Die tropische Wärme des Champagners

1892, mehr als 21 Jahre vor seinem Attentatstod in Sarajevo, der den Ers­ten Weltkrieg auslöste, begann Österreichs Erzherzog Franz Ferdinand eine einjährige Weltreise

Am Tag vor Weihnachten überkamen den Seefahrer Beim Anblick des Ozeans feierliche Gefühle. „Stets aufs neue regt dies erhabene Stück der göttlichen Schöpfung unser Denken und Empfinden an: jetzt durch den Gischt, in dem das gewichtige Eisenschiff einem Federballe gleich auf- und niedersteigt; dann durch die leicht gekräuselten Schaumkämme der Wellen am Buge – mag ein Nebelschleier den Horizont verhüllen, die glühende Sonne Luft und Meer in rosiges oder purpurnes Licht tauchen oder sanfter Mondschein die nimmermüden Wellen mit Silberglanz übergießen. Stunde auf Stunde vermag ich auf der Commandobrücke zu stehen, das Auge bald auf das Wellengetriebe, bald zum Firmament lenkend.“

Nicht der Kapitän ist es, der hier poetisch wird, sondern der höchste Passagier an Bord. Der mit seinen wohlgewählten Worten freilich auch andeuten will, dass er in nicht allzu ferner Zeit auf der Kommandobrücke eines anderen Schiffes, nämlich des Staatsschiffs, stehen würde. Denn Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este aus der Dynastie der Habsburger, zu diesem Zeitpunkt 29 Jahre alt, war zum künftigen Herrscher der Donaumonarchie ausersehen worden – von seinem Onkel, Kaiser Franz Joseph I. Der dem Neffen zur Weiterbildung eine Weltumrundung gestattet hatte, auf dem nagelneuen Torpedorammkreuzer „Kaiserin Elisabeth“, dem Stolz der österreichisch-ungarischen Kriegsmarine.

Die Namensgeberin für das Schiff war niemand anderes als die berühmte Sisi, die sich zu diesem Zeitpunkt allerdings schon ihrem Gemahl Franz Joseph stark entfremdet hatte. Und weil sich der einzige Sohn des vormaligen Traumpaars, der depressiv-chaotische Rudolf, zusammen mit einer Geliebten erschossen hatte, wurde dessen Cousin Franz Ferdinand zum Kaiser in spe. Doch das Unglück blieb der Sippe treu: Sisi wurde 1898 von einem Anarchisten erstochen, Franz Ferdinand 1914 von einem bosnisch-serbischen Nationalisten erschossen. Franz Joseph ist 1916 zwar sanft entschlafen, jedoch nicht ohne zwei Jahre zuvor, mit Rückendeckung des deutschen Kaisers Wilhelm II., den Ersten Weltkrieg in Gang gesetzt zu haben, der auch die Herrschaft seiner Dynastie beendete.

Um die Jahreswende 1892/1893 durfte Franz Ferdinand noch in eine glänzende Zukunft blicken. Zwei Wochen, zumeist auf See, lagen hinter ihm, in Kürze würden ihn der britische Vizekönig von Indien und die höchsten Maharadschas empfangen, später sogar Japans Tenno. Dazwischen konnte er, was ihn mehr interessierte, exotische Tiere jagen und spannende Weltregionen kennenlernen. Unter luxuriösen Bedingungen, in einer geräumigen Admiralskabine, mit einem ehrgeizigen Schiffskoch und einem großen Weinvorrat an Bord. Doch ausgerechnet an Silvester, mitten im heißen Golf von Aden, geht die Eismaschine kaputt, und so beklagt er in seinen Aufzeichnungen „die tropische Wärme des Champagners“ und muss ersatzweise von einer lauwarmen Bowle kosten, „die von unserem Schiffsarzt für uns gebraut war“.

Der Thronfolger war ein Freund der Seefahrt, vor allem in ihrer militärischen Dimension. In seinen späteren Jahren hat er die Ausrüstung der Marine seines Landes mit modernen Schlachtschiffen vorangetrieben, darin seinem Duzfreund, dem deutschen Kaiser Wilhelm II., ähnlich. Österreich-Ungarn grenzte ja ans Mittelmeer, mit der gesamten östlichen Adriaküste zwischen Dubrovnik und Triest. Die Handelsflotte der Donaumonarchie zählte mehr als 10 000 Schiffe.

Die straffe Ordnung an Bord hat ihm sicher gefallen, das Antreten der 400 Mann, die zum größten Teil in winzigen Kojen untergebracht waren. Gegen Ende der Reise hielt er stolz fest, dass kein einziger Matrose desertiert sei. Die Stimmung an Bord soll gut gewesen sein, denn auch die Besatzung war offenbar von den exotischen Ländern fasziniert. Zumindest in einer Hinsicht: Aus Yokohama wurde in einer Geheimdepesche nach Wien gemeldet, dass viele ihrer Mitglieder „venerisch erkrankt“ seien.

Doch auch der Junggeselle Franz Ferdinand, bis dahin Erzeuger zweier illegitimer Söhne und bis zum Reiseantritt mit einer Burgschauspielerin liiert, sehnt sich nach weiblicher Zuwendung. In Indien spekuliert er darüber, dass man beim Küssen von Hindufrauen wohl die Nasenringe hochklappen muss; auf Java wird ihm ganz anders, als „Mädchen, die schon ganz erwachsen scheinen“, in „Hemdchen à la baby“ herumlaufen. Immer wieder urteilt er mit Kennergestus, so über die, wie er findet, recht hässlichen Melanesierinnen oder die „selbst mit den Gesichtszügen europäischer Beautés verglichen“ sehr hübschen Japanerinnen. Und mit einem gewissen Neid nimmt er zur Kenntnis, dass dem Maharadscha von Hyderabad bei Ausfahrten immer ein fensterloser Wagen folgt, in dem neben eisgekühltem Champagner auch ausgewählte Haremsdamen seiner harren.


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mare No. 105

No. 105August / September 2014

Von Frank Gerbert

Frank Gerbert, Jahrgang 1955, schreibt für Spiegel, Zeit und Focus. Einer seiner Urgroßväter musste FF auf der Treibjagd als lebendes Gewehrstativ dienen. Er ist Herausgeber des Franz-Ferdinand-Tagebuchs Die Eingeborenen machten keinen besonders günstigen Eindruck und Autor von Endstation Sarajevo. Die letzten sieben Tage des Thronfolgers Franz Ferdinand.

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Vita Frank Gerbert, Jahrgang 1955, schreibt für Spiegel, Zeit und Focus. Einer seiner Urgroßväter musste FF auf der Treibjagd als lebendes Gewehrstativ dienen. Er ist Herausgeber des Franz-Ferdinand-Tagebuchs Die Eingeborenen machten keinen besonders günstigen Eindruck und Autor von Endstation Sarajevo. Die letzten sieben Tage des Thronfolgers Franz Ferdinand.
Person Von Frank Gerbert
Vita Frank Gerbert, Jahrgang 1955, schreibt für Spiegel, Zeit und Focus. Einer seiner Urgroßväter musste FF auf der Treibjagd als lebendes Gewehrstativ dienen. Er ist Herausgeber des Franz-Ferdinand-Tagebuchs Die Eingeborenen machten keinen besonders günstigen Eindruck und Autor von Endstation Sarajevo. Die letzten sieben Tage des Thronfolgers Franz Ferdinand.
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