 528 einen Abschnitt, der homosexuelle Handlungen mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren vorsah. Doch in der endgültigen Fassung des Gesetzbuchs war der Artikel gestrichen. Die Begründung: „Die Vorverurteilung dieses Verbrechens ist überhaupt nicht notwendig, denn zum Glück und zum Stolz Italiens ist das abscheuliche Laster, das ihm Leben einhauchen würde, bei uns nicht so weit verbreitet, dass es das Eingreifen des Gesetzgebers rechtfertigen würde; […] es ist bekannt, dass für gewohnheitsmäßige und professionelle Straftäter, die in der Tat sehr selten und absolut fremd sind, die Polizei bereits mit viel größerer Wirksamkeit durch die Anwendung ihrer Sicherheits- und Haftmaßnahmen sorgt.“

So kam die Polizei ins Spiel. Und mit ihr der neue Präfekt Alfonso Molina, der die Stadt von schwulen Männern säubern wollte, nachdem er aus der Provinz nach Catania versetzt worden war. „Dieses Übel muss von innen angegriffen und verbrannt werden“, notierte er. Molina hatte festgestellt, dass Bars, Strände und dunkle, versteckte Orte Treffpunkte dieser „kranken Männer“ waren, und er war „fest entschlossen, der Ausbreitung dieser Entartung“ ein Ende zu setzen. Mit dem Argument des Verstoßes gegen die guten Sitten gründete er in einer Art Raserei einen Anti-Homosexuellen-Kader, dessen Mitglieder nachts durch die Stadt streiften, sich inkognito in die Szene einschlichen, wo jeder jeden zu kennen schien. Man traf sich am Hafen, bei der alten Platane, im Park der Villa Bellini, in Tanzlokalen, Kinos und Cafés. Immer mit dem Risiko, aufgegriffen zu werden. Es war ein Leben in aller Heimlichkeit, mit dem es innerhalb Sekunden vorbei sein konnte. 

Frangiamore Enrico ist einer der ältesten passiven Päderasten. Junge Leute von mindestens zwei Generationen sind von ihm verdorben worden. (…) Ausgestattet mit guter Intelligenz, stellte er zunächst einen der größten Anziehungspunkte dar. Die Päderasten der damaligen Zeit scharten sich um ihn, und mit ihnen bildete er eine große Gruppe von Eingeweihten. Wie die Prostituierten, die die Altersgrenze erreicht haben, ist der Frangiamore zum Zuhälter geworden. (…)  In Catania einer sorgfältigen Überwachung durch die Polizei unterworfen, versucht er zu entkommen, indem er nach Paternò zieht, wo der reiche Kollege Tomaselli Gaetano in dessen Dienste getreten ist, um seine Abenteuer zu beschaffen und zu erleichtern und, wenn nötig, noch aus dem Becher der Liebe zu trinken. Wie Frauen mit schlechtem Ruf ist er ein Lügner und heimtückisch. Er wird auch für Verbrechen gegen das Eigentum verleumdet. Er macht keinen Hehl aus dem Laster, das er praktiziert. Er trägt den Spitznamen „die Löwin“. Das ehrenwerte Ministerium hat seine Einlieferung in den Polizeigewahrsam angeordnet, wozu ich ihn gemäß Artikel 181 des P.S. vorschlage. Ich füge die entsprechenden Dokumente bei. Der Kommissar (A. Molina)

Besonders ärgerte Molina sich über die wohlhabenden Homosexuellen, in deren großbürgerlichen Wohnungen Feste gefeiert wurden und Strichjungen verkehrten, dass es ein Geflecht an Beziehungen gab, das ihm nahezu unentwirrbar schien. Arrusi nannte man die Männer, die verhaftet werden sollten, ein herabsetzender Begriff, der mit „Tunten“ übersetzt werden könnte, exaltierten Männern, die sich oft prostituierten. Der Beweis, dass jemand ein arruso, ein „passiver Päderast“ und demzufolge kein „richtiger Mann“, war, wie der Faschismus ihn brauchte, erfolgte durch Untersuchungen des Rektums mit einem Spekulum. 

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 148. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 148

mare No. 148Oktober / November 2021

Von Zora del Buono und Luana Rigolli

mare-Kulturredakteurin Zora del Buono, Jahrgang 1962, kennt aus familiären Gründen sowohl Apulien als auch Sizilien recht gut. Auf den Tremitischen Inseln war sie allerdings noch nie, dafür aber auf einer anderen Gefängnisinsel, nämlich Ustica, wo ihr Urgroßvater Bürgermeister war.

Luana Rigolli, geboren 1983, ist Fotografin und lebt in Rom. Zunächst studierte sie Bauingenieurwesen, erkannte dann aber, dass sie lieber von ihrer Umgebung erzählt, anstatt sie zu gestalten. So begann sie mit der Fotografie. Heute beschäftigt sie sich fotografisch bevorzugt mit historischen Studien und der Interaktion von Mensch und Landschaft. Die Recherchen zu diesem Thema vertiefte sie im Rahmen einer weiter gefassten Arbeit zum Thema Faschismus in Italien.

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Vita mare-Kulturredakteurin Zora del Buono, Jahrgang 1962, kennt aus familiären Gründen sowohl Apulien als auch Sizilien recht gut. Auf den Tremitischen Inseln war sie allerdings noch nie, dafür aber auf einer anderen Gefängnisinsel, nämlich Ustica, wo ihr Urgroßvater Bürgermeister war.

Luana Rigolli, geboren 1983, ist Fotografin und lebt in Rom. Zunächst studierte sie Bauingenieurwesen, erkannte dann aber, dass sie lieber von ihrer Umgebung erzählt, anstatt sie zu gestalten. So begann sie mit der Fotografie. Heute beschäftigt sie sich fotografisch bevorzugt mit historischen Studien und der Interaktion von Mensch und Landschaft. Die Recherchen zu diesem Thema vertiefte sie im Rahmen einer weiter gefassten Arbeit zum Thema Faschismus in Italien.
Person Von Zora del Buono und Luana Rigolli
Vita mare-Kulturredakteurin Zora del Buono, Jahrgang 1962, kennt aus familiären Gründen sowohl Apulien als auch Sizilien recht gut. Auf den Tremitischen Inseln war sie allerdings noch nie, dafür aber auf einer anderen Gefängnisinsel, nämlich Ustica, wo ihr Urgroßvater Bürgermeister war.

Luana Rigolli, geboren 1983, ist Fotografin und lebt in Rom. Zunächst studierte sie Bauingenieurwesen, erkannte dann aber, dass sie lieber von ihrer Umgebung erzählt, anstatt sie zu gestalten. So begann sie mit der Fotografie. Heute beschäftigt sie sich fotografisch bevorzugt mit historischen Studien und der Interaktion von Mensch und Landschaft. Die Recherchen zu diesem Thema vertiefte sie im Rahmen einer weiter gefassten Arbeit zum Thema Faschismus in Italien.
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